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Kritiker-Skandal – der Prozess

Der Autor wurde dringendst ersucht, doch über den weiteren Verlauf der sogenannten Reitpeitschenaffäre und dem sich daraus ergebenden Prozess des Violinvirtuosen Meyer gegen die Gattin des im Jahre 1883 in Dresden hochgerühmten Musikkritikers Ludwig Hartmann zu berichten. Manch einer der Leserinnen und Leser waren vor Neugier fast am Platzen. Und da erging es ihnen nicht anders als ihren Vorfahren vor 140 Jahren. Hier folgt nun die Erlösung. Dabei taten sich Abgründe an Intrigen und Korruption auf.

Die Creme des Schauspiels des Alberttheaters versammelte sich

Noch nie hatte sich das Haus am Albertplatz nach einer Vorstellung so schnell geleert. Auf dem Programm stand am Abend des 24. Mai 1883 das beliebte Lustspiel „Dr. Wespe“ des Autors Roderich Benedix. Es ging um den Lokaljournalisten gleichen Namens. Das Thema: Frauenemanzipation im 19. Jahrhundert.

Noch bevor die elfte Stunde des Abends eingeläutet war, brachen die Mehrheit des Ensembles, einige Claqueure1 sowie ein paar Interessierte aus der Intendanz in Richtung des Radeberger Bierlokals auf der Hauptstraße 11 auf. Im Hinterhaus erwartete der Wirt Hermann Selle die illustre Schar zum späten Schlachtfest, was in diesen Tagen in Dresdens Restaurants gang und gebe war. Der Gastraum war brechend voll. Bier und Wein sowie der Inhalt so mancher Flasche Sekt verschwanden hinter den durstigen Kehlen. Die Tische füllten sich mit allerhand Leckereien an Wellfleisch, Würsten, Sauerkraut und Brot und der Wirt freute sich auf einen guten Umsatz.

Zwischen Textilhaus und Gummiwaren ging es nach hinten durch in das Radeberger Bierlokal. Foto von ca. 1935.
Zwischen Textilhaus und Gummiwaren ging es nach hinten durch in das Radeberger Bierlokal. Foto von ca. 1935.

Der Berichterstatter

Die Schauspielerin Rosi Bayer hielt es nicht mehr aus auf ihren Stuhl. Mit ihrer kräftigen Altstimme übertönte sie mühelos das Geschnatter im Raum.

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„Max, spann uns nicht länger auf die Folter. Was kam beim Prozess vom Meyer gegen die Hartmann raus?“ Beifall ringsum.

„Meine Lieben, ihr werdet staunen. Was wir bisher wussten, spekulierten oder auch nur ahnten, war die Spitze von der Spitze des berühmten Eisberges. Abgründe taten sich auf.“ Und dann berichtete er den lauschenden Anwesenden über den Verlauf dieses Tages, den er quasi als Abgesandter des Ensembles im Großen Saal des Landgerichtes erlebte.

„Ihr erinnert euch sicher noch, obwohl der Vorfall schon fünf Monate zurück liegt. Der Andrang im großen Gerichtssaal war riesig und viele bekamen keinen Eintritt. Nur gut, dass ich den Justizminister kenne“, begann Max Richelsen, der Doyen2 des Schauspielerkorps und Regisseur am Alberttheater.

Umfangreicher Bericht zum Prozess im Calculator
Umfangreicher Bericht zur Reitpeitschenaffäre im Calculator

Geklagt hatte der Geiger Meyer von der Hofoper gegen die Gattin Luise des Musikkritikers der Dresdner Nachrichten, Ludwig Hartmann. Die energische und selbstbewusste Dame hatte den Meyer ins Gesicht geschlagen und den Violinisten auch noch mit einer Reitpeitsche verprügelt, weil dieser behauptet hatte, dass das Ehepaar Hartmann gute Kritiken nur gegen Zuwendungen vielerlei Art schrieb. Er klagte also auf hinterlistigen Überfall mit Körperverletzung nach § 223 des Strafgesetzbuches. Sein Anwalt war Justizrat Stein. Und die Hartmann verteidigte sich siegessicher selbst und hatte ihrerseits mit Unterstützung des Rechtsanwalts Thürmer Gegenklage erhoben.3 Im Volksmund wurde daraus die Reitpeitschenaffäre.

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Der Tag des Kampfes mit Stilett, Säbeln und Schwertern

„Der Prozess am 24. Mai 1883 dauerte ganze neun Stunden, von früh 9 Uhr bis abends um sechs. Und es war zugleich eine Schau der Noblen dieser Stadt, der Adligen, der königlichen Beamten, der Künstlergarde und es war ein Laufsteg der aktuellen Mode. Köstlich und nie langweilig. Der Landgerichtsdirektor von Mangoldt leitete die Verhandlung persönlich. 30 Zeugen und 11 Berichterstatter waren geladen.“

Im Radeberger Bierlokal war es mäuschenstill. Alle hingen an den Lippen von Max.

Eine Reihe von Zeugen diffamierte die Hartmann als üble Totfeinde ihres Mannes, die anfangs die Gastfreundschaft ihres Hauses wohl genossen.4 Undank ist der Welten Lohn, dachte sich die Hartmann. Manch eine oder einer, der hier nach Hintergründigem und Skandalträchtigem lechzte, wäre ohne sie schon längst in der Gosse gelandet. Aber es kam noch dicker.

Hofrat Schuch bestätigte, dass seine Frau, wenn sie von Gastspielen heimkehrte, der Hartmann stets kleine Aufmerksamkeiten, Bonbonieren und Kinderspielzeug mitbrachte. Wegen günstiger Kritiken in der Zeitung übergab Kammersänger Bulß mal eine Wandleuchte zu 52 Mark (entspricht heute etwa 374 Euro)5, einem Mops, ein Boule Service zu 130 Mark (936 Euro), Porzellanbesteck für 200 Mark (1.440 Euro). Das hatte gewirkt.4 Das ganze Königliche Hoftheater (Semperoper) habe die Hartmanns mit Geschenken überhäuft, so der Kammersänger. Frau Hartmann habe nämlich die Methode verfolgt, etwas in einer gewissen Art zu wünschen, so dass die Künstler sich genötigt fühlten, es ihr zu schenken.

Auch die Dresdner Nachrichten berichteten ausführlich vom Prozess.
Auch die Dresdner Nachrichten berichteten ausführlich vom Prozess.

„Das werde ich künftig auch machen“, rief der aufgehende Stern am Alberthimmel, das Fräulein Link, in die Runde. „Damit beeinflusse ich dann den Intendanten, was die Rollenbestzungen betrifft.“ Der Koberstein erwiderte trocken, dass sie auch ohne Geschenke am Ohr des Intendanten und noch sonst wo hänge. Er sei bloß neidisch, reagierte schnippisch die Link. Max Richelsen holte sich mit donnerndem Bass die Regie des Abends zurück.

Ein Geschenkebasar

„Der Geschenke ist noch nicht genug gegeben“, so Richelsen. Vom Buchhändler Pierson gab es einen teuren Orientteppich, weil Herr Hartmann dafür sorgte, dass die Musikstücke des Vaters in der Oper gespielt wurden. Vom Musikalienhändler Ries gab es aus Hamburg Importzigarren für 500 Mark (3.600 Euro).5 Von Professor Lamperti aus Italien kam eine große Lieferung Champagner. Natürlich geschenkt. Lamperti betrachtete die Angelegenheit aber als „kleine Aufmerksamkeit ohne Hintergedanken. Das sei in Italien so Sitte.“4

„Natürlich gab es auch wohlwollende Aussagen zu Luise Hartmann. So sagte der Sänger Sontag, dass er zwar stets nur gute Kritiken über sich lesen konnte, deren Ursachen aber nie in irgendwelchen Zuwendungen bestanden, sondern allein seinem Können zuzuschreiben waren. Auch andere sprächen ähnlich“, so Obermime Max.

Dass die Hartmanns nicht zur ärmeren Schicht der Dresdner Einwohnerschaft gehörten, sah man darin, dass auch die Häuser, die sie mit Grundstücksspekulationen erworben hatten und deren Wohnungen sie an Künstler vermieteten, eine Rolle spielten. Andere Zeugen sahen in diesem Prozess eine Verleumdungsaktion gegen die Hartmanns, um diese zu Fall zu bringen. Neid, Missgunst und die Nichtanerkennung ihrer miserablen künstlerischen Leistungen sei deren Motiv.

Auch Luise Hartmann brachte sich immer wieder schlagfertig in den Prozessverlauf ein. Den Herren Bulß und Ries warf sie Undankbarkeit gegenüber ihrem Mann vor. Sie hätten sich doch stets in ihrem Hause satt gegessen und getrunken und meistens die Soirée6 schwankend verlassen.

Die späte Stunde forderte ihren Tribut

„Und wie endete das Ganze?“, rief das Fräulein Berg, um die Erzählung von Max Richelsen etwas abzukürzen. Die Aufmerksamkeit der anderen Künstlerinnen und Künstler im Lokal ließ nämlich merklich nach. Und der hatte ein Einsehen.

„Bemerkenswert war noch, dass der Anwalt der Gegenklage der Hartmann, der Rechtsanwalt Thürmer, nämlich die Seiten wechselte. Er verglich die Hartmann mit einer Katze und bezeichnete es als verhängnisvollen Fehler, dass er die Gegenklage einreichte. Auch bezweifelte er, dass alle Künstler der Zeugenschaft stets die Wahrheit gesagt hätten.

Und der Anwalt des Herrn Meyer forderte eine Gefängnisstrafe, die „die Frau Hartmann zwar nicht bessern, aber ihr der Aufenthalt nicht als ein klimatischer, wohl aber als moralischer Kurort heilsam sein werde.“ Gelächter breitete sich in der Gaststube aus.4

„Und die Hartmann sagte nichts dazu?“, rief der alte Mime Jaffé dazwischen.

„Oh doch“, hub Max zum Finale an. „Sie stellte sich dar als Opfer der Geyerschar der undankbaren Künstler. Es sei für sie und ihrem Mann schrecklich, den ganzen Tag ihr Haus von Künstlern belagert zu sehen, die immer Etwas, aber stets eine Gefälligkeit vom Rezensenten verlangten. Auch der Violinist Meyer sei ihrem Mann diesbezüglich angegangen. Diese Mimen, Musiker und Schmierenkomiker verführten ihren Mann, schmeichelten ihm und drängten ihm die Geschenke regelrecht auf. Damit baten sie ihren Mann um auswertige Gastspiele, um Einladungen zum Empfang für international bekannte Künstler. Dann schluchzte sie und sprach unter Tränen, dass sie und ihr Mann dieses Amt des Kritikers nicht mehr ausüben und Dresden schnellstens verlassen wollen.“4

Das Urteil

„Und wie lautete es? Spann uns nicht auf die Folter. Zu dieser späten Stunde haben wir keine Geduld mehr“, schrie sichtlich genervt das Fräulein Link. „Ich brauche meinen Schönheitsschlaf.“
Alles lachte.

„Nun das Urteil. Die Klage des Herrn Meyer wurde bestätigt, da sich seine Sicht als wahr erwiesen habe. Luise Hartmann darf Dresden so schnell nicht verlassen. Für fünf Monate lebt sie nun auf Staatskosten auf kleinstem Raum ohne Champagner und Geschenken.“4

Eilig und wohlig besäuselt verließen die meisten der Albertianer das Lokal. In der allgemeinen Aufbruchstimmung konnte Max Richelsen leider nicht mehr die neueste Nachricht verkünden, nämlich die, dass sich die Dresdner Nachrichten von ihrem langjährigen Musikkritiker Ludwig Hartmann mit sofortiger Wirkung getrennt hatten.7

Anmerkungen des Autors

1 Claqueur – jemand, der bestellt und bezahlt wird, um Beifall zu klatschen
2 Doyen – Dienstältester
3 Der Calculator Nr. 552 von 1883
4 Dresdner Nachrichten vom 25. Mai 1883
5 Kaufkraftäquivalente historische Beträge, Deutsche Bundesbank, 2022
6 Soiree – exklusive Abendgesellschaft; festlicher Abendempfang
7 Dresdner Nachrichten vom 25. und 26. Mai 1883


Unter der Rubrik „Vor 100 Jahren“ veröffentlichen wir in loser Reihenfolge Anekdoten aus dem Leben, Handeln und Denken von Uroma und Uropa. Dafür durchstöbert der Dresdner Schriftsteller und Journalist Heinz Kulb die Zeitungsarchive in der Sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek. Der vorliegende Text ist literarischer Natur. Grundlage bilden die recherchierten Fakten, die er mit fiktionalen Einflüssen verwebt.

Ein Kommentar

  1. Von Bestechungen der Kritiker damals bis zur Hundekot-Affäre heute. Meine Güte, welche Abgründe für ein bisschen fame…

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