Um 1845 wurden in der Inneren Neustadt auf dem Grund der ehemaligen Festungsmauern neue Straßen und Häuser gebaut. Die Birkengasse, errichtet im Biedermeierstil, fügte sich in das Ensemble des Barockviertels an der König– und Hauptstraße ein. 1878 bekam sie den Namen des Schriftstellers Gustav Nieritz, der 1795 in unmittelbarer Nähe, auf der Antonstraße, geboren ward.
Nieritz besuchte drei Jahre die Kreuzschule, danach das Lehrerseminar in der Dresdner Friedrichstadt und wurde Lehrer – wie sein Vater. Er unterrichtete jene Armenkinder, die vor Schulbeginn eine warme Brotsuppe erhielten. Im Nebenjob gab er Klavierunterricht für wohlhabende Kinder bürgerlicher Eltern, die ihn oft recht unwirsch behandelten.
Doch auch die Malerei liebte der vielseitige Lehrer. Er malte vorwiegend Ansichten seiner näheren Umgebung. Zu bekannten Persönlichkeiten, die zu jener Zeit in seiner Gegend wohnten, hatte Nieritz wenig Kontakt. Während sich in den Salons des Dichters Ludwig Tieck die Honoratioren der Stadt trafen, verfasste der Armenlehrer insgesamt 117 Jugendschriften und 113 Erzählungen für Erwachsene. Seine Geschichten wurden sogar ins Französische, Englische, Russische, Tschechische, Polnische und Niederländische übersetzt. In seinem letzten Werk, einer Selbstbiografie, schilderte Nieritz das einfache Leben des Schulmeisters und die aus seiner Sicht unheile Welt. Der Armenlehrer und Schriftsteller sah die Ereignisse seiner Zeit aus einer anderen Sicht als seine berühmten Dichterkollegen.
Mitleidig Achseln zucken
In seiner Selbstbiografie befürchtete Nieritz: „Ich bin darauf gefaßt, manche gehässige Beurteilung über meine Biografie zu hören. Man wird mitleidig die Achseln zucken, tadeln und spotten, dass ein unstudierter Schulmeister, so viel Zeit und Papier verschwendet hat, um sein einfaches Leben der Öffentlichkeit zu übergeben. Ich bin ferner darauf gefaßt, dass auch mein Name und meine Schriften der Vergangenheit anheimfallen werden.“
Doch seine Arbeiten wurden gelesen! Erich Kästner war ein begeisterter Leser der Bücher des schreibenden Lehrers. Dort, wo Nieritz in unmittelbarer Nähe aufgewachsen, gelebt und gestorben ist, wurde 1878, zwei Jahre nach seinem Tode, das Nieritz – Denkmal eingeweiht. Der 52-jährige Bildhauer Gustav Kietz schuf diese Bildhauerarbeit. Das Denkmal steht an der nördlichen Theresienstraße an der Kreuzung zur Nieritzstraße. Es zeigt eine Marmorbüste des Schriftstellers auf einer mit Kränzen geschmückten Granitsäule. Um die Säule bewegen sich zwei Kinder, die die Kränze halten.
Die Nieritzstraße ist ziemlich schmal. Am Eingang von der Königsstraße steht ein Ürachtbau im Stile einer Villa. Die Wohnungen in der Straße waren für damalige Verhältnisse sehr modern, denn jede Wohnung hatte ein Bad mit Wanne und einen Kohle-Badeofen. Sowohl im Dachgeschoss als auch im Keller lebten Menschen. Die Kellerwohnungen lagen unterhalb des Straßenpflasters und es fiel kaum ein Lichtstrahl in die Zimmer.
Die Nummer 11 (an der Ecke zur Theresienstraße) hat eine besondere Bedeutung. Es war ein Hospiz, als Martha-Heim bekannt. Marthaheime waren im Königreich Sachsen von christlichen Vereinen gegründet worden und befanden sich in größeren Städten, so in Bautzen, Chemnitz, Dresden. Die Herbergen boten für geringe Vergütung Verpflegung und Schutz vor Gefahren.
Die Dresdner „Ostermädchen“
In Dresden wurden einst die „Ostermädchen“ aufgenommen. Zu Ostern, dann, wenn die Konfirmandinnen und Schulabgängerinnen aus der Umgebung in die Stadt strömten, um in Dresden in Brot und Lohn zu stehen, wurden sie von Missionarinnen auf dem Neustädter Bahnhof erwartet. Der Ort war für „sündige Vergehen“ bekannt. Die christlichen Damen fürchteten, dass manches der Mädchen auf ein Abenteuer aus war und boten den gefährdeten Mädchen eine vorübergehende Bleibe. Sie unterstützten die „Ostermädchen“ bei der Stellensuche. In Annoncen wurde das Martha-Hospiz als „Damenheim für weibliche Dienstboten“ beworben.
Aus dem Dresdner Hospiz wurde 1921 die Sophienschule, ein Pensionat für gebildete junge Mädchen. Während der DDR – Zeit nutzten christliche Vereine mehrere Räume des Hauses, unter anderen befand sich hier eine Mütterberatungsstelle. Nach der politischen Wende wurden die denkmalgeschützten Häuser saniert, teilweise entstanden in den Kellerräumen kleine Werkstätten. Die Häuser Nummer elf und neun wurden zum Hotel umgebaut, als „Martha–Hotel“ wahrt es christliche Traditionen.
Die Nieritzstraße
- Die Straße auf dem Stadtplan von dresden.de