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Die Schoko-Erfinder Jordan & Timaeus I.

Wer hats erfunden? Es waren nicht die Schweizer! Seit 2011 ist klar, dass die Milchschokolade hier in Dresden das Licht der Welt erblickte. Und zwar ganze 36 Jahre vor den Eidgenossen, die 1875 damit auf den Markt kamen. Seitdem ist diese Gaumenfreude für viele ein wahrer Lebensgenuss, gar eine Götterspeise.

Und dass es sich um eine Speise der Götter handle, ging auf den auch hierzulande bekannten schwedischen Naturforscher Carl von Linné zurück. Theobroma = Götterspeise. Unter diesem Namen registrierte er in seiner Genera Plantarum die Kakaopflanze. Diese Pflanze stammte aus Mittelamerika. Die Azteken nannten sie lt. Linné „Kakaohatl“.1

Die Erfinder der ersten Milchschokolade: Gottfried Heinrich Christoph Jordan und August Friedrich Timaeus
Die Erfinder der Milchschokolade: Gottfried Heinrich Christoph Jordan und August Friedrich Timaeus

Das große Fest

Der 3. Mai 1923 war ein Donnerstag. Für die Äußere Neustadt war es ein sehr denkwürdiger. Hunderte Bürger, ganze Familien, viele Kinder aus der Nachbarschaft, die Honoratioren aus Politik und Wirtschaft, die Presse – alle waren vor Ort. Ein Jubiläum besonders seltener Art galt es gebührend zu ehren. Die Schokoladenfabrik Jordan & Timaeus beging ihr hundertjähriges Bestehen und zählte somit zu den ersten und 1923 noch bestehenden Fabriken dieser Art in ganz Deutschland.2

Timaeus-Villa im Hinterhof der Alaunstraße 71. Foto von 1992
Timaeus-Villa im Hinterhof der Alaunstraße 71. Foto von 1992: SLUB/Deutsche Fotothek; Aufn.-Nr.: df_hauptkatalog_0424681, Villa-Timaeus-Alaunstr-71b, CC BY-SA 4.0

Die Kinder der Belegschaft und auch viele ihrer Freunde und Gespielinnen konnten sich mal so richtig satt essen an dem, was es an Süßigkeiten in der Produktpalette gab und was für viele Familie in dieser Zeit der galoppierenden Inflation unerschwinglich war. Köstliche Pfefferminzkugeln, zauberhafte Dragees, herrliche Schokoladenplätzchen mit buntem Liebesperlenschmuck, berühmte Milchschokoladenstückchen und Bruchschokolade dunklerer Art. Es war, als wenn Ostern, Pfingsten, Geburtstage und Weihnachten auf einen Tag fielen.3 Der Garten der Lüste öffnete seine Tore.

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Hier im Geviert zwischen Alaun- und heutiger Jordanstraße, der jetzigen Timaeus- und des Gebietes östlich der Königsbrücker Straße gratulierten das Sächsische Wirtschaftsministerium, die Stadträte Reichert, Braun und Christof, die Dresdner Kaufmannschaft, die Industrieverbände. Zu sehen waren auch die Inhaber der anderen Schokoladenunternehmen in Dresden. Der jetzige Chef, Max Mittenzwei nahm geduldig die vielen Glückwünsche entgegen. Auch die Belegschaftsvertreter kamen und stifteten eine große Muschelkalktafel mit Widmung. Alle rühmten das Jubelunternehmen, das über die Grenzen des Reiches hinaus bekannt war und dessen Produkte ob ihrer Qualität weltweit gerühmt wurden.2

Musik, Kaffee, Trinkschokolade und Limonaden rundeten diesen schönen Nachmittag ab, der wohl im Gedächtnis nicht nur der kleinen Schleckermäuler besonders haften blieb.

Chocoladen-Fabrik von Jordan und Timaeus aus dem Album der Sächsischen Industrie, 1856
Chocoladen-Fabrik von Jordan und Timaeus aus dem Album der Sächsischen Industrie, 1856

Wo alles begann

Die verheerenden Zerstörungen in Dresden während des Siebenjährigen und den Wüstungen durch die Napoleonischen Kriegen brachten erst in den zu Ende gehenden zehner Jahren des 19. Jahrhunderts zarte Pflänzchen eines wirtschaftlichen Aufschwungs in die Residenz. Unternehmertum war gefragt.

Zwei Vertreter dieser Spezies taten sich zusammen: Gottfried Heinrich Christoph Jordan (1791-1860) und August Friedrich Timaeus (1794-1875). Ein Glücksfall für sächsisches Unternehmertum. Das Gelände, das sie erwarben, lag fast am Ende der Alaungasse.4 Die Sandwüste der Heide erstreckte sich damals fast bis zum Schwarzen Tor der Neustadt.5

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Lange Zeit hieß die Gegend auch „Auf dem Sande“.6 In der Nähe der Einfahrt zur heutigen Katharinenstraße befand sich jahrhundertelang bis 1732 der Hochgerichts- und Galgenplatz für die Hinrichtungen tatsächlicher und auch vermeintlicher Verbrecher.7 Also keine 1A-Lage, dafür wohl im Grundstückspreis sehr günstig. Nach und nach entstand hier ein großer Fabrikkomplex.8

(Fortsetzung folgt)

Anmerkungen des Autors

1 siehe Volltext Genera Plantarum, mehr in der Wikipedia
2 Dresdner Nachrichten vom 4. Mai 1923
3 Dresdner Neueste Nachrichten vom 3. Mai 1923
4 die Alaungasse wurde 1862 in Alaunstraße umbenannt, siehe Stadt-Wiki Dresden
5 Am Schwarzen Thor – mehr dazu im Neustadt-Geflüster
6 Später wurde die Gegend vor dem Schwarzen Tor und dem Bautzener Platz Antonstadt und dann Äußere Neustadt genannt. Der Bautzener Platz erhielt nach dem Tod von König Albert dessen Namen. Zu DDR-Zeiten hieß er Platz der Einheit, nach der Wende wieder Albertplatz.
7 Mario Sempf „Vom Hängen und Würgen – Dresdens schaurige Geheimnisse“, Verlag salomo publishing, Dresden
8 Album der Sächsischen Industrie, Band 1, Seiten 61 bis 63, erschienen 1856


Unter der Rubrik „Vor 100 Jahren“ veröffentlichen wir in loser Reihenfolge Anekdoten aus dem Leben, Handeln und Denken von Uroma und Uropa. Dafür durchstöbert der Dresdner Schriftsteller und Journalist Heinz Kulb die Zeitungsarchive in der Sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek. Der vorliegende Text ist literarischer Natur. Grundlage bilden die recherchierten Fakten, die er mit fiktionalen Einflüssen verwebt.

10 Kommentare

  1. Wußte gar nicht, daß es diese Villa da immer noch im Innenhof gibt.
    https://goo.gl/maps/tjDwsV5J1mdEovWN8
    Leider kommt man da nicht so richtig ran zum Gucken, oder?

    Teile der alten Fabrikgebäude dieses größeren Innenhofes gibt es auch noch, wenn auch nicht die Schokofabrik an sich, aber tlw. hat Auto-Opitz einige der Flachbauten. https://stadtplan.dresden.de/?permalink=1JkZ1BqB

    Ich vermute, daß das eigentliche Schokofabrikareal erst in den 1930er Jahren dem Neubau der Timaeusstraße geopfert wurde – bis auf die Villa samt Nebenflügel.

    Und nicht zu vergessen die honorigen Garblagen beider auf dem Inneren Neustädter Friedhof.
    August Friedrich Timaeus (1794-1875)
    https://www.dresden.de/media/bilder/denkmalschutz/ToD21_29_Innerer_neustaedter_Friedhof_Timaeus_Ellen_Hoenl_klein.jpg
    Gottfried Heinrich Christoph Jordan (1791-1860)
    https://de.wikipedia.org/wiki/Gottfried_Jordan#/media/Datei:Grab_Gottfried_Jordan.jpg

    Und selbstverständlich ein herzliches Danke an Heinz Kulb für die historischen Recherchen.

  2. Vielen Dank für die Ergänzungen. Sie spielen in den nächsten Folgen noch eine Rolle.

  3. ^ Der richtige Link müßte dieser sein:
    https://www.altesdresden.de/index.htm?get_haus=alauz73
    Das ist das Bild von oben im Artikel, mehr scheint’s nicht zu geben.

    Nebenan (laut altesdresden.de) an der Försterei18, wo KFZ-Opitz ist, war jedenfalls schon in der Kaiserzeit
    1910 – August Hoegg, Dresdner Automobil- Droschken- Gesellschaft
    1932 Curt Mähler GmbH Mietautos, Reparaturwerkstatt
    https://www.altesdresden.de/index.htm?get_haus=foer018

    Sowie an der Försterei13 eine
    1915 – Max Baum Militär- Effecten- Fabrik Perina (Postkarte)
    1917 Obst & Schubert, Techn. Neuheiten u. Schuhbedarfsartikel
    1927 Schubert & Sachse, Biere
    1938 Sächsische Motoren- und Maschinenfabrik Otto Böttger
    https://www.altesdresden.de/index.htm?get_haus=foer013

    So könnte man nun die ganze Antonstadt mal durchstöbern, wer mag.
    Es gab zahlreiches Gewerbe in teils richtigen Fabrikbauten in den Höfen.
    Aber mal abwarten, was Heinz Kulb noch fortsetzen wird.

  4. Die Dt. Fotothek hat auch keine weitere Aufnahme der Fabrik, aber googeln bringt eine PDF – siehe dort die interessante Industriehistorie um Jordan & Timaeus auf pdf-Seiten 10+11 (Titel „Milchschokolade aus Dresden“, Publikation des Industriemuseums Chemnitz):
    https://web.saechsisches-industriemuseum.com/fileadmin/data/Chemnitz/Infothek/Museumskurier/kur_43.pdf

    Interessant ist, daß anfangs (kuh)milchfrei aber mit Eselsmilch gearbeitet wurde. Jordan stammt aus Celle und Timaeus aus dem Harz, dann trafen sich beide in der nahen Residenz Wolfenbüttel, später konnten sie ein Grundstück vor Dresden auf unbebautem Land erwerben, und gründeten dort zunächst die „Chicorien und Runkelrüben Caffee Fabrik“ zur Herstellung von Kaffeeersatz. Sie waren dann 1851 sogar auf der Weltausstellung in London mit ihren Schoko-Produkten etc. Aber lest selbst in der pdf.

    Ich habe die winzige Zeichnung aus einem Briefkopf von 1901 mal neu gezeichnet. Man schaut aus Osten auf die Alaunstraße und über das Fabrikareal. Im Grunde deckt es sich einigermaßen mit der Lithografie von 1856 oben.
    https://abload.de/img/zjordantimaeusoofpp.jpg

  5. „Wer hats erfunden? Es waren nicht die Schweizer! Seit 2011 ist klar, dass die Milchschokolade hier in Dresden das Licht der Welt erblickte. Und zwar ganze 36 Jahre vor den Eidgenossen, die 1875 damit auf den Markt kamen. Seitdem ist diese Gaumenfreude für viele ein wahrer Lebensgenuss, gar eine Götterspeise. “

    Mit dieser Geschichte und Dresdens Tradition als Schokoladenhauptstadt Deutschlands vor dem 2. Weltkrieg ließe sich doch wunderbar Werbung in Sachen Tourismus betreiben. Gezielte Förderung der Schokoladenindustrie und „Wer schon immer mal die weltweit erste Milchschokolade probieren wollte, muss einfach nach Dresden kommen“ Kampagne. Man legt die Urmilchschokolade mit Eselsmilch neu auf und verkauft sie exklusiv in Dresden. Das lässt sich wunderbar vermarkten. Schokolade zieht immer. Warum macht die Stadt Dresden dass nicht?

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