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Schoko-Erfinder Jordan & Timaeus III.

„In einem seiner sieben Häuser bin ich geboren.“ Irritiert blickte ich mich um und sah eine alte Frau mit ihrem Rollator stehen und mich freundlich anlächeln. Ich stand gedankenversunken auf dem Inneren Neustädter Friedhof hinter dem Bischofsplatz vor dem Grabmal des Firmengründers Heinrich Christoph Jordan. Gedankenversunken deshalb, weil ich für den dritten Teil meiner Reihe keine passende Erzählung finden konnte. Große Leere in meinem Kopf.

Grab von Gottfried Jordan auf dem Inneren Neustädter Friedhof
Foto: Paulae auf Wikipedia, Grab von Gottfried Jordan auf dem Inneren Neustädter Friedhof, CC BY-SA 3.0

„Sind Sie ein Nachkomme?“, fragte sie. „Ich? Nein, nein. Ich bin hier, weil ich Inspirationen suche. Ich schreibe eine kleine Serie über den Schokoladenkönig. Momentan stecke ich in einem geistigen Loch.“ Die ältere Dame lachte auf und sagte dann: „Mein Großvater war Arbeiter bei Jordan & Timaeus und bekam eine der begehrten Werkswohnungen in der Alaunstraße 78. Meine Mutter ist dort geboren und ich 1941 auch.“1

Mein Interesse war geweckt. Und aus Emma Gehrke sprudelten die Sätze nur so raus. Sie erinnere sich an ihren Großvater Richard Wehse, der gern dort gearbeitet habe und ein Tagebuch über sein Leben führte. Leider sei es in den Kriegswirren verloren gegangen. Aber er habe ihr nach dem Krieg viel über „seine“ Schokoladenfabrik erzählt.

Ernst der Große

„Wussten Sie, dass der Sohn des Firmengründers, der Ernst Albert Jordan2, der Initiator des Baus des Alberttheaters am Albertplatz war? Er gründete mit anderen Unternehmern aus der Neustadt dafür eine Aktiengesellschaft. Ohne ihn hätte es diese Perle am Albertplatz wohl nie gegeben. Mir tut heute noch das Herz weh, wenn ich daran denke, als die Ruine 1950 dem Erdboden gleich gemacht wurde.

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Auch Dresdens oberster Denkmalschützer Fritz Löffler war gegen den Abriss. Retten konnte er die beiden Eingangsfiguren Tanz und Musik.3 Aber das Theater passte wohl nicht in die ideologischen Betonköpfe der damaligen Herrschenden. Da sieht man, was verbohrte Denkstrukturen anrichten können.“

Alberttheater am Albertplatz - Postkarten von 1913
Alberttheater am Albertplatz – Postkarten von 1913

Im Gegensatz dazu war Ernst Albert Jordan ein freigeistig liberaler Mann. Als es gegen die Pandemie des 19. Jahrhunderts ging, die Cholera, unterstützte er den Ingenieur Bernhard Salbach bei der Verbesserung der Wasserversorgung der Stadt durch den Bau der Saloppe. Dabei wurde natürlich gefiltertes Wasser aus der Elbaue gewonnen.4

„Apropos Elbe“, bemerkte Emma Gehrke. „Steuern runter war auch damals schon ein Anliegen der Liberalen.“ 1863 forderte der Jordan, innerhalb des Deutschen Zollvereins die Zollstationen auf der Elbe auf eine einzige zu beschränken, was auch bald geschah.

Wie sein Vater, war auch Ernst Albert von 1863 bis zu seinem Tode 1892 Abgeordneter der Zweiten Kammer des Sächsischen Landtages und auch Mitglied im Stadtverordnetengemium Dresden. Beim Ausscheiden dort, wurde er zum Ehrenbürger der Stadt ernannt. Da steht er noch heute in der Liste.5

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„Und wie war er so? Als Person meine ich“, wollte ich wissen. „Das wird Sie überraschen. Kein eiskalt rechnender Kapitalist. Rechnen konnte er schon“, schmunzelte sie. „Wenn ich mich recht an die Worte meines Großvaters erinnere, soll er von einem fast weichem Wesen gewesen sein. Scharfer Streit, plumpe Agitation und heftige Opposition waren ihm zuwider.

Aber wehe, er sah irgendwo ein Unrecht, egal ob im Persönlichen, im Unternehmen oder in der Politik, dann war von Weichheit nichts mehr zu sehen. Dann wurde er zur Furie, zum flammenden Redner und gewaltigem, schlagfertigen Kämpfer, so erzählte es mir mein Großvater. Und so soll es auch in der Zeitung Gartenlaube gestanden haben.“2

Ernst Albert Jordan als Landtagsabgeordneter
Ernst Albert Jordan als Landtagsabgeordneter

Auch die Errichtung des Zweitwerkes im böhmischen Bodenbach (Podmokly) 1854 war seine Idee. Dort brachte er andere Mitglieder seiner weit verzweigten Familie der Jordans, Timaeus und der Bachs unter.2 Und Ehrungen bekam er zuhauf. Neben der erwähnten Ehrenbürgerschaft Dresdens erhielt er die höchste sächsische Auszeichnung, das Ritterkreuz 1. Klasse des Königlich-sächsischen Verdienstordens.

„Den Verdienstorden gibt es übrigens heute wieder“, warf Emme Gehrke ein. „Nur ist es kein Königlicher und ein Ritterkreuz gibt es auch nicht mehr dazu. Haben ja schließlich eine Republik.“ Vom König Albert erhielt er 1885 den Titel Königlich-sächsischer Geheimer Kommerzienrat.

„Ein wahrlich großer Mann. Er war übrigens einer der ersten, der Wohnungen für seine Arbeiter bauen ließ, weil er gutes Personal halten wollte. Auf der Alaunstraße errichtete er sieben Häuser, darunter auch das, in dem ich geboren wurde.“6

Andere Kleine und Große aus dem Hause Jordan & Timaeus & Bach

Da gab es den Franz Jordan, Neffe des Firmengründers in Dresden, der vor allem in der Fabrik im böhmischen Bodenbach wirkte und dort zu Ehren kam.

„Nicht zu vergessen der Max Huster. Er war der angeheiratete Neffe der Tochter der Schwester vom Ernst Albert Jordan und folgte 1892 gemeinsam mit dem Gerhard Timaeus dem Ernst Albert Jordan und dem Albert Timaeus.“ Als sie mein verdutztes Gesicht bemerkte, lachte Emma Gehrke auf. „Nichts für ungut. Das mit den vielen Zahlen und den Verwandtenverhältnissen brauchen Sie sich nicht merken. Und der Maxl zählte 1912, neben Gerhard Timaeus zu den Millionären in Sachsen.“2

Im Böhmischen gab es den Gründer einer Sparkasse, der auch Ritter des Franz-Josef-Ordens im Kaiserlich-königlichem Österreich-Ungarn wurde.

Zwei Künstler aus dem Bach-Zweig der Familie waren auch darunter. Einer, Guido Bach, wurde ein noch heute gehandelter Maler, der andere wählte den Freitod.2

Es gab auch Verwandtschaft in den USA, darunter einen Doktor der Philosophie, einen Leiter der Indianerbehörde und einen Bürgermeister.2

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Das reiche Sachsen

Nicht nur Timaeus und Hustig waren Millionäre. Dass 1912 das Königreich Sachsen das Land mit den meisten Millionären im Deutschen Reich war (pro Kopf der Bevölkerung), ist heute kaum zu glauben. Das riesige Königreich Preußen hatte (mit Ruhrgebiet, Berlin und Schlesien) „nur“ etwa 10.000 Millionäre. Und das relativ kleine Königreich Sachsen 1.360. Der Millionärsindex (Millionäre pro Einwohner) war in Sachsen mit 0,283 und 4,81 Millionen Einwohnern höher als der Preußens mit 0,249 und seinen 40,1 Millionen Einwohnern. Der reichste Mann in Sachsen (mit Vermögen, Barschaften, Immobilien, Aktien) war demnach König Friedrich August III. Er brauchte keine Steuern zahlen (wie alle adligen deutschen Herrscher) und hatte ein jährliches Einkommen von fünf Millionen Mark (heute 29,5 Millionen Euro7) und ein Vermögen von 25 Millionen Mark (heute 147,5 Millionen Euro).8 „Reiches Sachsen, wo bist du hin?“, seufzte Emma Gehrke.

Das Ende

Das Ende des Unternehmens kam nicht mit dem großen Brand 1845, der große Teile der Fabrikgebäude zerstörte. Er wurde eher zu einem Push der Firmenentwicklung. Das Ende kam auch nicht mit der Übergabe der Inhaberschaft von Gerhard Timaeus und Konsul Max Hustig an den neuen alleinigen Besitzer Fritz Mittenzwei, der als Konditor im Unternehmen angefangen hatte und der 1927 starb.

Erst die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise machten dem Unternehmen den Garaus. 1930 musste das Werk in Dresden schließen. 1935/36 wurde ein Großteil der Gebäude der Firma abgerissen. Nur die Bodenbacher Fabrik bestand nach 1948 als tschechisches Kombinatsbestandteil bis 1990, wurde von Nestle gekauft und stillgelegt. Heute hat ein Privatunternehmer die Gebäude erworben, restauriert und produziert auch wieder eine Schokolade namens Jordan.9

„Sehen Sie, nun haben wir den Nachmittag hier am Grab vom uralten Jordan gut herumgekriegt. Habe mich gefreut“, sprach mit einem unterlegtem Gaggern Emma Gehrke und lief mit dem Rollator zum Grab ihres Mannes. Und ich hatte endlich meine Schreibblockade überwunden und verließ mit einem Lächeln den Friedhof.

(Schluss)

Anmerkungen des Autors

1 Historisches Adressbuch Dresden 1923 und 1941
2 Blog der Familie Jordan, Timaeus und Bach – jordan-timaeus-bach.blogspot.com
3 Die Figuren stehen heute im Eingangsbereich der neuen Staatsoperette im Bereich des Kraftwerks Mitte.
4 Mehr dazu im Dresdner Stadtwiki – www.stadtwikidd.de
5 Liste der Ehrenbürger der Stadt Dresden, als PDF auf dresden.de
6 Das waren die Häuser Alaunstraße 69, 71, 73, 75, 77, 79 auf der linken stadtauswärts liegenden Häuser und die Nr. 78 auf der rechten Seite.
7 Kaufkraftäquivalente historische Beträge in deutschen Währungen, Bundesbank, Stand März 2023
8 Jahrbuch des Vermögens und Einkommens der Millionäre im Königreich Sachsen, Ausgabe 1912 von Rudolf Martin, Berlin. Die reichste Frau Sachsens war 1912: Sara Gräfin Henckel von Donnersmarck, Dresden, Wiener Straße 17 mit einem Vermögen von 8,2 Millionen Mark (48,3 Millionen Euro) und dem jährlichen Einkommen von 360.000 Mark (2,12 Millionen Euro).
9 Uwe Hessel, Neue Deutsche Biografie, Seite 287 und 288, 2016, Timaeus, August Friedrich Christian


Unter der Rubrik „Vor 100 Jahren“ veröffentlichen wir in loser Reihenfolge Anekdoten aus dem Leben, Handeln und Denken von Uroma und Uropa. Dafür durchstöbert der Dresdner Schriftsteller und Journalist Heinz Kulb die Zeitungsarchive in der Sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek. Der vorliegende Text ist literarischer Natur. Grundlage bilden die recherchierten Fakten, die er mit fiktionalen Einflüssen verwebt.

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