„Sarrasani gehört zu Dresden wie der Zwinger“ – so lautete einst der Slogan des weltbekannten Zirkusunternehmens.
Die Zeitungen berichteten nach der Eröffnung am 22. Dezember 1912, dem vierten Adventssonntag, von der grandiosen Premiere unter Anwesenheit der Königsfamilie. Die Dresdner Nachrichten schwärmten: „von einer Zierde der bisher architektonisch vernachlässigten Dresdner Neustadt“. Das „Circus-Theater der 5.000“ war der erste feste Zirkusbau Europas. Polizeiakten verweisen allerdings auf nur 3.860 Zirkusplätze.
Die Stadt Dresden hatte dem Unternehmen ein fast 6.000 Quadratmeter großes Gelände für den Bau eines festen Gebäudes angeboten. Der Zirkusgründer Hans Stosch-Sarrasani, Artist und Clown, mit Spitznamen „August der Starke des Zirkus“, erwarb kurzerhand die Flur zum Preis von achtzig Mark pro Quadratmeter. Der Vertrag sah vor: „binnen ein und demselben Jahr von der Übergabe an, einen massiven Zirkus zu errichten, der im Inneren allen Ansprüchen der Neuzeit und in seiner äußeren Gestaltung den höheren stadttypischen Ansprüchen entspricht.“
Stosch-Sarrasani beauftragte den Chemnitzer Architekten Max Littmann, am Dresdner Königin-Carola-Platz1 einen festen Rundbau zu errichten. Das Bauunternehmen Heimann & Littmann nahm 20 Firmen unter Vertrag und begann im Frühjahr 1911 mit den Erschließungsarbeiten. Littmann (1862-1931), vor allem durch das Münchner Hofbräuhaus und mehrerer Theaterbauten bekannt geworden, schuf mit dem Circus-Theater einen völlig neuen Bau für Darbietungen verschiedenster Art.
Das Gebäude erhielt eine prächtige, im Durchmesser 47 Meter große Kuppel, eine versenkbare Manege von über 13 Metern Durchmessern. Die Bühne hatte eine stattliche Höhe von über 17 Metern. So ein Prachtbau kostete natürlich viel Geld und die Kosten brachten Sarrasani zeitweise tatsächlich in Schwierigkeiten. Letztendlich leuchtete in Großbuchstaben SARRASANI vom exklusiven „Zirkuszelt“.
Feuersicherer Aspestvorhang
Zu besonderen Höhepunkten erstrahlten 42.000 Glühlampen am „feuersichersten Circustheater Europas“. Druckknöpfe und Temperaturmelder reagierten automatisch auf einen eventuellen Brand. Sofort sperrte ein Asbestvorhang die Bühne ab. Dieses Vorwarnsystem fand unverzüglich internationale Nachahmung. Feuerwehrleute aus ganz Europa kamen nach Dresden, um die feuersicheren Ränge, Logen und Galerien sowie der umfangreichen Stallanlagen aus Backstein zu erkunden.
Der Zirkus besaß zeitweise 250 Pferde, 100 Raubtiere und ständig 22, mitunter sogar 27, Elefanten. Der Direktor schuf sogar ein eigenes Wappen – darauf Elefantenköpfe. Weiterhin entwarf der Elefantenliebhaber silberne Abzeichen – als Signet: ein Elefant mit erhobenem Rüssel. Das „Glückselefanten – Zeichen“ war nummeriert, sein verdienstvoller Besitzer registriert. Zur Attraktion gehörte das regelmäßige Baden der Großtiere. Die Dresdner strömten zur Elbe, sobald die Elefanten ins Wasser stapften. Sogar eine Postkarte über das Elefantenbaden flatterte in die Geschäfte und brachte guten Gewinn.
Aufsehen erregte zudem die Notschlachtung eines Elefanten. Der Wirt des Dresdner Lokals „Bärenschenke“ kaufte das Fleisch und bot seinen Gästen „gesülzten Elefantenfuß in feiner Kräutertunke“ an.
Dresdner Sensation
In den Wintermonaten war Sarrasani die „Dresdner Sensation“, zu Weihnachten präsentierte der Zirkus eine faszinierende Revue und lockte die „einfachen Leute“ in sein „Volkstheater“, erstklassige Artisten, darunter mehrere Liliputaner, begeisterten das Publikum.
Im April vor 111 Jahren zählte eine Truppe mit Sioux-Indianern und dem Häuptling Edward Two-Two zu einem absoluten Höhepunkt. „Indianer kommen!“ überschrieben die Dresdner Nachrichten ihren Bericht. Dresdner Schüler hatten schulfrei bekommen und strömten in den Zirkus, um einmal dem wilden Westen hautnah zu erleben. Die Werbung versprach eine spannende Handlung, ein echtes, unverfälschtes Zirkustheater, mit hundert Rossen und Reitern, tollkühnen Kunststücken.2
Die Journale bestätigten die fantastische Wirkung der Schau, zu der tausende Menschen eilten. Sarrasani bekam keine Zuschüsse und musste erhebliche Steuern an die Stadt zahlen. Sein Protest war zeitweise von der Kuppel ablesbar. Dort stand: „Der tot gesteuerte Zirkus“. Die quirligen Zwerge regten andere Künstler zu Inspirationen an. Die jüdische Malerin Irena Rüther-Rabinowicz schuf das Bild: „Francois – Zwerg aus dem Zirkus Sarrasani“.
Die Malerin war mit dem Zirkusdirektor befreundet und hatte den Knirps auf einem Esel kennen gelernt. Die deutschlandweit bekannte Stofffigurenfabrik Margarethe Steiff übernahm die Rechte an einem Sarrasani- Clown und gestaltete zudem den „Zirkus Steiff“, einen putzlustigen Puppenzirkus, der Kinderherzen höher schlagen ließ.
Der „Grösste Zirkus der Jetztzeit“ bot in den vorzüglich eingerichteten Restaurants beste Speisen und Getränke an. Die „America-Bar“ zeigte Kabarettprogramme. Trotz „fester Bleibe“ zog Sarrasani mit 250 Last- und 30 Personenwagen, 600 Tieren und 800 Zirkusleuten über Land, schlug in 1.000 europäischen Städten und sogar in Asien und Amerika die Zelte auf.
Ringkämpfe, Soldatenräte und Spielfilm
Die „zirkusfreie Zeit“ lockte Einheimische und Auswärtige trotzdem in den prachtvollen Kuppelbau, um am Carolaplatz großartige Ringkämpfe, diverse Sportveranstaltungen und sogar turbulente Parteiversammlungen zu erleben. Am 10. November 1918 diskutierten Soldaten in feldgrauen Blusen und Mänteln mit roten Armbinden. Der Aufruf der Revolutionäre aus Kiel war in Dresden angekommen. Mitglieder von Arbeiter- und Soldatenräten forderten lautstark und energisch: „Schluss mit dem Krieg!“
Drei Tage später dankte der sächsische König ab. 1938, also vor 85 Jahren, kam der Spielfilm „Menschen, Tiere, Sensationen“ zur Uraufführung, der ein Riesenerfolg wurde. Filmemacher drehten den Film teilweise hier. Sarrasani spielte auch am 13. Februar 1945 in seinem eleganten Haus. Plötzlich heulten Sirenen. Clown August stürmte zur Bühnenmanege, schlug einen Purzelbaum, stolperte über seine eigenen Füße und sagte: „Es ist Fliegeralarm, bitte gehen Sie sofort nach Hause!“
Die meisten Besucher strömten in die Luftschutzkeller und erlebten die schrecklichste Bombennacht. Fieberhaft versuchten die Zirkusleute, die Tiere in die Ställe zu bringen. Eine halbe Stunde nach dem Alarm brannte „Europas schönster Zirkusbau“, 33 Jahre Stammsitz von Sarrasani. Die imposante Kuppel stürzte durch die Feuerglut zu Boden. Mehrere Zirkusbesucher schafften nicht die Flucht in die Notunterkünfte. Der zweite Angriff auf Dresden, rund drei Stunden später, zerstörte den berühmten Zirkusbau, die „Zierde der Dresdner Neustadt“ voll und ganz.
Autor Dietmar Sehn
- Der Autor dieser Zeilen ist 1944 geboren und wuchs in der Inneren Dresdner Neustadt auf. In unregelmäßigen Abständen bereichern seine Texte das Neustadt-Geflüster. Er hat mehrere Dresden-Bücher geschrieben. Sein aktuelles Buch trägt den Titel „Historische Kriminalfälle aus Sachsen“ und ist im Suttonverlag erschienen, ISBN: 9783963033001.
Anmerkung der Redaktion
1 heute Carolaplatz
2 Heute gibt es, unter anderem von der Gruppe „Dresden postkolonial„, Kritik an dem Programm der damaligen Zeit, vor allem an den sogenannten Völkerschauen.
- Lediglich die Sarrasanistraße und ein 2007 aufgestellter kleiner Brunnen erinnern heute am alten Standort. Mehr zur Geschichte des Zirkus im Dresdner Stadtwiki.
- Der Name Sarrasani lebt heute mit magischen Dinner-Shows in Dresden fort.