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Mehr städtischer Wohnraum – Petition

Unter dem Hashtag Mietwahnsinn versammeln sich verschiedene Gruppen, um gegen steigenden Mieten und zunehmende Privatisierung von Wohnraum zu kämpfen. Jan Reißig und Stefan Kalkowski erläutern gegenüber dem Neustadt-Geflüster ihr Anliegen. Sie haben mit anderen eine Petition gestartet, um die Stadt aufzufordern, alle von der Vonovia angebotenen Wohnungen zurückzukaufen.

Unterstützer der Petition/ Kalkowski links, Reiszig mitte -Foto: Julius Bachmann
Unterstützer der Petition/ Kalkowski links, Reiszig mitte – Foto: Julius Bachmann

Neustadt-Geflüster: Die Stadt Dresden hat angekündigt, 3.000 Wohnungen zurückzukaufen. Euer Ziel ist es, dass sie alle von der Vonovia angebotenen, also 6.000 Wohnungen, kauft. Warum ist die Hälfte nicht genug?

Kalkowski: Die 3.000 Wohnungen reichen nicht, weil die Stadt ohnehin selbst kaum Wohnungen hat. Die Problematik sieht man regelmäßig daran, dass immer dann, wenn die Stadt Unterkünfte oder Wohnungen braucht, diese nicht vorhanden sind. Dann müssen Wohnungen teuer angemietet werden und es werden Zwischenlösungen geschaffen. Letztes Beispiel ist die unsägliche Diskussion um die Containerunterbringung1.

Auch beim Thema Wohnungslosigkeit ist die Stadt auf Anbieter von außen angewiesen. In dem Fall ist es meistens die Vonovia mit den Belegungswohnungen. Die Stadt selbst besitzt nur ein Prozent des Wohnungsmarktes, Vonovia dagegen fünfzehn Prozent. Das heißt der Spielraum, um Wohnungspolitik in der Stadt zu gestalten, ist bei dem Konzern größer als bei der Stadt.

Die Vonovia verfügt über mehr als 40.000 Wohnungen in Dresden, die Stadt selbst besitzt nicht mal ein Zehntel davon. Wie ist es dazu gekommen?

Reißig: Die Privatisierungswelle hatte verschiedene Phasen in der Stadt Dresden. Woran sich die meisten erinnern, ist der Verkauf des kompletten Wohnungsbestandes an die Gagfah, heute Vonovia, im Jahr 2006.2 Das hat aber auch eine Vorgeschichte, in den Neunzigern wurde bereits ein Großteil der Wohnungen an Privatunternehmen verkauft.

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Kalkowski: Der Verkauf 2006 war bloß noch der Rest, den die WOBA verkaufen konnte. Vor dem ersten Abverkauf war der kommunale Wohnungsbestand deutlich größer.

Die Stadt hat mit dem Verkauf 2006 ihre gesamten Schulden getilgt. Ist das nicht sinnvoll, um größeren finanziellen Spielraum zu haben?

Reißig: Das war ein ganz großer Fehler, der damals schon absehbar war. Zum einen war der Verkaufspreis unterirdisch und zum anderen war der Handlungsspielraum weg. 2006 war bereits klar, dass Dresden wieder wachsen würde und dennoch wurde verkauft. Den getilgten Schulden stehen auch die Immobilien entgegen. Vor dem Verkauf war Dresden in dem Sinne reicher, denn die Immobilien waren mehr als ihren Verkaufspreis wert.3 Die Stadt hat sich also arm verkauft und diesen Fehler gilt es jetzt zu korrigieren.

Kalkowski: Man muss auch sagen, dass es damals eine starke Gegenwehr gab. Es ist nicht so, dass es von einer großen Mehrheit der Stadt getragen wurde. Es gab starke Stimmen, die sich gegen diese Veräußerungen gestellt haben. Aber leider sind selbst bei den Linken damals Stadträte umgefallen, also haben dem Verkauf zugestimmt, was eine Katastrophe ist.

Das Immobilien-aktuell-Magazin4 berichtet, dass die Kaltmiete bei Vonovia durchschnittlich leicht unter dem Dresdner Mietspiegel liegt. Kann die Stadt als kommunaler Vermieter den Bürgern ein besseres Angebot machen?

Kalkowski: Die Frage ist nicht, ob die Stadt ein besseres Angebot als Vonovia machen kann. Zunächst muss man klarstellen, warum ist das so? Die Kaltmiete bei Vonovia ist aktuell so niedrig, weil noch so viele Belegungswohnungen5 existieren. Die Gagfah hatte sich beim Verkauf verpflichtet, dass sie ein bestimmtes Kontingent an sozialem Wohnraum zu Verfügung stellt. Diese Vereinbarung gilt noch bis 2036.

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Sobald diese ausläuft, steigen auch die Mieten. Vonovia hat seit Jahresbeginn an ein Viertel seiner Mieter Mietpreiserhöhungen geschickt. Egal wem die Wohnung gehört, bleibt die Belegungsbindung bestehen. Wenn die aber ausläuft, hat eine Stadt immer bessere Möglichkeiten dennoch kostengünstigen Wohnraum anzubieten als ein Aktionärsunternehmen, das immer auf eine gewisse Dividende schielt. Vonovia hat jedes Jahr Milliarden an ihre Aktionäre ausgeschüttet und das Kapital ist weg, es fehlt jetzt für kostengünstigen Wohnraum und bei der Sanierung.

Reißig: Außerdem werden jetzt diese 6.000 Wohnungen verkauft und die Frage ist, was macht ein privater Investor damit? Der versucht ein Maximum an Gewinn daraus zu holen. Hingegen hat eine Stadt viel mehr Möglichkeiten, langfristig zu planen.

Vonovia spart Kosten bei der Sanierung und Instandhaltung ihrer Wohnungen. Kann die Stadt Dresden eine bessere Pflege der Gebäude gewährleisten?

Kalkowski: Allgemein ist die Investition in Bau derzeit ein schwieriges Thema. Die WiD hat gerade Projekte auf Eis gelegt, weil sich die Baukosten verdoppelt haben. Das Problem trifft zwar alle, aber die Stadt als staatlicher Player hat deutlich günstigere Finanzierungsmöglichkeiten. Sie kann sich an den gleichen Kreditkonditionen wie der Bund bedienen. Gegenüber einem Privatunternehmen hat sie die deutlich besseren Startbedingungen.

Reißig: Der Börsenwert von Vonovia hat sich in kürzester Zeit mehr als halbiert. Deshalb und wegen der stark gestiegenen Zinsen stehen solche Unternehmen gerade sehr unter Druck und haben wohl absehbar nicht viel Spielraum für notwendige Sanierungen. Wir sehen die Investition in die Gebäude der Stadt langfristig an. Das heißt, eine Stadt plant für 30 bis 50 Jahre, sie ist nicht von Aktionären abhängig und kann deutlich besser in den Bestand investieren.

Nun hat die Stadt Dresden für den Kauf der Wohnungen 40 Millionen Euro im Haushalt eingeplant, der Rest soll über Kredite finanziert werden. Es scheint alles sehr teuer zu werden. Wie soll sich die Stadt noch weitere Wohnungen leisten können, wenn jetzt schon das Geld nicht reicht?

Kalkowski: Momentan ist in Dresden wieder eine Haushaltssperre, es wird über Schulden immer in einer Art und Weise gesprochen als seien Schulden gleich Schulden. In dem Fall geht es um Investitionskosten, die in einen nachhaltigen Besitz fließen. Ein Besitz, den die Stadt hält und dem gegenüber permanent laufenden Kosten stehen. Beispielsweise mietet die Stadt Wohnungen bei Vonovia für die Unterbringung von Personen, die Bürgergeld beziehen. Das ist in keiner Weise nachhaltig, Dresden bezahlt Geld an solche Unternehmen und die zahlen es als Dividende an ihre Aktionäre. Man spricht von konsumtiven Schulden, die sich im Gegensatz zu Investitionsschulden, niemals auszahlen werden.

Reißig: Aus unserer Sicht ist es falsch, von Schulden zu sprechen, es sind Investitionen. Jeder Euro, den die Stadt für diese Gebäude ausgibt oder an Krediten aufnimmt, ist sinnvoll angelegt. Solange hingegen der Bestand der Stadt nicht wächst, werden die konsumtiven Ausgaben immer weiter steigen.

Was sind eure nächsten Schritte, um eurem Ziel näher zu kommen?

Reißig: Es ist wichtig zu handeln, weil jetzt die 6.000 Wohnungen verkauft werden. Mit jeder Unterschrift, die wir bekommen, wird die Forderung stärker und der Druck auf den Stadtrat steigt. Es ist wichtig, jeden davon zu überzeugen diese Petition zu unterzeichnen und sie auch in seinem Haus bekannt zu machen.

Kalkowski: Danach wird es eine Debatte im Stadtrat geben und wir werden darauf drängen dort zu sprechen. Wir hoffen das es eine große, interfraktionelle Entscheidung zu Gunsten unseres Anliegens gibt.

Weitere Informationen:

Anmerkungen

1 Wohncontainer für Geflüchtete, Pressemitteilung der Stadt Dresden.
2 Genaugenommen wurde damals der Immobilienbestand der Woba-Dresden für 1,75 Milliarden Euro an den Infestor Fortress verkauft und anschließend in die Gagfah eingegliedert. Die Gagfah wiederum fusionierte mit der Deutsche Annington zur Vonovia. Details in der Wikipedia.
3 Die 1,75 Milliarden Euro lagen seinerzeit über dem Buchwert des Wohnungsbestandes.
4 Immobilien-aktuell-Magazin
5 belegungsgebundene Wohnungen kann man nur mit Wohnberechtigungsschein mieten

3 Kommentare

  1. Gibt es auch eine Petition, dass die Grundsteuer trotz Reform ab 2025 nicht über das aktuelle Niveau steigt? Die Grundsteuer wird 1:1 an die Mieter weitergereicht. Die Höhe der Hebesätze bestimmt die Stadt.

    Es wäre daher gut, dass nicht nur Vonovia&Co. daran „erinnert“ werden, es nicht zu übertreiben, sondern auch den Staat. Durch dessen Agieren und Handeln ist es in den letzten 1,5 Jahren zu erheblichen Steigerungen bei den Betriebskosten gekommen. Weiteres ist zu befürchten, wenn die „Ampel“ ihr Heizungsgesetz durchbekommt.

  2. Die DVB ist Pleite, die Stadt hat Haushaltssperre, es müssen Millionen für Flüchtlingscontainer aufgewendet werden, die Steuereinnahmen werden laut Schätzung zurückgehen und dann kommen Phantasten und wollen (bei stark steigenden Zinsen) marode Bruchbuden kaufen (die Vonovia wird nicht ihr Tafelsilber anbieten). Warum soll die Mehrheit der Stadtbevölkerung mittels Steuern und Abgaben die queren Träume einiger weniger finanzieren? Die Welt ist groß und das Dorf ist nah. Und dort gibt es leerstehenden nutzbaren Wohnraum. Es gibt ein Menschenrecht auf ordentliches Wohnen. Es gibt aber kein Menschenrecht auf wohnen für billiges Geld im angesagten Viertel einer Großstadt. Und was die „zunehmende Privatisierung von Wohnraum“ betrifft: Jedes Haus der Inneren und Äußeren Neustadt wurde bis 1945 von Privatleuten gebaut und selbstgenutzt oder vermietet. Und es hat funktioniert. Erst als der Staat (egal in welcher Gesellschaftsordnung) das Bauen und Vermieten übernahm, brach das System zusammen. Und bevor der Einwand kommt – Wohnungsbaugesellschaften (wie u.a. in Wien) funktionieren durch die Einlagen ihrer Mitglieder die dadurch Miteigentümer sind.

  3. @ Linie 3: Kannst dich gerne drum kümmern, so eine Petition zu organisieren. Glaube aber nicht, dass es funktionieren wird, weil momentan eher zu erwarten ist, dass die Gemeinden ihre Hebesätze senken (und trotzdem auf dem gleichen Einnahmeniveau bleiben können). Und ja, ansonsten braucht es auch eine Streichung der Modernisierungsumlage, damit nicht immer nur die Mieter*innen für Energiewende und Klimaschutz zu Kasse gegebeten werden.

    @ Guardian:Die große Mehrheit in Dresden wohnt zur Miete. Und für die hat es nur Vorteile, wenn die Kommune in eigenes oder gesellschaftliches Wohneigentum investiert. Das ist nix phantastisches, sondern selbstverständlich.

    Und ja, das mit den maroden Bruchbuden ist sicher nicht ganz verkehrt. Die spannende Frage ist, warum es solche Häuser überhaupt gibt? Die Vonovia fährt mit ihrem Wohnungsbestand in Dresden riesige Gewinne ein, wie kann es denn da sein, dass Häuser verfallen? Der Punkt scheint ja eher die Position der Petition zu bestätigen: Wohnungsbestände gehören besser nicht in die Hände von renditegetriebenen Unternehmen.

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