„Das duftet aber nach herrlich frischem Kuchen“, rief begeistert Gertrud Schramm zur Bäckersfrau Klothilde Kirsten über Ladentheke und schnüffelte mit ihrer Nase. „Streuselkuchen, liebste Hilde. Gerade frisch aus der Backstube“, antwortete die Bäckersgattin.
„Da nehme ich zwei Stück mit. Das wird meinem Arthur freuen, wenn er von seiner Sonnabend-Droschkentour heimkommt. Dieser heiße Sommertag im Juli 1913 lädt nicht unbedingt zu einem längerem Bummel in ein entlegenes Gartenlokal ein. Da ist es bei mir zu Hause am kühlsten.“
„Ich nehme auch zwei“, kam es aus dem Munde der Schankwirtin Edeltraud Hoffmann von der Arbeiterfalle1 „Gleichheit“ aus der Hechtstraße 21. „Und einen Vierpfünder von eurem doppelgebackenem Roggenbrot.“ Dem schloss sich Gertrud an.
„Habt ihr für den Kuchen auch frische Eier genommen, Frau Meisterin Klothilde?, fragte die Kneiperin etwas misstrauisch die Bäckersgattin.
„Was ist denn mit dir los? Hat dich dein Mann mal wieder nicht erfreut, weil er besoffen war? Wir haben nur gute Zutaten in unseren Kuchen. Was denkst du denn?“, fauchte die Bäckersfrau die Wirtin an.
„Ich meine ja nur. Man hört halt hier und da so Sachen.“
„Welche Sachen und wo hier und da“, rief erregt Klothilde und stemmte ihre Fäuste in die ausladenden Hüften.
„Ich meine ja nicht eure Bäckerei, Hildchen“, was die besagte Bäckerin beruhigte.
Und die Gattin des Droschkenkutschers holte zu einer Erklärung aus. So soll es im Konsum, ein paar Häuser weiter die Hechtstraße rauf, mehrfach vorgekommen sein, dass die Verkäuferinnen das eine oder andere faule Hühnerei unter die frischen schoben. Nur um die Verluste einzugrenzen.2
Der Uhlig aus der 61 ist das erst letzte Woche passiert. Durch so ein schlechtes Ei hatte sie ihren ganzen Kuchenteig versaut. Dabei muss die jeden Pfennig umdrehen. Eine Schande ist das. Und ausgerechnet im Konsum, der als Genossenschaft doch den Arbeitern gehörte. Dem stimmten alle zu, auch wenn sie sich selbst nicht den Proleten zurechneten.
„Ich habe mal in der Neustädter Markthalle vernommen, dass eine Frau, die ein faules Ei zurückbrachte, beschimpft wurde, weil sie nicht nachweisen konnte, dass sie besagtes Ei bei denen gekauft habe“, erklärte die Schankwirtin. Da helfe auch nicht das Durchleuchten mit einer Kerze oder einer elektrischen Lampe.
„Man sollte sich schon Zeit lassen mit der Kontrolle der Eier“, fuhr Edeltraud Hoffmann fort. „Und dann gäbe es auch einen Trick, um festzustellen, ob das Ei gut ist. Das habe ich mal von einem Koch gehört. So soll man das Ei zwischen Daumen und Zeigefinger an den Polen festhalten. Dann haue man die Handkante, das Ei natürlich haltend, fest auf den Tisch. Ein gutes Ei soll dabei nicht kaputt gehen, eine faules schon. Besagter Koch meinte, dass der Stoß auf die Tischplatte angeblich die Zellen der Eierschale so verdichten würde, dass selbst bei einem Hammerschlag das Ei nicht zerbreche.“2
Aber das stieß bei der Damenrunde auf Skepsis. „Weißt du Traudel, das kannst du gern machen, wenn es bei euch Rührei mit Kartoffelbrei oder Eierkuchen gibt“, lachte die Bäckersfrau und die Kutschersgattin nickte eifrig.
„Ich habe da ein ganz anderes Problem, meine Lieben. Vielleicht könnt ihr mir raten.“ Die beiden anderen Damen reckten neugierig ihre Hälse in Erwartung einer brenzlichen Neuigkeit. „In unserem Dachstuhl haben sich Holzwürmer eingenistet.“
„Oh mein Gott, Traudel. Das kann teuer werden. Und die fressen doch schon ganze Wälder kahl.“ „Mitnichten“ widersprach Klothilde. „Das verwechselst du mit einem Käfer, der nach der Borke der Kiefern und Fichten benannt sein soll. Der Holzwurm im Haus aber, der legt angeblich seine Eier schon in der Möbelfabrik in das Holz, welches dann zu deinem Schrank verarbeitet wird. Damit bezahlst du ihn schon, wenn du deine Möbel kaufst und fütterst ihn zum Dank dazu noch durch. Oder er wandert durchs Fenster in deine Bude ein und sucht sich die schönen Leckerbissen in deiner Wohnung in aller Ruhe aus. Und die trockenen Schranktüren liebt er besonders. Dort schlüpfen dann seine Kinder als Larven und fressen sich nun zwei Jahre lang durch deine Möbel, bis diese irgendwann in sich zusammenfallen.3
Die Frau Wirtin schlug erschrocken die Hände über den Kopf zusammen. „Um Gottes Willen. Kann man denn gar nichts tun?“
„Naja“, meinte Gertrud. „Es soll schon ein Mittelchen geben. Ich habe das von meinem Arthur gehört. Der hat es wiederum von einem Freund. Und dessen Großvater will es in einer Zeitung gelesen haben. Und so soll man es selbst herstellen können: Für das Kampfmittel nehme man einen Teil Kochsalz, einen Teil Pfeffer, ein paar Senfkörner, zwei bis drei Zehen Knoblauch, fein gehackt und einige Wermutblätter. Dann rühre man alles in zwei bis drei Liter Spritessig ein. Diese Mischung muss man intensiv einkochen. Diese angedickte Beize streiche man dann zweimal auf das befallene Holz.“3
„Und das soll helfen?“, bemerkte Edeltraud skeptisch. „Probiere es aus. Zumindest schadet es nicht“, erwiderte Trudchen.
„Was heißt, nicht schaden“, bemerkte spitz das Traudelchen. „Das riecht mir sehr nach Quacksalber.“
Klothilde winkte ab und bemerkte konsterniert: „Dann soll dir doch das Dach auf deinen sturen Nischel fallen.“
Das wiederum stieß Edeltraud sauer auf, die eine Mark und 50 Pfennige für Brot und Kuchen auf die Theke der Bäckerei warf, beide Pakete in ihren Korb verfrachtete und beleidigt den Laden verließ.
Gertrud und Klothilde blickten ihr nach. „Keine Sorge, Hildchen. Die kommt wieder. Nirgends hört die doch so viel Klatsch wie hier. Und Klatsch braucht die, sonst stirbt die noch an Herzdrücken. Zudem ist die doch in ihrer Kneipe das wandelnde Tageblatt vom Hechtviertel.“
Anmerkungen des Autors
1 etwas verächtliche Bezeichnung der besser Betuchten für die Eckkneipen in den Arbeitervierteln, in denen die meist männlichen Arbeiter einen Teil des Lohnes versoffen haben
2 Dresdner Nachrichten vom 1. April 1913
3 Dresdner Chronik (ehemals Montagspost) Nr. 13 vom 28.3.1898
4 übertriebene schamhafte Haltung
5 Verhalten einer Person, die damit einer anderen gefallen möchte.
6 den nötigen Respekt vermissen lassen
Unter der Rubrik „Vor 100 Jahren“ veröffentlichen wir in loser Reihenfolge Anekdoten aus dem Leben, Handeln und Denken von Uroma und Uropa. Dafür durchstöbert der Dresdner Schriftsteller und Journalist Heinz Kulb die Zeitungsarchive in der Sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek. Der vorliegende Text ist literarischer Natur. Grundlage bilden die recherchierten Fakten, die er mit fiktionalen Einflüssen verwebt.