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Als das Hygienemuseum in die Neustadt hätte kommen können

Gastwirt Louis Peter ließ die Glocke schwingen, um die anschwellende Kakophonie der Bürgerversammlung im Neustädter Kasino auf der Königstraße wieder in geordnete Bahnen zu lenken. Seit einer halben Stunde saßen die Honoratioren aus Wirtschaft und Gewerbe der Dresdner Neustadt zusammen und diskutierten über eine Initiative von Max Böhme, seines Zeichens Inhaber des Restaurants „Albertgarten“ an der Glacisstraße hinter dem Alberttheater. An diesem Montag, den 6. Mai 1912 versammelte er nach intensiver Überzeugungsarbeit mehr als 30 gutbetuchte Neustädter an diesem Ort.

Neustädter Kasino - Postkarte von 1902
Neustädter Kasino auf der Königstraße – Postkarte von 1902

Nach erfolgreicher Hygieneausstellung

Es ging um die Absicht des Odol-Königs Karl August Lingner, nach der erfolgreichen Internationalen Hygieneausstellung in Dresden, sie hatte fünf Millionen Besucher aus aller Welt und endete mit einem Reingewinn von einer Million Mark1, eine dauerhafte Institution namens „Nationales Hygienemuseum“ zu schaffen.2

Bürger wollten auch ein ständiges Hygienemuseum

Max Böhme brachte die durcheinander Diskutierenden endlich zur Ruhe. „Ich weiß, dass Lingner selbst einem Verein zur Veranstaltung der Hygieneausstellung 1911 vorsteht und dort Minister der Sächsischen Regierung und Oberbürgermeister Blüher um sich versammelt hat. Aus gut unterrichteten Kreisen habe ich aber vernommen, dass Lingner die Absicht hat, eine dauerhafte Einrichtung zu bauen. Uns sollte es nun darum gehen, gewissermaßen von unten, rechtzeitig dafür zu sorgen, dass, wie beim Zirkus Sarrasani, die Neuschöpfungen hier auf unserer rechten Elbseite bleiben. Oder wollt ihr keine Geschäfte machen?“, rief er in die Menge. Wenn es um Geld geht – dann Zustimmung.

Widersprüche

Paul Gustav Leander Pfund von besagter Molkerei entgegnete: „Wenn wir uns nicht rühren oder nicht stark auftrumpfen würden, dann haben wir keine Chance. Da hat der Albertgärtner recht. Ich erinnere nur an die Errichtung des Alberttheaters und natürlich an Sarrasani. Beide Einrichtungen haben uns genutzt. Es waren Sternstunden unserer Neustädter Bürgerschaft, die sich gegenüber dem Stadtrat durch setzte. Nicht zu vergessen, wir haben auch noch das Staatsarchiv an der König-Albert-Straße und das Jägerhofmuseum.

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Ich erinnere aber auch an dunkle Stunden, als die Neustädter Bürgerschaft, also ihr Kleingeister, schon vor Jahren den Stadtrat gebeten hattet, ja keine neuen Staatsgebäude zwischen Albertplatz und Königsufer zu errichten, nur um den Straßenverkehr nicht weiter auszudehnen. Das hielt ich schon damals für einen großen Fehler und macht das jetzige Anliegen nicht gerade glaubwürdig.“2

Dresdner Neueste Nachrichten vom 15. Mai 1912
Dresdner Neueste Nachrichten vom 15. Mai 1912

Dem widersprach niemand. Und die, die dabei waren, zogen beschämt die Köpfe ein. Trotzdem hatte eine große Anzahl der Anwesenden Bauchgrimmen. Schließlich ging es um ihr Geld, um damit die Stadt und Lingners Verein gefügig zu machen. Es ging um die Frage, wolle man Großstadt sein und dies in aller Konsequenz oder will man seine kleinstädtische Bürgerruhe. Letztendlich siegte die Brieftasche mit der Sicht auf kommende Füllung.

Vorschlag: Gelände Botanischer Garten

Natürlich war auch bekannt, dass der Botanische Garten an der Stübelallee neben dem Ausstellungspalast als Standort gehandelt wurde. Aber da hatten die wenigsten der Anwesenden Sorgen, denn dieser nützliche Garten der Technischen Hochschule konnte nicht so ohne Weiteres den Ort wechseln. Zum anderen befand er sich fast an der Peripherie des Stadtzentrums und dort kamen kaum Fremde vorbei.

Vorschlag: Königsufer

Und so erwärmten sich immer mehr für den Vorschlag, das geplante Hygienemuseum neben dem Königlichen Ministerium des Inneren4 zwischen Arnimstraße, der neuen verlängerten Hospitalstraße und dem Königsufer zu bauen5. Dort wäre auch Platz für das geforderte Gelände von 6.000 Quadratmetern. Die Lage wäre günstig mit den fünf Straßenbahnlinien und man hätte einen neuen städtebaulichen Blickfang von der Altstädter Seite.3 Viele sahen schon die Touristenströme vor sich und das Geld in der Kasse klimpern.

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Lange Nacht der Angst im Hygiene-Museum

Königsufer - Postkarte aus den 30er Jahren - rechts vor der Staatskanzlei wäre der Platz für das Hygienemuseum gewesen.
Königsufer – Postkarte aus den 30er Jahren – rechts vor der Staatskanzlei wäre der Platz für das Hygienemuseum gewesen.

Und so verfasste man denn mit großer Mehrheit eine Petition an den Stadtrat, an Oberbürgermeister Bernhard Blüher und an Lingners Verein, mit dem Vorschlag, das Hygienemuseum an besagtem Platz zu errichten. Es wäre ein bedeutendes Kulturwerk von internationalem Rang, dass dort einen würdigen Platz im Stadtbild hätte, so die Einreicher. Es dürfe nicht abseits errichtet werden. Somit sei der Platz am Königsufer hervorragend geeignet wie kein anderer für ein Nationales Hygienemuseum. Mit tosendem Beifall wurde die Petition verabschiedet. Im Laufe der nächsten Tage fand man auch die Zustimmung bei vielen Vereinen in der Neustadt.3

Die Träume zerplatzten

Derweil hatte Lingners Verein in der Großenhainer Straße 9, wo man sich in den Räumlichkeiten der Zentralstelle für hygienische Lehrmittel6 einquartiert hatte, andere Sorgen. Man platzte aus allen Nähten. Auf Lingners Anregung und auf Grund seiner Denkschrift von 1912 über die Errichtung eines Nationalen Hygienemuseums wandelte sich der hochrangig besetzte Verein zur Veranstaltung der Hygieneausstellung 1911 im März 1913 in den Verein für ein Nationales Hygienemuseum um.2

Der Erste Weltkrieg, Lingners Tod und die wirtschaftlichen Probleme der Nachkriegszeit ließen die Idee eines Hygienemuseums vorerst begraben. Damit wurde auch aus der Petition der Neustädter Bürgervereine mit dem Projekt am Königsufer nichts. Zwischen 1927 und 1930 wurde dann doch das Hygienemuseum errichtet, aber nicht am Königsufer, sondern, städtebaulich gelungen, in der verlängerten Sichtachse zum Palais im Großen Garten.2

Hätte es diese Umstände nicht gegeben und der gewünschte Standort wäre bestätigt worden, bin ich mir ziemlich sicher, dass am Königsufer kein Modell des jetzigen Hygienemuseums gestanden hätte.

Anmerkungen des Autors

1 entspricht heute etwa 6,2 Millionen € (nach der Liste „Kaufkraftäquivalente historische Beträge in deutschen Währungen“ der Deutschen Bundesbank, Stand März 2023)
2 Lingner-Archiv, Deutsches Hygienemuseum
3 Dresdner Neueste Nachrichten 15. Mai 1912
4 heute Staatskanzlei
5 heute Parkplatz der Staatskanzlei
6 Im Dezember 1911 begründete Lingner eine “Centralstelle für Hygiene”, deren Geschäftsräume sich auf der Großenhainer Straße 9 befanden. Damit erhielt die Zentralstelle alle Werkstätten, Büros und das Pathoplastische Institut, die in Vorbereitung der I. Internationalen Hygiene-Ausstellung hier eingerichtet wurden. Die Zentralstelle diente als „Überleitungsanstalt“ für das zu gründende Hygienemuseum. Zu diesem Zweck übernahm sie die Populäre Abteilung und die Historische Abteilung der Ausstellung und begann mit den Vorbereitungen zum Aufbau des Hygienemuseums. (Quelle: Lingner-Archiv, Deutsches Hygienemuseum)


Unter der Rubrik „Vor 100 Jahren“ veröffentlichen wir in loser Reihenfolge Anekdoten aus dem Leben, Handeln und Denken von Uroma und Uropa. Dafür durchstöbert der Dresdner Schriftsteller und Journalist Heinz Kulb die Zeitungsarchive in der Sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek. Der vorliegende Text ist literarischer Natur. Grundlage bilden die recherchierten Fakten, die er mit fiktionalen Einflüssen verwebt.

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