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1904 – Ein Blick in die Zukunft der Neustadt

Es grenzt schon ein wenig an Kaffeesatzleserei und esoterischem Gemunkel. So suggeriert es diese Überschrift. So ist das eben mit dem Blick in die Zukunft. Sie hat einzig das Problem, dass man genaues halt nie weiß. Und konkrete Planungen, Berechnungen und Mutmaßungen scheitern oft an der verfluchten Realität.

Ausbaupläne für die Königsbrücker Straße gab es schon vor knapp 120 Jahren.
Ausbaupläne für die Königsbrücker Straße gab es schon vor knapp 120 Jahren.

Aber spinnen dürfe man schon. Zumal sich diese Spinnerei an bereits vorhandenen Bauplänen, konkreten Vorstellungen, Kritiken und Wünschen von Bürgern, Vereinen und Stadtverordneten orientierte. Die Rede ist von den Plänen und Vorstellungen der Stadtentwicklung aus dem Jahre 1904 für das Jahr 1925.1

Damals ahnte niemand, dass bis dahin ein Weltkrieg und Revolutionen viele Millionen Menschenleben kosten würden, Europas Landkarte neu entstand, dass Kaiser Wilhelm II. und der sächsische König von der politischen Bühne verschwanden und eine von vielen ungeliebte Weimarer Republik gegründet wurde, dass eine Hyperinflation das Volk verarmen lies und dass das bezeichnete Jahr 1925 in eine Zeit fiel, die man später als die Goldenen Zwanziger bezeichnete. Naja, so goldig waren sie natürlich auch nicht für jeden.

Blick von der Albertbrücke auf die Carolabrücke um 1900. Zeitgenössische Postkarte.
Blick von der Albertbrücke auf die Carolabrücke um 1900. Zeitgenössische Postkarte.

Neue Brücken

So plante man 1904 eine siebente und achte Brücke2 über die Elbe. Die siebente sollte den neuen Schlachthof im Ostragehege mit der Leipziger Vorstadt verbinden und die Nummer acht war für das zu entwickelnde Fabrikgelände in der Friedrichstadt zwischen Hamburger Straße und der Anbindung der Eisenbahn an den Hafen sowie den rechtselbigen Bauprojekten in Übigau angedacht. Auf eine weitere Brücke kommen wir später noch zu sprechen.

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Neue Industrieansiedelungen im Westen

Dass die Wirtschaft das Rückgrat der Stadtentwicklung sei, wusste man auch damals schon. Ohne Moos nix los. Auch nicht im Stadtsäckel. Bis 1925 sollte eine weitere Fabrikstadt westlich der Neustadt auf dem Gebiet von Übigau, Mickten, Trachau und Kaditz entstehen, so die weitreichenden Ideen. Dafür gab es 1904 schon Bebauungspläne, die aber das Licht der Öffentlichkeit noch nicht erblickten, dafür aber in Teilen später realisiert wurden.

Dafür bedurfte es zudem auch des Hochwasserschutzes. Deshalb war in diesem Projekt eine 80 Meter breite Flutrinne von Mickten in Richtung Kaditz vorgesehen3. Eventuelles Hochwasser erführe dadurch eine Verkürzungum etwa vier Kilometer, um die Elbe zu entlasten und die Stadtteile im Westen zu schützen. Als Bebauung waren neben den Fabriken großzügige Wohngebäude, Sportanlagen, wie das Sachsenbad angedacht, dazu breite Straßen, Plätze mit Einkaufsmöglichkeiten und eine moderne Verkehrsinfrastruktur.

Die geplante neue Augustusbrücke

In deren Folge, die Planungen begannen schon 1902, sollte auf der Neustädter Elbseite eine neue Hochuferstraße entstehen4. Da hatte man den zunehmenden motorisierten Verkehr im Blick. Diese Straße wurde als die Fortsetzung des Königsufers gedacht. Sie würde aber die schönen Gärten der Hotels Stadt Paris und Stadt London durchschneiden, was zu heftigen Protesten führte. Weiter sollte die Hochstraße bis zum Garten des Japanischen Palais laufen und dann in den Kaiser-Wilhelm-Platz5 einbiegen. Wegen der öfter vorkommenden Hochwasser hätte diese Straße eine Höhe von 21/2 Meter über das Elbufer haben müssen. Die Neustädter Seite der Straße würden architektonisch attraktive, hochherrschaftliche Gebäude säumen – ein wohl prachtvoller Anblick vom Terrassenufer auf der Altstädter Seite. Die Elbseite der Hochstraße hätte ein Promenadenufer bekommen sollen.

Oppellstraße um 1910 - zeitgenössische Postkarte, Ausschnitt.
Oppellstraße um 1910 – zeitgenössische Postkarte, Ausschnitt.

Die Oppellvorstadt

Der Norden der Neustadt6 würde wohl die größten Veränderungen erfahren. So klagten um die Wende des 19. zum 20. Jahrhundert die Bürger dieser Vorstadt über den beschwerlichen Weg zum Neustädter Bahnhof. Dieser führte 1904 noch über den Bischofsweg zur Königsbrücker Straße und stadteinwärts über die Hellerstraße zum Bahnhof. Eine frisch gebaute Eisenbahnunterführung an der Eschenstraße nahm die Oppell- und die Hechtsstraße auf. Vom Bischofsplatz ginge es über den Dammweg, der damals noch ein Trampelpfad war, zum Bahnhof. Ausgebaut sollte dieser Dammweg mal 17 Meter breit werden. In Richtung Bahnhof war dann zwischen Heller- und Lößnitzstraße ein dreieckiger Platz mit Gärten geplant. Der von dort ausgehende Turnerweg sollte 20 Meter breit werden.

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Die Königsbrücker Straße

Große Veränderungen waren mit weitreichenden Folgen angedacht. Dem Zeitgeist entsprechend, wollte man in der Straße alle Bäume abholzen. Für Truppentransporte von der Albertstadt zum Neustädter Bahnhof und zurück brauchte man den Platz. So sollte die Königsbrücker auf 34 Meter verbreitert werden. Rechts und links war eine geschlossene Bebauung geplant, was auf Teilstücken auch realisiert wurde.

In der Inneren Neustadt

Die Große Klostergasse7 wollte man in Richtung Carolaplatz um etwa zwei Meter aufsteigend anheben. Dafür würde das Hotel „Zu den vier Jahreszeiten“ am Neustädter Markt verschwinden müssen.

Das Linckesche Bad

Diesen traditionellen Vergnügungsort der Dresdner8 seit dem 18. Jahrhundert wollte man vollständig beseitigen, um den Zugang zu einer fünften Elbbrücke zu gewährleisten. Diese Brücke hätte auf der Neustädter Seite in einer 40 Meter breiten Prunkstraße münden sollen, die das Wiesenareal der damaligen Roßnerschen Ölmühle durchlaufen würde, durch die auch die Prießnitz floss. Dadurch würden die Forst- und die Zittauer Straße eine direkte Verbindung mit der Louisenstraße erhalten.

Linckesches Bad - zeitgenössische Postkarte
Linckesches Bad – zeitgenössische Postkarte

Das Wald- und Wiesengelände am Prießnitzbad9 wollte man durch Straßen, die bis zum Alaunplatz gehen, erschließen. Um 1904 wurde diese Gegend als ziemlich wüst bezeichnet. Die Planer erhofften sich, dass hier eine hübsche Kolonie für die Familien der Offiziere der Sächsischen Armee aus der Albertstadt entstehen könnte.

Das Waldschlößchenareal

Dort gab es einen großen Sandberg, der nun für die neuen Bauvorhaben abgetragen werden konnte. Das Negative: dem Bauvorhaben fiel auch der wunderschöne Park am Waldschlößchen zum Opfer. An den vielen Straßen durften laut Bebauungsvorschriften nur Einfamilienhäuser und Stadtvillen im damals modernen Stil errichtet werden. Zudem hatte verpflichtend jeder dortige Hausbesitzer der landeseigenen Baugesellschaft Waldschlößchen beizutreten. Die nördliche Begrenzung dieses Areals war die Verlängerung der Heeresstraße als Carolaallee zur Radeberger Landstraße.

Das „Kirchenfensterstadtviertel“

Heute nahezu unbekannt, befand und befindet es sich im Nordwesten der Neustadt zwischen Großenhainer, Conrad-, Johann-Meyer- und Friedhofstraße. Mittendurch verlief die 40 Meter breite Hansastraße. In deren Zentrum lag ein eiförmiger Platz, von dem Straßen wie Strahlen in das umliegende Gelände ausgingen: die Maxim-Gorki-Straße und die Heidestraße auf der westlichen sowie der Hammerweg, die Hechtstraße, die Bärnsdorfer und die Weinböhlaer Straße auf der östlichen Seite der Hansastraße. Der Eingang zum Friedhof markiert das runde Ende des Eies. Wegen diesem merkwürdigen Gebilde eines namenlosen Platzes, ein damals heftig kritisiertes Bauplanbild, das aus der Sicht der Maxim-Gorki-Straße einem Kirchenfenster ähneln sollte, nannte man damals diese Gegend um den von mir etwas despektierlich genannten Eierplatz „Kirchenfensterstadtviertel“.1

Resümee

Das waren einige der geplanten, gewünschten und teilweise auch realisierten Vorstellungen der Bauentwicklung für die Dresdner Neustadt. Manches erwies sich als Sünde, anderes als Glücksfall, weiteres als Hirngespinst oder tolle Idee. Also eine Mischung aus Realem und Fiktivem. Hinterher ist man immer schlauer. Vielleicht erkunden Sie bei einem Ihrer nächsten Spaziergänge diese oder jene Gegend und lassen dabei diese alten Vorstellungen an Ihrem geistigen Auge vorübergleiten.

Anmerkungen des Autors

1 aus der Sachsenstimme vom 28. August 1904
2 Diese Brückenzählung zwischen Alt- und Neustadt stammt aus dem Jahr 1904 und stimmt nicht mit der heutigen Zählung überein. (siehe mehr dazu in Dresdner Hefte, Nr. 94)

  • Brücke 1: Augustusbrücke; mittelalterliche steinerne Elbüberquerung 1287; Pöppelmannbrücke 1731; Klette- und Kreisbrücke 1910
  • Brücke 2: Marienbrücke 1 von 1852 und Marienbrücke 2 (Eisenbahnbrücke) von 1901
  • Brücke 3: Albertbrücke 1877
  • Brücke 4: Carolabrücke von 1895
  • Brücke 5: (Idee) zwischen Linckeschem Bad und der Johannstadt (etwa an der Stelle der Fähre)
  • Brücke 6: (Idee) vom Waldschlößchenareal zum Johannstädter Krankenhaus
  • Brücke 7: (Idee) vom Schlachthof im Ostragehege zur Leipziger Vorstadt
  • Brücke 8: (Idee) vom Albert-Hafen nach Übigau

3 siehe Wikipedia unter Flutrinne Kaditz. Realisiert wurde das Projekt zwischen 1918 und 1922 sowie bis 1927 erweitert. Beim Hochwasser 2002 reichte die Füllkapazität nicht, so dass Teile von Kaditz und Mickten überflutet wurden.
4 Das Königsufer als Hochstraße sollte einmal auf der Neustädter Seite weiterführend die Augustusbrücke mit der Albert- und der Carolabrücke verbinden. 1910 fand ein Wettbewerb zur Ausgestaltung des Elbufers statt. Stadtbaurat Erlwein gewann zwar den Wettbewerb nicht, aber sein Gesamtkonzept mit Uferhochstraße und repräsentativen Bauten sollte umgesetzt werden. Der Erste Weltkrieg und sein Tod verhinderten das. Nach 1933 wurde für das Neustädter Ufer von Stadtbaurat Paul Wolf eine landschaftlich geprägte Ufergestaltung bevorzugt. Es entstand eine Ufergestaltung mit Gärten, u.a. der Rosengarten, Freitreppen, Pavillons, wie das ins Konzept einbezogene Vogelsche Gartenhaus und Skulpturen. Übrigens, der Bogenschütze ist eine Kopie des Originals von Ernst Moritz Geyger und steht seit 1936 hier am Elbufer.
5 heute Palaisplatz
6 Die Oppellvorstadt ist heute als Hechtviertel bekannt. Benannt wurde diese Vorstadt ursprünglich nach Hans Ludwig von Oppell (*1800 – †1876). Er war der Sohn eines Kammerjunkers am Sächsischen Hof, später Polizeipräsident von Dresden und Amtshauptmann. 1836 bis 1841 erwarb er 23 Hektar Land in der Leipziger Vorstadt. Das Gelände hieß damals „Auf dem Hecht“, da mittendurch ein Weg zum Weinberg des Försters Hecht führte. Am Ende des Weges befand sich das Gasthaus „Zum Blauen Hecht“. Oppell plante eine Bebauung seines Grundstückes. Es entstand ein neuer Stadtteil, der „Neuer Anbau auf den Oppellschen Feldern“ hieß, dann Oppelner Vorstadt genannt wurde und später als Hechtviertel in den Alltag einfloss. Eine Straße erhielt 1859 den Namen Oppellstraße. Seit 1956 heißt sie Rudolf-Leonhard-Straße. Oppells Grab befindet sich auf dem Inneren Neustädter Friedhof.
7 Die Große Klostergasse gibt es heute nicht mehr, findet im Stadtwiki aber noch Erwähnung.
8 In einer späteren Geschichte werde ich auf das Linckesche Bad eingehen.
9 NeustadtGeflüster vom 4. Februar 2015, Artikel „Am Prießnitzbad“ von Anton Launer


Unter der Rubrik „Vor 100 Jahren“ veröffentlichen wir in loser Reihenfolge Anekdoten aus dem Leben, Handeln und Denken von Uroma und Uropa. Dafür durchstöbert der Dresdner Schriftsteller und Journalist Heinz Kulb die Zeitungsarchive in der Sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek. Der vorliegende Text ist literarischer Natur. Grundlage bilden die recherchierten Fakten, die er mit fiktionalen Einflüssen verwebt.

3 Kommentare

  1. zu Anmerkung 4:

    Nein, den Bogenschützen auf dem Sandsteinsockel gab es 1902 noch nicht, erst ab 1936.
    Geyger hat ihn 1902 auf einer Kunstausstellung gezeigt, der Abguss wurde damals von der Stadt Dresden angekauft und vorerst eingelagert.
    Die originale Skulptur findet sich in Sanssouci.

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