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Freaks und Fremde mit vierter großer Soci-Werkschau

Die 2023er Werkschau der Dresdner Cie. Freaks und Fremde hat es in sich: vom 29. September bis 30. November 2023 werden im Neustädter Societaetstheater vier aufwändige Produktionen der vergangenen Jahrgänge gezeigt. Es treffen dabei Fassbinder auf Kafka sowie Lion Feuchtwanger auf Eugen Ruge – allesamt Literaturadaptionen, die den Urhebern gerecht werden.

"Blut am Hals der Katze"
Start am Freitag mit Faßbinders „Blut am Hals der Katze“. Foto: André Wirsig

Der Start erfolgt am Freitag und Sonnabend (29. & 30. September, je 20 Uhr) mit Rainer Werner Fassbinders „Blut am Hals der Katze“ als Spiel mit lebensgroßen Puppen. Zum ersten von vier Inszenierungsgesprächen mit Gurus der Szene kommt dazu am Sonnabend (30. September) Professor Markus Joss, seit 2013 Leiter Abteilung Zeitgenössische Puppenspielkunst an der Hochschule für Schauspielkunst »Ernst Busch« in Berlin. Er wurde 2005 Nachfolger von Heiki Ikkola als künstlerischer Leiter des Puppentheaters Dresden, damals noch im legendären Rundkino zu Hause. Dieser Bau ist übrigens nur leicht jünger als das Werk von Fassbinder, welches anno 2020 die 30-Jahre-Wendereprise der Freaks darbot.

Unvermeidliche Kontakte

In diesem Zusammenhang, also der vierten Werkschau seit 2009, hat es Sinn, sich die Geschichte anzuschauen: Denn Heiki Ikkola, der just seit 2020 das Soci leitet (und von 2001 bis 2005 der Puppensparte vom Dresdner Theater Junge Generation vorstand), setzt seit jeher auf Schwarmcharme bei der Produktion und bezieht seine künstlerische Umgebung gern in alle möglichen Prozesse ein – in erster Linie natürlich Sabine Köhler, mit der er nicht nur ein Berliner Ernst-Busch-Diplom gemein hat, sondern auch seit 2006 die Doppelspitze bei Cie. Freaks und Fremde bildet und dabei gemeinsam mit rund acht bis zehn weiteren fix assoziierten Künstlern agiert.

Kafkas "Der Bau"
Kafkas „Der Bau“ zum Abschluss am 30. November. Foto: André Wirsig

Das Credo ist seit der ersten Produktion namens „Fremde. Von unvermeidlichen Kontakten und widerstreitenden Gefühlen“ (2006) die kritisch-konstruktive Auseinandersetzung mit dem Anderen, gern Unbekannten bis Unmöglichen – also immer im Konflikt, auch mit sich selbst. Das birgt tendenziell die Gefahr der Überforderung von Publikum aller Art – ist aber besser als das Gegenteil, weil Kunst (wie Publizistik) auf dem Grundsatz fußt: Man darf alles, nur nicht langweilen.

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Vierte Werkschau als Residenzcompagnie

Mit Berufung zum Leiter des Societaetstheater Dresden bleiben die Freaks natürlich eine von vier vertraglich fixierten Residenzcompagnien am Haus, wofür man die Stadt Dresden auch im Nachhinein nur beglückwünschen kann, auch wenn forsches Theater mit gesellschaftlicher Relevanz, welches offen alle Seiten betrachtet, immer weniger in den Schlagzeilen steht. Sie bieten oppulente Theaterwerke in aufregender Unkonventionalität mit überbordender Phantasie inklusive bürgerlichen Gedankenaustausch, welches gängige Genregrenzen geflissentlich ignoriert und auch komplexere und verwöhntere Geister bislang noch nie intellektuell enttäuschte.

"Die Jüdin von Toledo"
„Die Jüdin von Toledo“ vom 12. bis 14. Oktober. Foto: André Wirsig

Das ist, wenn man seit dem Start im Mai 2020 aufgrund der äußeren Umstände überhaupt schon ein Fazit wagen darf, bisher auch in der Soci-Ära gelungen: Denn es ward gespielt so viel wie und so oft es geht. Nicht zu vergessen: der Schönebecker des Jahrgangs 1969, prägte quasi als Co-Direktor des Scheune-Schaubudensommer lange Jahre mit, und rettete ihn in neuer Funktion mit dem Soci als Logistikanker: nun als offenes Straßenfestival auf der Befreiungsallee zwischen Goldpferd und Kreisverkehr der Einheit.

Vierte Werkschau 2023 mit Fokus auf Geplagte

Die vierte Werkschau, umgarnt von einer sorgfältigen Hochglanzbroschüre, bietet als zweites Stück „Die Jüdin von Toledo“ als Mix von Figurentheater und Schauspiel.

Feuchtwangers Roman führt nach Andalusien ins Mittelalter, wo muslimische und christliche Fundamentalisten um die Macht kämpfen und jüdische Weisheit und Gerissenheit not tut. Mit dabei: Kathleen Gaube und Dirk Neumann sowie grandiose Puppen von Christian Werdin: 100 packende Minuten vom 12. bis 14. Oktober (je 20 Uhr), wobei am Freitag (dem 13.) mit Mascha Erbelding und Katja Spiess als „double“-Double vom Szenemagazin für Puppen-, Figuren und Objekttheater zum Inszenierungsgespräch vorgeladen sind, um die natürlich tragisch endende Liebesgeschichte, an der sich trotz des innewohnenden Dreiklangs der religiösen und philosophischen Weisheiten von Morgen- bis Abendland und deren Reibung dank Fremdheit bislang erstaunlich wenige Theaterleute wagten.

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Und auch „Metropol“ wird befreit aus der Dresdner Stasi-Festsaal-Umgebung, die manche (wie Autor Eugen Ruge als Stargast der Uraufführung vor knapp einem Jahr) als doch bedrückend empfanden und kommt nun unverschnupft ins Dresdner Barockviertel und seinem laut Ikkola „bestens verstecktem Theater der Stadt“.

"Metropol" nach Eugen Ruge.
Sabine Köhler und Heiki Ikkola. Vorstellung von „Metropol“ von der Cie. Freaks und Fremde nach Eugen Ruge, fotografiert am 08. Oktober 2022 im Festsaal der Gedenkstätte Bautzner Straße Dresden. Foto: André Wirsig

Für Antistalinist Ruge, 1954 quasi im Uraler Gulag geboren, vom Diplommathematiker zum Erfolgsautor avanciert, ergab sich nach dem Erfolg von „In Zeiten des abnehmenden Lichts“ die Chance, die Moskauer Zeit seiner Großmutter zu beleuchten: Sie war als überzeugte Kommunistin 1937 für 477 Tage im Zimmer 479 im Hotel „Metropol“ zu Gast und dabei zwei Wochen Nachbarin von Lion Feuchtwanger! Allerdings nicht ganz freiwillig, sondern als Opfer von Stalins Säuberungswelle und fortan darüber schweigend, aber dies samt Flucht vor den Nazis über Paris nach Mexiko überlebend.

In ihrer Metropol-Version forschen sich Köhler und Ikkola durch die üppige Romanpersonage sowie deren durchaus diversen Motivlagen sowie andere revolutionäre Dilemmata und spiegeln dabei die Klaustrophobie des drögen Luxushotellebens, wobei die Genossen der Kommunistischen Internationale zunehmend abhanden kommen – nunmehr neu zu erleben vom 4. bis 10. November (außer am 6.11., je 20 Uhr), wobei genau am legendären 7. November Annette Dabs von Fidena, dem Deutschen Forum für Figurentheater und Puppenspielkunst, eigens aus Bochum anreist.

Schon 2017 gelang ihnen eine durchaus zeitlose Analogie zum Prepper der Gegenwart: „Der Bau“ nach einer Vorlage aus dem unautorisierten Nachlass von Franz Kafka zeigt eine weiße Gliederpuppe, die sich (per Stirn!) ein einsames Paradies in fruchtbaren Waldboden gegraben hat, um der gefährlichen Gesellschaft zu entfliehen. Sie hat sich dort als Eremit dank fleißiger wie kluger Arbeit artgerecht Wohlstand und Ruhe erschaffen. Doch die Paranoia vor möglichen Mitessern oder bösen Eindringlingen bleibt, die natürlich darob anrücken: eine aktuelle wie ergreifende Parabel in Analogie auf die neue Angst vorm Fremden und zwangsläufige Isolationsreflexe kommt zum Abschluss der Freakshow (29. & 30. November, je 19.30 Uhr), mit der diese vierte Werkschau endet.

Bei der Diskussion mit Tim Sandweg, Berliner Schaubuden-Chef, am letzten Abend kommen sicher auch andere Werke, die vor dieser Dichter-Fixierung auf eigenen Recherchen oder Zugängen beruhten. Gern erinnert man sich an Brisanz und Weitblick von „Carbon“, „Eldorado“ oder „Songs für Bulgakow“. Auch dies wird sicher als Reprise dann eine Rolle spielen. Zuvor warten jedoch 13 Abende mit in Summe 1330 Minuten praller Spiellust: Geplagte aller Herrenländer: bereinigt Euch.

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4 Kommentare

  1. Ich würde mich sehr über Karten für die „Jüdin von Toledo“ freuen. Es ginge für mich sowohl am 12., wie auch am 13. Oktober. Für den Fall, dass ich Karten bekomme: Vielen Dank!

  2. Ich würde mich sehr über Karten für ‚Der Bau‘ am 29. oder 30. November freuen. Vielen lieben Dank!

Kommentare sind geschlossen.