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Der Deutsche Rote Oktober in Dresden (Teil 2)

Der Saal in der „Reichskrone“ an der Ecke Königsbrücker und Bischofsweg war an diesem Freitag, den 12. Oktober 1923 brechend voll.1 Viele Kommunisten und linke Sozialdemokraten aus der Neustadt wollten ihren neuernannten Finanzminister Paul Böttcher von der KPD sehen und hören. Sattlergehilfe Paul Schrader redete gleich nach dem begrüßendem Stadtvorsitzenden über die Begeisterung der Genossen aus dem Hechtviertel und die Bereitschaft, mit den Proletarischen Hundertschaften die Reaktion zurückzudrängen.

In der Reichskrone, Königsbrücker, Ecke Bischofsweg fanden seinerzeit etliche kommunistische Versammlungen statt. Zeitgenössische Postkarte.
In der Reichskrone, Königsbrücker, Ecke Bischofsweg fanden seinerzeit etliche kommunistische Versammlungen statt. Zeitgenössische Postkarte.

Unter großem Beifall kehrte er an den Tisch seiner Freunde aus der Hechtstraße zurück, die ihm anerkennend auf die Schulter klopften und zuprosteten. Diesmal hatten sie alle ihre Ehefrauen und Freundinnen mitgebracht. Dann wurde der Hauptredner angekündigt. Alle sprangen von den Stühlen auf. Der Beifall schien kein Ende zu nehmen.

Nägel mit Köpfen

Der dröhnende Bass des Finanzministers, der bis in die hintersten Winkel und bei diesem milden Herbstwetter auch durch die offenen Türen bis in den Biergarten, der ebenfalls voller Menschen war, zu hören war, zeugte davon, dass er ein Talent zum Reden hatte. So betonte er zunächst, dass die Bildung der sozialistisch-kommunistischen Regierung in Sachsen ein Signal für ganz Deutschland sei, „dass die Verteidigung des Proletariats eingesetzt habe“ und dass diese neue sächsische Regierung eine wahre „Kampfregierung“ sei. Er feierte „diese Tatsache, die in ihrer geschichtlichen Tragweite noch nicht absehbar sei.“1

Dresdner Nachrichten vom 14. Oktober 1923
Dresdner Nachrichten vom 14. Oktober 1923

Diese Ausführungen rissen die Freunde Ewald Zickler, Gustav Nolle, Horst Müller und Paul Schrader aus dem Hechtviertel und alle anderen im Saal von den Stühlen.

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Dann legte er den Genossinnen und Genossen nahe, diesen revolutionären Vorposten in Deutschland unbedingt zu halten. „Es gehe nicht an, langsame und gemütliche Reformarbeit zu leisten, sondern die Regierung habe es sich zur unmittelbaren Aufgabe gesetzt, schnell Brot und Arbeit zu schaffen.“ Dafür sollten die Großindustriellen und Banken in den kommenden Tagen den Arbeitern von ihrem Besitz ein großes Opfer bringen. Wieder Beifall und Hochrufe auf die neue Regierung.

Brot für Sachsen

Da rief eine Frau von einem Tisch in der vierten Reihe, nachdem der Beifall abebbte, woher die Regierung denn das Getreide für Brot hernehmen wolle, da die Bauern selbst kaum noch was hätten. Und dann kämen noch die Teuerungen durch die Inflation dazu. Stille im Saal. Alle warteten auf die Antwort des Finanzministers.

„Gute Frage, Genossin“, führte er aus. „Die Hungerrevolten und Demonstrationen in den letzten Wochen auch hier in Dresden haben es gezeigt. Das Bürgertum kann und will das Problem nicht lösen. Aber wir. Wir haben bereits Schritte unternommen“, so Böttcher. Der Rapallovertrag mit Sowjetrussland3 gestatte ein direktes Abkommen der sächsischen Landesregierung mit Moskau. Damit erhalten wir Getreidelieferungen unter günstigen Bedingungen.“1 Damit wolle man auch den Wucher der Großbauern und Gutsbesitzer unterbinden.

Biergarten der Reichskrone, zeitgenössische Postkarte
Biergarten der Reichskrone, zeitgenössische Postkarte

Dank an die Proletarischen Hundertschaften4

Darüber freuten sich besonders die Freunde aus der Hechtstraße. Der Minister sagte, dass es diesen Hundertschaften gelungen sei, in den letzten Tagen „eine Auslieferung des Freistaates an den Faschismus zu verhindern. Die Waffen, mit denen der Faschismus das Proletariat bekämfe, müssten jetzt vom Proletariat gegen den Faschismus angewendet werden.“

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Im ganzen Land sollten nun Kontrollausschüsse gebildet werden, um den Kapitalisten und Ausbeutern genau auf die Finger und in die Kassen zu schauen. Zum Schluss appellierte der Minister an die revolutionäre Disziplin der Arbeiterschaft und warnte vor einer Verzettelung der proletarische Kräfte und mündete in den Aufruf: „Haltet alles, was zur Arbeiterschaft gehört, fest zusammen, so brauche es dem Proletariat um seine Zukunft nicht bange zu sein.“1

In der anschließenden Diskussion sprachen Anarchisten, Unionisten, Vertreter des Ortsausschusses der Erwerbslosen, linke Sozialisten und Kommunisten aus der Antonstadt zunächst ihre Unterstützung für die sozialistisch-kommunistische Landesregierung aus.

Aber einige der Anarchisten befürchteten, dass die Kommunisten auf den Ministersesseln von der Macht verdorben würden. Sollte das geschehen, werde man sie erbarmungslos zum Teufel jagen.1 Dabei zeigten sie selbstbewusst auf den anwesenden und blass werdenden Finanzminister Böttcher und erwähnten auch den nicht anwesenden Wirtschaftsminister Fritz Heckert sowie den Ministerialdirektor der Staatskanzlei und KPD-Vorsitzenden Heinrich Brandler.

Ein Tag großer Reden

Im Landtag in Dresden erklärte der Ministerpräsident Dr. Erich Zeigner von der SPD am Vormittag unter den Zwischenrufen und Unmutsbekundungen der Opposition, dass die neugebildete „Regierung der republikanischen und proletarischen Verteidigung“ vollständig sei. Die Rechten und Faschisten unter der Fahne der Deutschnationalen im Parlament vereinigt, haben unter der Losung „Nieder mit dem Marxismus“, dem Sozialismus, der Arbeiterschaft und allen republikanischen Schichten den Kampf angesagt. Das Großkapital in der Industrie, Finanz- und Landwirtschaft sei zur Offensive übergegangen und plane die Niederwerfung der werktätigen Bevölkerung.

Die Gefahren einer großkapitalistischen verfassungswidrigen Militärdiktatur und den weiteren Zerfall der Währung wolle man bannen. Der Staatsapparat werde deshalb schnell von allen gesäubert werden, die direkt oder indirekt eine Militärdiktatur unterstützen. Trotz der Einschränkungen der Pressefreiheit durch den Ausnahmezustand der Reichsregierung gehe es um die Abwehr aller Diktaturgelüste.5

In Berlin hatten am Abend dieses 12. Oktober 1923 Betriebsräte aus der Reichshauptstadt ein Bekenntnis zur Verteidigung der sozialistisch-kommunistischen Regierung in Sachsen und der unmittelbar bevorstehenden in Thüringen6 einstimmig verabschiedet.1

Die Freunde aus der Hechtstraße zog es in ihrer Euphorie, hervorgerufen von der Kundgebung in der „Reichskrone“, dass sie am Beginn wahrhaft großer revolutionärer Ereignisse ständen, die Schluss machten mit ihrem Elend, in das Stammlokal „Rosental“ auf die Hechtstraße 55. Dort erwarteten sie die anderen Genossen zur Berichterstattung und der Wirt mit einem Freibier. Nur die Ehefrauen gingen nicht mit. Zu Hause warteten die Kinder und hatten Hunger.

Teil 2 der Serie. Fortsetzung folgt. Hier geht es zu Teil 1.

Anmerkungen des Autors

1 Siehe Dresdner Nachrichten vom 14. Oktober 1923, Seite 3.
2 Böttcher war nur neun Tage Finanzminister. Mehr zu der spannenden und wechselhaften Geschichte des kommunistischen Politikers in der Wikipedia und in der Erzählung „Wäschekorb“ von Erich Loest.
3 Völkerrechtlicher Vertrag zwischen dem Deutschen Reich und der Russischen Sozialistischen Förderativen Sowjetrepublik vom 16. April 1922. Der Vertrag sollte beide Länder aus der internationalen Isolation nach dem Ersten Weltkrieg führen und die Verhandlungspositionen gegenüber den Westmächten stärken. Beide Staaten verzichteten u.a. auf Reparationen und führten das Prinzip der Meistbegünstigung in den Wirtschaftsbeziehungen ein.
4 Kampfverbände aus Kommunisten und linken Sozialdemokraten, die 1923 eine Revolution in Deutschland herbeiführen sollten, mit dem Ziel einer Sowjetherrschaft. Siehe Richard Sturm „Kampf um die Republik 1919 bis 1923“, Bundeszentrale für politische Bildung, 23. Dezember 2011. Iring Fetscher „Die vergessene deutsche Oktoberrevolution 1923“ in „Jahrbuch für historische Kommunismusforschung“ der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, Berlin 2004.
5 Dresdner Nachrichten vom 13. Oktober 1923, Seite 1
6 Diese wurde am 16. Oktober 1923 gebildet.


Unter der Rubrik „Vor 100 Jahren“ veröffentlichen wir in loser Reihenfolge Anekdoten aus dem Leben, Handeln und Denken von Uroma und Uropa. Dafür durchstöbert der Dresdner Schriftsteller und Journalist Heinz Kulb die Zeitungsarchive in der Sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek. Der vorliegende Text ist literarischer Natur. Grundlage bilden die recherchierten Fakten, die er mit fiktionalen Einflüssen verwebt.