Alice Roger ist zurück: Mit neuer EP, Konzert zum Zehnjährigen und in halbneuer Besetzung startet man nun als Herrenquartett in die zweite Dekade.
Als man mit „Digitale Liebe“ vor zehn Jahren die erste Veröffentlichung wagte, war nicht abzusehen, welche Verwerfungen die Bandszene erfahren würde. Nichtsdestotrotz werden sie am Freitag ihr neues Werk als EP und Video im Netz veröffentlichen und am Sonnabend im Puschkin auch live „Die Wahrheit“, eine rasante Scheibe, kundtun.
Bei Alice Roger, dem Bandprojekt um Frontmann Friedemann Spindler, Großenhainer des Jahrgangs 1985, und Gitarrenfreak Tobias „Tobi“ Bronner, Haaner des Jahrgangs 1975, seit 2014 dabei und Besitzer von „unter 50“ Gitarren, und arbeitet als Architekt. Bassist Sten Kunke ist seit 1995 Stollberger und arbeitet als Industriekletterer, Schlagzeuger Leon Kaufmann, Sondershausener 2003, kam zum Studium nach Dresden und studiert nun seit Herbst in Mittweida Medientechnik und ist wie Spindler schon ein Weilchen als Tontechniker im Musikleben unterwegs.
Vorprägung und Schulbandsünden
Allen gemeinsam ist, dass die Eltern durchaus bereit waren, ihren Söhnen früh musikalische Bildung zu gönnen. Und, dass ihre Begeisterung rasch in eine erste Schulband führte, der Weg gen Dresden erfolgte studium- oder berufsbedingt. Auch beim Abgleich heutiger Ansprüche sind sie auf einer Linie: Man probt nicht zum Spaß, sondern will kräftig wie dynamisch Musik machen, also Songs, Platten und Auftritte – mit diesem Credo sind auch die beiden Neuen in den vergangenen beiden Jahren dazugestoßen und eingestiegen.
Frontmann Spindler verdient seine Brötchen als selbstständiger Ton- resp. Veranstaltungstechniker, was er auch urständig lernte – damit nebenher der Musik gefrönt werden konnte. Sein Vater – von Beruf Pfarrer – lernte als Gitarrist seine Mutter, die Organistin war, als Sängerin einer gemeinsamen Band kennen – so war natürlich einiges an Prägung in den Genen. Der Sohn lernte allerdings erst ein Mal zehn Jahre lang Geige, dann kam – ungefähr zur Pubertät – die E-Gitarre dazu: „Heute alles recht peinlich“, grinst er über seine Großenhainer Beatzar-Zeit, wo aber die halbe Schule hinter ihnen stand.
Kunst statt Pizza
Schon immer schrieb er eigene Songs – und dazu fing er in Dresden 2011 anhand seiner Demos an, gezielt Leute zu suchen. 2012 war dann Alice Roger als Name für ein Quartett geboren – er fand es witzig, zu deutschen Texten einen englischen Bandnamen zu kreieren, der auf Deutsch funktioniert. „Die anderen waren nicht schnell genug dagegen“, grinst er. Aber warum nicht englische Texte? „Damit kann ich Pizza bestellen, aber keine Kunst machen.“ Der Name symbolisiere einfach die gute Zeit, die man miteinander verbringe. Sommer 2013 ward in „Katy‘s Garage“ die erste Scheibe, die EP „Digitale Liebe“ gefeiert – von diesem Quartett ist heute nur noch er selbst übrig, aber schon 2014 kam Bronner als Leadgitarrist dazu. Er sang zuerst in der Wuppertaler Kurrende, damals der fünftgrößte Knabenchor der Republik, spielte später Klavier – und hörte mit Zwölf auf, um sich ganz der Gitarre zu widmen.
Gemeinsam feierten sie rasch eine ganze Welle von Erfolgen: Dem Debütalbum „Wir fliehen vor der Zeit“ (2016) folgte drei Jahre darauf „Polaroid[oid]“, auf dem Spindler auch seine 2018er Jakobswegerfahrungen reflektierte. Alice Roger gewann kurz hintereinander „Sound of Dresden“, den Bautzner Beat-Contest (knapp (in Jahren) hinter Silbermond und Jenix) sowie die Vita-Cola-Clubtour und waren zudem beim Magazin Soundcheck der Newcomer-Acts des Monats. Es folgten Festivals wie Liga Rock oder Rock on the Rocks oder Fête de la Musique in Polen, Frankreich und Straßburg.
Hallenbrand und Findungsphase
Nach dem recht furiosen Start folgte eine schwere Zeit: persönliche Probleme mit Schreibblockade, Seuche und ein Ereignis im Sommer 2022 warf sie fast aus der Bahn: Der Großbrand bei Nestler im Industriegelände, wohl eine Selbstentzündung, erlebten alle auf ihre Weise: Bronner war kurz vorher noch im Haus, um für ein anderes Projekt zu proben, war bis Neun im Haus – und ging noch in Frieden. Halb Zehn erfolgten die ersten Sirenen, am nächsten Tag hatten die Dresdner Tageszeitungen das gleiche Titelbild von der Flammenhölle.
„Wir haben da wirklich viel Glück gehabt. Als das ganze Haus in Flammen stand, ging mit schon der Arsch auf Grundeis – man sah ja nicht, was genau erfasst wurde“, schildert er seine schlaflose Nacht. Er stand bei einem Firmenevent mit Clueso am Monitorpult, als bei den letzten Titeln das Handy unaufhörlich vibrierte und die Nachricht vom Bassisten kam, der just mit dem Flieger ankommend mit der S-Bahn an der Halle vorbeifuhr. Er durfte, in Absprache mit dem Produktionsleiter, schnell los – kam aber nicht richtig ran. Eine Polizistin an der Straßensperre zeigte ihm Videos und sagte, dass alles niedergebrannt sei. „Da war ich schon durch“, schildert er den heißen Sommernachtsalbtraum.
„Aber am nächsten Tage sah man allerdings von der Straße, dass die Scheiben ganz waren, also die Räume verschont geblieben waren, allerdings war sehr viel Wasser durchs Dach geschossen, um den Sockelbau zu erhalten. Die Feuerwehr hatte alle Türen zur Brandkontrolle aufgebrochen, aber wir durften eine Weile nicht offiziell rein, obwohl alles offen stand“, schildert Spindler. Es plünderte zum Glück niemand, durch die Luftfeuchtigkeit gingen Verstärker kaputt, Gitarrenfurniere blätterten ab. Dann musste erst im ganzen Haus die Elektrik neu gemacht werden – es folgte also ein weiteres halbes Jahr Lähmung. Zuvor ging Bassistin Judith, studierte Konzertgitarristin, auch der Schlagzeuger hatte langfristig zu wenig Zeit für die Band. So kamen im März 2022 und im Januar 2023 Sten Kunke und Leon Kaufmann hinzu: ersterer hat auch einen universellen Bandpapa und fing mit Geige an und steht dank Gitarre seit er 13 ist auf der Bühne, der zweite kam über die Bigband an der Musikschule zum Schlagzeug.
Glücksfall für die Subkultur
Doch letztlich ist dieser Probenraum im Industriegelände, in dem Spindler schon seit 2006 ist und der über die Zeit aufwendig ausgebaut wurde, immer noch ein Glücksfall. Heute herrscht dort wieder wildes Proben auf in fast allen Räumen – so karg wie bunt und im Winterhalbjahr so frisch wie preiswert. Und so kann nun, nach mehreren Besetzungswechseln, mit vier Scheiben und zehn Jahren samt rund 150 Konzerte als Erfahrungsschatz der wahrhaftige Neustart gelingen. Bronner bezeichnet den Prozess zur Genese „als etwas schleppender, aber auch organischer“.
Nun haben sie also für Sonnabend über den rührigen Verlag „Oh, my music!“ mit dem Puschkin einen Klub gemietet, der groß genug erscheint und befreundete Künstler eingeladen: Paula Peterssen (vertritt krankheitsbedingt die bislang angekündigten „Weltwärts“), Seventh Floor und zur Aftershow wird DJ Tobi II auflegen – da werden Vollmond samt Mondfinsternis zur Nebensache. Zumal es sowohl verbilligte Solitickets als auch Musikliebhaberkarten (mit einem Schuss am Einlass) gibt. Wer sich musikalisch vorbereiten mag: seit Mitte September ist „Die Formel für mein Unglück“ als Single raus und als Video auf dem Bandkanal, dazu auch ein paar Aussagen zur Entstehung der neuen Songs – die vier Männer im Probenraum versprechen ausgewachsen-dynamische Rockmusik mit sinnvollen, zeitgemäßen Texten als Botschaft. Exklusiv seien zwei Gastauftritte bei ziemlich expressiven Altsongs erwähnt: Franz Grünhagen, charismatischer Sänger von den beiden leider verblichenen Combos „Asyl for Insane“ und „Astrosurfer“, singt als Bandfreund und Ehrengast bei „Niemandsland“ mit, Ex-Drummer Julian Preisser spielt Schlagzeug bei „Emylie“.
Und schaut man sich ihren Liveauftritt von „Macht Lärm“ als Support für eines von etlichen Konzerten von Letzte Instanz in vom Probenraum benachbarten Eventwerk von anno 2014, so ist durchaus gut die Weiterentwicklung bemerkbar. Sie haben viel investiert und freuen sich nun wie wild, zu erkunden, wie ihr Fanklientel die Konzertflaute und die neue Musik verkraftet.
Konzert im Puschkin am Sonnabend
- www.aliceroger.de
- Tickets ab 12 Euro
- Das Neustadt-Geflüster verlost einmal zwei Freikarten. Bei Interesse, bitte eine eindeutige Ergänzung schreiben.
Ich glaub, ich hab die schon mal zur BRN gesehen. Würde ich mir aber wieder angucken.
im Puschkin war ich lange nicht mehr
Würde ich mir gern ansehen
Würde die Tickets echt gerne gewinnen da ich die Band echt gerne mag und ein Ticket gerade zu teuer wäre.
Und gewonnen hat Sven. Du hast ne Mail.