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Der Deutsche Rote Oktober in Dresden (Teil 4)

Die Genossen der KPD im „Rosental“ auf der Hechtstraße1 sind an diesem 1. November 1923 in heller Aufruhr über den Verrat der SPD-Linken in Sachsen und dem des sozialdemokratischen Reichspräsidenten Friedrich Ebert, der dem Militärputsch der Reichswehr in Sachsen Tür und Tor öffnete, um die proletarische Regierung im Freistaat zu stürzen.

Paul Schrader, der Kommandeur der inzwischen verbotenen Proletarischen Hundertschaft im Hechtviertel, der gerade aus dem Gewahrsam des Polizeipräsidiums entlassen wurde, kam mit seinen Ordnungsrufen nicht durch. Stinksauer waren alle darüber, dass der politische Generalstreik durch die Funktionäre der SPD, der Rest-USPD, des ADGB und einiger verräterischer Landesfunktionäre der KPD abgebrochen wurde.

Neustädter Markt - Postkarte von 1921
Neustädter Markt – Postkarte von 1921

Die Reichswehr besetzte Dresden

Als die Reichswehr unter General Müller am Vormittag des 23. Oktober 1923 von der Albertstadt her in die Innenstadt marschierte2, war Paul Schrader mit einigen Genossen auf dem Neustädter Markt zu Agitationszwecken unterwegs. Sie konnten nicht glauben, was sie dort sahen. Hunderte Bürgerinnen und Bürger jubelten dem Militär zu, schwenkten weiße Taschentücher. Berittene Sicherheitspolizisten hielten die Hauptstraße und den Markt frei. Der General hielt vor dem Neustädter Rathaus eine Parade seiner Truppen ab. Vorneweg die Kavallerie, danach eine Militärkapelle, der sich die Infanterie und mehrere unter Dampf stehende Gulaschkanonen anschlossen. Es folgten die Artillerie mit Gefechtskanonen, Munitionswagen und anderes.

Dresdner Volkszeitung vom 23. Oktober 1923
Dresdner Volkszeitung vom 23. Oktober 1923

Paul Schrader und sein Agitationstrupp konnten am Goldenen Reiter beim Vorbeidefilieren der Gulaschkanonen nicht an sich halten. Laut riefen sie „Es lebe die Republik“, „Hunger“ und auch einige revolutionäre Parolen, die im Lärm untergingen. Von den Bürgern neben ihnen ernteten sie böse Blicke, Aufforderungen zum Verschwinden und die Meinungen, dass man vom roten Terror und der Misswirtschaft der Regierung Zeigner genug hätte. Sechs bis acht Infanteristen stürmten auf sie zu, schnappten sich die vier Kommunisten, schlugen sie zusammen und zerrten sie ins Glied der Truppe. Später fanden sie sich im Arrest im Polizeipräsidium auf der Schießgasse wieder.

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Das Ende der sozialistisch-kommunistischen Regierung in Sachsen

Um die galoppierenden Lebensmittelpreise ein wenig einzudämmen, nahm die sächsische Regierung am 22. Oktober 1923 ein Angebot der Internationalen Roten Hilfe3 an, 2.000 Tonnen Getreide zur kostenlosen Verteilung unter den Arbeitslosen zu spenden4.

Es herrschte zwar kein Brotmangel, aber die Preise stiegen durch die Inflation ins Unermessliche. So kostete ein Vierpfundbrot am 19. Oktober 500 Millionen Papiermark, am 26. Oktober schon 9,6 Milliarden Mark. Im gleichen Zeitraum verteuerte sich das Pfund Kartoffeln von 50 Millionen auf 550 Millionen Mark und das Pfund Margarine von 1 Milliarde auf 11 Milliarden Mark5. Die Löhne, Gehälter, Erwerbslosenunterstützungen und Renten stiegen nicht annähernd im gleichen Maße. Am 29. Oktober betrug der Kurs für einen Dollar 65 Milliarden Papiermark. Diese Geldentwertung sorgte dafür, dass der Staat seine Kriegsschulden mit dem Ende der Inflation am 15. November 1923 vollständig liquidierte. Zu Lasten des ganzen Volkes und des Mittelstandes.6

Die Arbeitslosigkeit stieg bis Ende des Monats auf 45.000. Das Volk verarmte und Extremisten aller Couleur beherrschten die politische Landschaft. In Bayern die völkischen Nationalisten der DNVP, den Monarchisten von der Bayrischen Volkspartei unter Gustav von Kahr und Hitler mit seiner NSDAP, in Sachsen, Thüringen und Hamburg die Anhänger der linken Revolution und der Räteherrschaft nach russischem Vorbild, bestehend aus Kommunisten und linken Sozialdemokraten. Somit schufen sie alle eine doppelte Frontstellung gegen die junge Demokratie. Beide Richtungen schreckten nicht vor Gewalt zurück.6

Dresdner Nachrichten vom 29. Oktober 1923
Dresdner Nachrichten vom 29. Oktober 1923

Am 29. Oktober 1923 gegen 14 Uhr besetzte die Reichwehr unter General Müller endgültig den Freistaat7 mit seinen Ministerien, der Post und das Telegrafenamt, errichtete im Auftrag der Reichsregierung und mit Billigung des Reichspräsidenten eine Militärherrschaft.

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Reichskommissar wurde Rudolf Heinze, der sogleich alle Minister absetzte und den Ministerpräsidenten Erich Zeigner zum Rücktritt nötigte. In Freiberg, Meißen und Pirna gab es bei Straßenschlachten zwischen Reichswehr und Kommunisten zahlreiche Tote.

Am 31. Oktober 1923 wählte der Landtag auf Druck des Reichskommissars ein sozialdemokratisches Minderheitskabinett mit Unterstützung der liberalen DDP unter dem Ministerpräsidenten Alfred Fellisch.8

„Verratene und Verräter“

Das notdürftig gekittete und von Misstrauen geprägte Bündnis zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten in der sächsischen Landesregierung von Erich Zeigner brach bis in die Basis hinein endgültig auseinander. Der anfängliche gemeinsam ausgerufene Generalstreik endete vorzeitig am 1. November.9

Hechtstraße - zeitgenössische Postkarte
Hechtstraße – zeitgenössische Postkarte

Die Genossen im KPD-Lokal „Rosental“ ließen sich in ihrer Wut von Paul Schrader nicht mehr zurückhalten. Und so setzte er sich an die Spitze des kleinen Aufruhrs. Annähernd 30 Leute stürmten mit Kampfesrufen wie „Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten!“ auf die Hechtstraße und hinunter „Zur Schmiede“1, wo sich ihre neuen Klassenfeinde, die Anhänger der SPD, trafen. Als diese den Lärm vernahmen, strömten auch sie auf die Straße und es entstand eine große Prügelei.

Bald floss Blut, war manche Nase gebrochen, ging mancher Zahn flöten, wurde mancher Arm ausgekugelt. Aus dem 13. Polizeirevier auf der Hechtstraße 396 liefen die Polizisten zum Ort der Prügelei und trieben mit großer Mühe die Kampfhähne mit Gummiknüppel auseinander, nicht ohne selbst Blessuren davon zu tragen.

Aus dem Lokal „Zum Deutschen Schäferhund“1 in der Hechtstraße 41 gingen die Anhänger des Stahlhelm vor die Tür, feuerten mit Gläsern voller Bier in den Händen und unter dem Gesang der Kaiserhymne das Kampfesgeschehen aus der Ferne an. Nach einer Stunde kehrte endlich Ruhe ein.

Und so endeten die Versuche der unterschiedlichen politischen Kräfte, gegen das ungeliebte Weimarer Demokratieprojekt vorzugehen und eigene politische Konstrukte zu errichten. Vorerst.

Vierter und letzter Teil der Serie. Fortsetzung folgt. Hier geht es zu Teil 1, Teil 2 und Teil 3.

Anmerkungen des Autors

1 Adressbuch der Stadt Dresden 1923
2 Siehe Dresdner Volkszeitung vom 23. Oktober 1923.
3 Die Internationale Rote Hilfe war eine Unterorganisation der Kommunistischen Internationale. Sie wurde 1922 in Moskau als Gegenstück zum Internationalen Roten Kreuz gegründet.
4 Siehe Dresdner Volkszeitung vom 22. Oktober 1923.
5 Siehe Dresdner Volkszeitung vom 26. Oktober 1923.
6 Ernst Piper, Die Weimarer Republik „Die umkämpfte Republik 1919 bis 1923“, Bundeszentrale für politische Bildung, 2021.
7 Siehe Dresdner Nachrichten vom 29. Oktober 1923
8 Siehe Dresdner Nachrichten vom 31. Oktober 1923
9 Siehe Dresdner Volkszeitung vom 1. November 1923


Unter der Rubrik „Vor 100 Jahren“ veröffentlichen wir in loser Reihenfolge Anekdoten aus dem Leben, Handeln und Denken von Uroma und Uropa. Dafür durchstöbert der Dresdner Schriftsteller und Journalist Heinz Kulb die Zeitungsarchive in der Sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek. Der vorliegende Text ist literarischer Natur. Grundlage bilden die recherchierten Fakten, die er mit fiktionalen Einflüssen verwebt.

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