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Ausflug zu Findlaters

Im Foyer des Hotels „Der Blaue Stern“ auf der Großen Meißnischen Gasse Nr. 7 wartete dessen Inhaber Carl Schuhmacher auf den bei ihm logierenden berühmten englischen Reiseschriftsteller Sir James Rambler.1

Dresden um 1800, zeitgenössische Darstellung
Dresden um 1800, zeitgenössische Darstellung

In seinem Heimatland trug er den Beinamen „Kapitän Schefer“. Im neusten Chick dieses Altweibersommertages des Jahres 1826 kam er die Treppe herunter und genoss die bewundernden Blicke der Gäste. Eine gewisse Noblesse stand ihm gut. Das Gesicht zierten lange Favories, d.h. Koteletten bis zu den Mundwinkeln, die in einen gut gestutzten Vollbart übergingen und seinen Träger als dem Liberalismus zugeneigtem, scharfsinnigen und geistreichen Mann von Welt auswiesen. Das gewellte Kopfhaar zierte ein Zylinder aus feinster schwarzer Seide. Der Hemdkragen endete in einem Vatermörder, der den Hals eng umschloss und den Kopf hoch schob, was eine gewisse Arroganz erzeugte. Die beige Hose war eng tailliert und darüber trug der Engländer über der geblümten Weste einen offenen sandfarbenen Gehrock. Seine Füße steckten in Stiefeletten aus feinstem braunen Leder. In der behandschuhten rechten Hand wippte ein eleganter Spazierstock und mit der linken zog er aus der Weste eine goldene Taschenuhr.2

„Sie sind pünktlich, mein lieber Rambler. Man könnte meinen, Sie sind ein Deutscher“, begrüßte Schuhmacher lachend den Gast. Dass er in seinem schlichten Grau äußerlich dem Engländer nicht das Wasser reichen konnte, war ihm klar. Für ihn galt die Devise, dass seine Gäste hervorstechen dürfen und nicht Gastgeber und Personal. „Kommen Sie, die Kutsche steht bereit, das Wetter ist wie geschaffen für diesen Ausflug und unser Ziel wird Sie mehr als überraschen.“

Was dem Reiseschriftsteller auffiel

Im gemächlichen Trott fuhren sie über den Neustädter Markt. Dort bewunderte Rambler das große Reiterstandbild des starken August und dann ging es in die Hauptstraße.

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„Sir James, Sie kamen vor zwei Tagen sehr spät an. Konnten Sie bis jetzt schon Eindrücke unserer herrlichen Residenz sammeln?“

„Selbstverständlich, lieber Schuhmacher. Als die Reisekutsche vor zwei Tagen durch das fast vollständig dunkle Dresden über das Kopfsteinpflaster rumpelte, dachte ich, dass sich meine Wirbelsäule in einzelne Knochen zerlegen würde. Das war der einzige Krach, den ich vernahm. Still und erhaben präsentierte sich mir die sächsische Residenz.“

Inzwischen passierte die Kutsche das Schwarze Tor und fuhr auf den Bautzener Platz, um ihn diagonal zu überqueren und in die Bautzener Straße einzubiegen. Das Glacis präsentierte sich nahezu baumfrei.

„Man könnte meinen, dass unsere Residenz ein ziemlich braves und verschlafenes Nest sei“, nahm Schuhmacher den Faden auf.

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„Mittnichten, mein Herr. Als ich gestern Abend dem Hoftheater einen Besuch abstattete, konnte ich auch andere Seiten der Stadt sehen. Zunächst aber, das Konzert war hervorragend. Eine Künstlerin improvisierte auf dem Klavier so gekonnt, dass es mir höchstes Vergnügen bereitete. Das Haus war gut gefüllt. Zurecht kann man die Oper in Dresden zu dem besten Häusern in Europa zählen.“1

„Und was war nun mit den anderen Seiten?“

Sir James lachte. „Ich ging zu Fuß zurück zum Hotel. Bei der angenehmen Abendluft machte ich einen kleinen Umweg entlang der Stadtmauer in Richtung Seestraße und da befielen mich diverse Damen des zweifelhaften Gewerbes mit ihren unschicklichen Angeboten. Nicht dass Sie denken, dass ich ihrem Begehren verfiel. Nein, schnellen Schrittes ging ich über den Altmarkt, durch die Schlossgasse und über die Augustusbrücke. Ich habe den Eindruck, dass das horizontale Gewerbe hier stärker ausgeprägt ist, als ich es bei meinem Aufenthalt in Wien erlebte.3 Nicht, dass ich als Moralprediger erscheinen möchte, gewiss bin ich nicht prüde, aber hätte ich nicht einen Laufschritt eingelegt, wäre ich wohl am Altmarkt als Adam angekommen.“1 Beide lachten.

Bei Findlaters

„Wir sind da“, rief Schuhmacher und zeigte nach rechts, wo durch die Bäume ein großzügiges Herrenhaus sichtbar wurde. „Hier werden Sie einen wunderbaren Blick auf die Residenz haben, den Sie so von keiner Stelle erleben werden. Das verspreche ich Ihnen.“

Dann fuhren sie zum Platz für die Kutschen, stiegen aus und liefen um das Gebäude herum. Rambler entfuhr ein langes „Ohh“ und ein noch längeres „Ahh“.

„Wonderful. Was für eine Aussicht.“

Findlaters Palais um 1850
Findlaters Palais um 1850

Rechts im Bogen präsentierte sich die Stadt im sanften Glanz der Altweibersonne. Gegenüber sah man im Dunst den Windberg und links in Richtung des Fischerdörfchens Loschwitz wurden die Rebstöcke am Hang des Weinberges des Prinzen Friedrich sichtbar. Das Findlatersche Anwesen war seit 1817 in der Hand des Hoteliers Johann Gabriel Krebs, der das Haus in ein Ausflugscafé wandelte. Im Volksmund blieb der Name Findlater jedoch gebräuchlich.3

Schuhmacher hatte durch einen Boten auf der Terrasse einen Tisch reservieren lassen und dort ließen sie sich nieder, genossen die Aussicht, den Kaffee und den sächsischen Kuchen.

„Mein lieber Schuhmacher, wie kommt das prächtige Herrenhaus zudem englischen Namen?“

Diese Frage hatte er erwartet und deshalb einen besonderen Gast geladen, der in diesem Moment um die Ecke kam.

„Darf ich vorstellen? Georg Christian Fischer, ehemaliger Verwalter von Lord Findlater, Herr auf Gut Helfenberg, nicht weit von Dresden und ein guter Freund von mir.“

Eine delikate Geschichte

„Sehr erfreut, mein Herr“, erwiderte Rambler erfreut. „Das trifft sich gut und es erfreut meine Neugier. Wie kommt ein Engländer nach Dresden und dazu noch zu diesem schönen Anwesen?“
Fischer lächelte verschmitzt.

„James Ogilvy ist kein Engländer, sondern Schotte. Darauf legte er großen Wert, Sir James. Er war der 7. Earl of Findlater und 4. Earl of Seafield. Sein Geburtshaus war Hunting Tower Castle, in der Nähe von Perth. Als sich sein Vater aus nicht hier zu erörternden Gründen vor 56 Jahren das Leben nahm, erbte der Gute nicht nur die Titel, sondern auch ein umfangreiches Vermögen.“4

„Und warum kam er dann hierher? Ich gebe zu, dass das keine schlechte Wahl war, wenn ich hier in dieses liebliche Elbtal schaue.“

„Nun denn. Das ist etwas verzwickt“, sprach er, ernst und leiser werdend und blickte Carl Schuhmacher an, der fast unmerklich nickte. „Der Earl heiratete 1779 in Brüssel zwar eine entfernte Verwandte seiner Mutter und Tochter eines schottischen Adligen, der in habsburgischen Diensten stand. Aber schon nach wenigen Tagen machte er sich aus dem Staub, als ihn gewisse Lebensumstände einholten.“4

Sir James Rambler zuckte mit den Schultern und schaute nichtverstehend drein. Fischer wand sich. „Sagen Sie es ruhig“, meinte Schumacher.

„Naja, der Earl war dem eigenen Geschlecht zugeneigter, als dem anderen. Und später konnte er dies nicht mehr vor den bornierten und konservativen Moralpredigern verbergen, die ihn durch die Krone ausweisen ließen. Und so floh er auf den Kontinent und hierher in die sächsische Residenz. Arm war er nicht. Hier kaufte er das Gut Helfenberg, mehrere Weinberghänge an der Elbe und ließ sich vom Hofbaumeister Johann August Giesel diesen herrlichen Palast mit schönster Aussicht errichten.

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Was haben wir hier für Feste gefeiert, bei denen auch Sie, lieber Schuhmacher, sehr herzlich willkommen waren. Leider verstarb der gute Earl schon 1811. Auf dem Friedhof in Loschwitz ist sein Grab zu finden. Und ich konnte das große Anwesen nicht lange halten. Per Testament vermachte er mir das Gut in Helfenberg, wo ich heute lebe. Ja, ich habe ihn geliebt“5, seufzte Fischer und senkte seinen Kopf.

In Ramblers Kopf rumorte es, dann hatte er verstanden. Er legte seine Hand auf die von Fischer. „Danke, dass Sie mir gegenüber so offen waren und mir diese wunderbare Geschichte erzählt haben. Und mein Dank dafür, dass ich Sie kennenlernen durfte. Den Earl und seine Feste hätte ich auch gern erlebt.“

Dann verabschiedeten sie sich von Fischer und bestiegen ihre Kutsche. In Dresden erwartete den Reiseschriftsteller ein Soiree in einem italienischen Restaurant auf der Schloßstraße, dem Treffpunkt der Intellektuellen der sächsischen Residenz.

Anmerkungen des Autors

1 Ansichten der Ausländer über Dresden aus Abendzeitung Einheimisches vom 16. Januar 1827, mehr zur Abendzeitung im Stadtwiki.
2 siehe Wikipedia unter Mode des Biedermeier
3 Blick von Findlaters Weinberg aus Abendzeitung Einheimisches vom 15. Juli 1826
4 Wikipedia unter Lord Findlater
5 1817 veräußerte Findlaters Lebensgefährte das Anwesen an den Hotelier Krebs. Der richtete 1821 das Kaffeehaus Findlaters Weinberg ein, das schnell zu einem berühmten Ausflugsziel wurde. Hier waren u.a. Richard Wagner und Gottfried Semper regelmäßig zu Gast. 1832 wurde das Grundstück geteilt mit wechselnden Eigentümern. Als der Graf Wilhelm von Luckner das westliche Gelände 1846 kaufte, ließ er Findlaters Haus abreißen. Die Revolution 1848/49 verhinderte weitere Bauten. 1850 kaufte Prinz Albrecht von Preußen das Grundstück und ließ auf den Grundmauern von Findlaters Kaffeehaus Schloss Albrechtsberg errichten.


Unter der Rubrik „Vor 100 Jahren“ veröffentlichen wir in loser Reihenfolge Anekdoten aus dem Leben, Handeln und Denken von Uroma und Uropa. Dafür durchstöbert der Dresdner Schriftsteller und Journalist Heinz Kulb die Zeitungsarchive in der Sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek. Der vorliegende Text ist literarischer Natur. Grundlage bilden die recherchierten Fakten, die er mit fiktionalen Einflüssen verwebt.

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