In der Redaktionsgruppe habe ich irgendwas von einer Goldenen Reiterin gelesen und dachte mir so „Cool, könnte was Feministisches sein“. Als ich an einem vernieselten Montagmittag zum Pressetermin auf der Hauptstraße ankomme, dämmert mir allerdings ganz schnell, was ich da für einem Irrtum aufgesessen bin.
Goldgraues Szenario
Unter dem schützenden Vordach vom Watzke (wie passend, nicht nur wegen des goldenen Schriftzugs) müht sich die Reiterin damit ab, dem überhaupt nicht begeisterten Pferd einen samtigen Ohrenüberzug zu verpassen. Daneben stehen Holger Zastrow (der Augustusmarktmacher), ein Typ vom Pferdehof, durch seinen Cowboyhut sofort zuordenbar, und ein junger Mann mit einem Mikro von Radio Dresden, der aussieht, als würde er sich ähnlich deplatziert fühlen wie ich.
Als das Pferd, sein Name ist Apollo, wie wir erfahren, ausreichend verziert ist, laufen wir ihm zögernd nach. Aus Regenverstecken kriechen weitere Fotografen herbei und schießen die ersten Fotos. Das ganze Gold gibt einen schönen Kontrast zum Novemberhimmel ab, Apollo ist trotzdem noch immer wenig davon angetan, zwischen Denkmal und der Baustelle, die bald zum Augustusmarkt wird, hin und her zu latschen.
Ungleich souveräner und mit bescheidenem Stolz thront Julia auf ihm. Die 18-Jährige wurde auserwählt, das ehrenvolle Amt der Goldenen Reiterin zu bekleiden. Was das denn beinhalte, frage ich. Naja, sie sei eben die Schutzpatronin des Marktes. Vor der Kälte möchte sie zum Beispiel schüzen. Na, darauf hat sie ja wohl kaum Einfluss. Faktisch ist ihre Aufgabe doch vielmehr die, an ein paar einzelnen Tagen ihren in ein Paillettengewand gehüllten Körper von glühweintrunkenen Typen begaffen und kommentieren zu lassen.
Gemütlichkeit, aber bitte mit manierlicher Fassade
Wie hübsch sie aussieht. Super, so kann sie sich gleich in ihre Rolle als Frau (vorrangig Dekorationszweck) gewöhnen in einem Bundesland, das so wacker und redlich für die Aufrechterhaltung einer „heilen“ Welt, inklusive identitätstiftend festgeschriebener Geschlechterbilder kämpft. Verkauft wird das Ganze natürlich als modern – der Kontrast zum männlichen Pendant, das unbeweglich auf seinem Sockel thront, liege ja auf der Hand.
Julia sagt etwas von Wärme und Gemütlichkeit, Zastrow ist beeindruckt. Wie schön, dass der reine Konsumzweck so schnell einen behaglichen Anstrich bekommen kann. Selbst Apollo wird das zu viel und er lässt ungeniert einen riesigen Haufen dampfender Äpfel auf das Pflaster klatschen. Wird natürlich gleich weggeräumt vom Cowboytypen – das passt ja nun gar nicht ins schöne Bild.
Wie übrigens die unsanierten Häuser auf der einen Seite des Neustäder Markts. Die seien ja wirklich unansehlich, eine Schande! Auf meinen Einwand, dass es sich hier wahrscheinlich um die letzten bezahlbaren Wohnungen des Viertels handle, schlägt der Cowboytyp vor, man könne sie ja sanieren, ohne dass die Mieter*innen danach mehr bezahlen müssen. Völlig realistisch und sicher ganz im Sinne der sich so rührend für sozialen Wohnungsbau einsetzenden Stadtpolitik.
Moderne Frauenfigur
Na, ein ablenkender Hingucker ist ja immerhin die Reiterin. Jetzt wird sie von einem Fotografen aufgefordert, so vom Pferd hinabzusteigen, so dass es möglichst elegant aussieht – „wie Mädchen das halt so machen“. Wange an Wange soll sie nun mit dem Pferd stehen. Tolles Motiv für den nächsten Pferdekalender.
Der gleiche Fotograf ist sich auch nicht zu schade, den überaus witzigen Sinnspruch „Wie der Herre, so’s Gescherre“ anzubringen, als der arme Apollo, der seine Reiterin damit wohl auffordern will, ihn aus seiner peinlichen Lage zu befreien, immer wieder seinen Kopf gegen ihre Brust stößt. Das würden die Herren wohl selbst gern tun, zum Glück wissen sie ja aber, was sich gehört.
Noch ein paar Fotos, der Wallach resigniert endlich und nimmt mit traurigen Augen die richtige Pose ein, ein kleines Videointerview mit Julia, das bestimmt ganz modern auf Instagram viral gehen soll, dann kommt auch Radio Dresden mit der eigentlich entscheidenen Frage zu Wort: „Was kostet denn der Glühwein?“ Antwort: mit 3,50 bis 4 Euro, weniger als auf anderen Dresdner Weihnachtsmärkten. Das kann ja gar nicht anders denn als Geste der Menschlichkeit gewertet werden.
Ich halte es nun wirklich nicht mehr aus und verabschiede mich. Am 29. November wird der Augustusmarkt eröffnet. Was für eine Vorfreude da aufkommt auf eine authentisch besinnliche Atmosphäre in der Weihnachtszeit, in der es natürlich rein um die Liebe geht.
Öffnungszeiten Augustusmarkt
- 29. November 2023 bis 7. Januar 2024
- Montag bis Donnerstag 11 bis 21 Uhr, Freitag 11 bis 22 Uhr, Sonnabend 10 bis 22, Sonntag 10 bis 21 Uhr
- augustusmarkt.de
Da durfte wohl jemand nicht auf Apollo reiten.
Man kann Sachsen zurecht für vieles verantwortlich machen, aber als neues Bundesland scheint die Aussage, dass es für „…identitätstiftend festgeschriebener Geschlechterbilder kämpft“, etwas an den Haaren herbei gezogen.
Der Text ist ja mal so doof geschrieben.
Das macht die Autorin super unsympathisch.
Sehr geehrte Frau Renneberg, was haben Sie da denn erwartet?
Natürlich hätte Ihnen da auch die „Jeanne d’arc de saxe“ samt Pferd und Gefolge begegnen können, aber ein wenig war es dann ja doch auch so… viel Erfolg beim nächsten Pressetermin.
(im Grunde hilft mir der Artikel mehr, Ihr Weltbild zu erkennen, als über die bevorstehende Eröffnung des Augustusmarktes. In jedem Fall wurde dabei meine Schokoseite zart angeleuchtet, denn ich konnte tiefes Mitgefühl für die Reiterin empfinden, so ist die Welt wieder etwas besser geworden, der Cowboy ist auch mir egal) Danke ;-)
Spritzig geschrieben. Ich fand es heiter zu lesen.
Haha, engagiert, klug und unterhaltsam geschrieben. Vielen Dank!
@Echt: Alles, was man zum Augustusmarkt wissen muss, steht doch da. Täglich bis 9 oder 10 und bis zum 7. Januar.
Ich hab gehört, der blaue Baum soll auch wieder stehen. Das hätte man durchaus noch erwähnen können.
@vorgestern… soweit man etwas über den Augustusmarkt wissen muss… ;-)
Die harten Fakten sind mir nicht entgangen…
Ein herrlicher, völlig wertfreier und zum Konsum anregender Artikel