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Neustadt Weihnachtsgeschichte

Das Team vom Neustadt-Geflüster wünscht allen Leserinnen und Lesern ein paar besinnliche, ruhige und friedliche Tage.

Weihnachtsbeleuchtung auf der Louisenstraße - Foto: Youssef Safwan
Weihnachtsbeleuchtung auf der Louisenstraße – Foto: Youssef Safwan

Viel Vergnügen mit der Neustadt-Weihnachtsgeschichte in grober Anlehnung an Charles Dickens „A Christmas Carol

Maiers Geist

Eberhard Schruhtz liebt es, wenn die Geldscheine zwischen seinen knochigen Fingern rascheln und knistern. Ein fast bübisches Grinsen zieht sich dann über sein Gesicht, die faltigen Wangen frischen auf und die tief in ihren Höhlen verborgenen Augen beginnen zu leuchten.

Heute hat Schruhtz wieder einige Scheine eingetrieben. Auch wenn die Hausbewohner ihn altmodisch nennen, nur Bares ist Wahres, er holt sich die Miete immer persönlich ab. Bei der Gelegenheit kann er dann auch gleich mal einen Kontrollblick in die Wohnstuben werfen. Heute hatten alle den passenden Betrag parat. Nur die alte Schmidt im Erdgeschoss, die hatte mal wieder kein Geld. Sie wand sich und wimmerte, Schruhtz solle ihr doch noch ein paar Tage Zeit geben. Schließlich sei doch bald Weihnachten und ihre kleine Rente würde vorne und hinten nicht reichen.

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Die Erinnerung an den Vorfall treibt dem Vermieter Schruhtz mehrere Zornesfalten auf die Stirn – Weihnachten, wen interessiert das schon. Mit Strenge in der Stimme hatte er gemahnt: Morgen spätestens ist die Miete da, sonst müsse er die Polizei holen. Die Schmidt war in Tränen ausgebrochen, doch Schruhtz hatte sich auf dem Absatz herumgedreht, solches Elend wollte er nun wirklich nicht sehen.

Mit spitzer Feder trägt er die Einnahmen in sein Kontobuch ein, zieht noch einmal alle Geldscheine glatt, klemmt einen Gummi drum und packt das Bare in den schweren Tresor. Er schließt das Büro im Erdgeschoss und macht sich auf den Weg in seine Dachgeschoss-Wohnung. Von seinem Fenster kann er die ganze Alaunstraße überblicken. Die funkelt im weihnachtlichen Glanz. Schruhtz zieht den Vorhang zu. „Auch dafür wollen die nur wieder Geld“, brummt er vor sich hin. Den Spendensammler vom Kulturverein hat er schnöde abgewiesen. Alle wollen mein Geld – murmelt er vor sich hin – aber sie bekommen es nicht, bekommen es nicht.

Kichernd nickt er ein.

Maier in Lebensgröße

„Wach auf, Eberhard!“ – Schruhtz schreckt hoch. Das kann nicht sein. Starr vor Schreck sieht er: in Lebensgröße steht sein alter Kompagnon Wolfgang Maier vor ihm. Mit dem hatte er sein Immobilien-Imperium erst in der Neustadt, dann in ganz Dresden aufgebaut.

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„Du bist tot. Täusche mich nicht. Was willst Du?“ rief Schruhtz mit schreckensstarrer Stimme. So real sah der Geist aus. „Ich muss Dich warnen – drei Geister werden Dich besuchen, hör ihnen gut zu, sonst geht es Dir wie mir.“ Maier rasselt bedrohlich mit den Ketten an Armen und Beinen.

Schruhtz wacht auf. Was war das? Ein Traum? Realität? Maier war doch schon seit Jahren tot. Was für Geister? Schruhtz genehmigt sich einen Likör, das beruhigt und er schläft wieder ein.

Der Geist der vergangenen Weihnacht

Dann springt das Fenster auf. Der Wind reißt den Vorhang beiseite. Eiseskälte weht herein. Schruhtz reibt sich die Augen, setzt sich aufrecht, zieht die Decke bis ans Kinn und zittert vor Schreck. Ein Kerl wie ein Baum, er füllt das ganze Zimmer und stößt an der Decke an. Schlampig gekleidet ist er, mit zerfetzten Jeans und einem ausgewaschenen Hemd. Sein Lachen dröhnt über die ganze Straße. „Ich bin der Geist der vergangenen Weihnacht. – Komm mit mir!“ Er zerrt Schruhtz erst die Decke weg, dann den alten Mann raus aus dem Bett, dann weiter aus dem Fenster, Schruhtz wehrt sich – vergebens. Sie fliegen über die nächtliche Neustadt, der Himmel scheint sie aufzusaugen, alles dreht sich, sie wirbeln hoch und wieder herunter.

Die Weihnachtsbeleuchtung ist verschwunden, das Viertel ist mit Schnee eingepackt, aus den Schornsteinen raucht es, auf der Straße knattert ein Trabi vor sich hin. Der mächtige Kerl setzt ihn ganz sanft ab. Schruhtz spürt keine Kälte, doch er kann schnuppern. Es riecht nach Kohleofen, nach Waschmittel und merkwürdig vertraut nach frischen Brötchen. „Sieh gut zu!“, der Kerl dreht Schruhtz in Richtung Straße.

Eine Frau, vielleicht Anfang 30, schlendert heran. Sie stößt eine Tür auf. Schruhtz will sie zurückhalten, will rufen: „Finger weg, das ist mein Haus“. Doch seine Hand kann nichts fassen, kein Laut verlässt seinen Mund. „Komm mit!“, fordert der Geist. Sie folgen dem Weib ins Haus. Hier sieht es schäbig aus, doch von oben sind Geräusche zu hören. Sie betreten eine Wohnung.

Die Frau von der Straße hat nun eine Maler-Rolle in der Hand, neben ihr kratzt ein junger Mann den Dreck vom Fußboden. Schruhtz bleibt der Mund offen stehen: „Das bin doch ich“ – „Richtig“ lächelt der Geist. „Das bist Du vor 35 Jahren, ein hilfsbereiter Kerl. Voller Lebensfreude.“ „Und die Frau“, stammelt Schruhtz, doch er ahnt es schon. Nun wird der Geist konkret: „Das ist die Frau Schmidt, sie hatte Dich hier aufgenommen, als Du ein armer Student warst.“

Schruhtz erinnert sich, Ende der 1980er war er nach Dresden gekommen, um zu studieren. Damals hatte er nichts, war bettelarm, er schüttelt sich, welch gruslige Erinnerung. In dem Haus waren Dach und Fenster undicht. Doch die Kohleöfen hielten sie warm. Die Schmidt hatte ihm eine leerstehende Wohnung organisiert. Hier konnte er mietfrei wohnen.

Später nach der Wende hatte er Wirtschaft studiert und mit Kompagnon Maier in Immobilien investiert. Knallharte Verhandlungen und ein glückliches Händchen haben den beiden in wenigen Jahren ein stattliches Vermögen beschert. „Sieh hin!“ – der Geist stupst Schruhtz an. Der junge Schruhtz hat sich verletzt, Blut tropft aus der Hand. Die Schmidt nimmt ein Tuch und kümmert sich um ihn, fast wie eine Mutter. Ein warmes Gefühl der Geborgenheit erreicht den alten Schruhtz. Der Geist packt ihn und wirbelt ihn zurück durch den Himmel.

Schruhtz wacht auf, liegt schweißgebadet in seinem Bett. Er zittert am ganzen Körper. Die Schmidt, die Wohnung, alles war so real und doch nur ein Traum? Schruhtz genehmigt sich ein zweites Likörchen und schläft wieder ein.

Der Geist der gegenwärtigen Weihnacht

Es donnert, ein Blitz rauscht durch die Tür, die fällt mitsamt dem Rahmen polternd auf den Boden. Ein zarter Jüngling spricht mit überraschend fester Stimme: „Ich bin der Geist der gegenwärtigen Weihnacht – komm und sieh, was ich Dir zu zeigen hab“.

Schruhtz wehrt sich schon gar nicht mehr, der Geist reißt ihn mit sich. Sie fliegen die Treppe hinunter. Im Erdgeschoss ist die Tür nur angelehnt. Die alte Schmidt steht auf der Schwelle: „Miezi, komm, die Milch ist warm“, ruft sie. In der Hand hält sie einen Kochlöffel, eine schwarze Katze stromert heran. Schruhtz und der Geist schlüpfen hinterher in die Wohnung. Die ist karg eingerichtet. Der Wasserhahn tropft, das Fenster klappert, es zieht.

Die Schmidt hat sich verändert, aus der lebenslustigen Frau in den besten Jahren ist eine klapprige Alte geworden. Sorgenfalten haben ihr Gesicht gezeichnet. Die einst so vollen braunen Haare sind dünn und grau geworden. Sie mummelt sich in ihren Bademantel und schiebt der Katze ein Schüsselchen hin.

„Ich kann es nicht bezahlen“, murmelt sie. „Ich kann doch meine Enkel nicht ohne Weihnachtsgeschenk lassen. Wenn doch dieser fiese Kerl nicht jedes Jahr die Miete erhöhen würde.“ Was ist nur aus dem einst so fröhlichen Eberhard geworden. Es muss das Geld sein, sagt sie sich, mit jedem Euro, den er mehr verdient, wird er verbiesterter und fieser.

Sie nimmt ein Foto von der Anrichte. Ein Weihnachtsmann ist darauf zu sehen, zwei lachende Kinder auf dem Schoß. Eine Träne kullert über die hagere Wange.

Sie hustet schwer, stöhnt und fast sich an die Brust. Miezi flüchtet durch die angelehnte Tür. Die alte Schmidt wackelt ihr hinterher und lässt sich im Nebenraum mit einem Ächzen auf das Bett fallen. Auch hier ist die Kälte zu Hause. Die Heizung ist abgedreht und die alte Frau zieht eine dicke Wolldecke dichter an sich heran. Der Geist stupst Schruhtz an. „Wir müssen weiter.“ Er packt ihn und schleppt ihn zurück in sein gemütliches Dachgeschoss. „Noch einen Besuch wirst Du bekommen, pass gut auf!“ – mit diesen Worten entschwindet er.

Schruhtz wacht auf, die Bilder der alten Schmidt stehen noch ganz deutlich vor seinen Augen: Nur ein Traum? Er genehmigt sich noch ein Likörchen und schläft wieder ein.

Der Geist der zukünftigen Weihnacht

Grelles, gleißendes Licht. Schruhtz hält die Hand vor die Augen, er ist geblendet, kann nichts sehen. Eine schrille Stimme verkündet: „Das Ende ist nah – ich bin der Geist der zukünftigen Weihnacht.“ Nach einer Weile hat sich Schruhtz an die Helligkeit gewöhnt, erkennt die Umrisse und brummt mürrisch: „Wo geht es denn diesmal hin?“

Doch der Geist antwortet ihm nicht, umfasst seine Hüfte und reißt ihn mit. Sie fliegen über die Alaunstraße davon, weiter westwärts, vor ihnen taucht ein Friedhof auf. „Nein“, Schruhtz ruft, strampelt, doch der Geist hält ihn fest. „Psst“, deutet er so eindrucksvoll, dass Schruhtz verstummt und nur noch leise winselt. Sie stehen vor einem frisch ausgehobenen Grab.

Ein paar Menschen haben sich hier versammelt, Schneeflocken fallen vom Himmel, der Pfarrer spricht die letzten Worte. „Viel zu früh“, hört Schruhtz und „Lungenentzündung“ – er sieht den Grabstein. Elfriede Schmidt ist keine 70 Jahre alt geworden. „Erde zu Erde, Asche zur Asche, Staub zum Staube“, sagt der Pfarrer, die Urne wird beigesetzt und die wenigen Angehörigen ziehen am Grab vorbei.

Doch Schruhtz muss stehen bleiben. „Sieh es Dir an!“, der Geist brüllt ihn an. Wie im Film sieht Schruhtz die letzten Tage der alten Schmidt. Er sieht, wie sie durch die Gassen irrt, immer wieder hustend. Er sieht Polizisten in ihrer Wohnung stehen. Alles verschwimmt. „Sie ist das Opfer Deiner Gier. Denke daran!“ Der Geist reißt Schruhtz mit, der Friedhof verwirbelt unter ihren Füßen.

Das Ende

Schruhtz wacht auf. Nur ein Traum? Oder doch real? Die Schmidt hatte doch heute schon gehustet. Panisch springt er aus dem Bett. Er hört sie wieder husten. Noch ist es also nicht zu spät. Erleichtert rast er die Treppe hinunter. Die Schmidt öffnet, mit Angst in den Augen. Doch Schruhtz schenkt ihr ein liebenswürdiges Lächeln. „Die Miete? – Ach vergessen Sie es. Jetzt kommen Sie erstmal rauf ins Warme.“

Später wird er der alten Schmidt ein Likörchen spendieren und mit einem Arzt telefonieren. Noch später feiern sie gemeinsam das Weihnachtsfest und er zerreißt ihren Wucher-Mietvertrag. Die drei Geister haben den letzten warmen Punkt in seinem Herzen gefunden und Schruhtz bleibt künftig von Albträumen aller Art verschont.

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