Der Vorjahrsspekulatius war schnell aufgeknabbert, denn das 13. Dresdner Neujahrssingen begann mit Vivaldis „Vier Jahreszeiten“, also dem Leitmotiv der 2024er Edition, dargeboten von einem Streichquartett unter Führung eines gewissen Benni Cellini, im Hauptberuf Rockcellist aus dem Dresdner Mittelalter.
Moderator Hendryk Proske, der am Freitag und Sonnabend je Mal 850 Leute im kleinen Saal des Alten Schlachthofs sachkundigst bei Laune hielt und in Jahreszeitentypen einteilte, macht schnell klar, dass Frank Schöbel mit „Heißer Sommer“ fehlen wird und ließ dabei die (rein fiktiv dargestellte) Arbeitsweise der Programmkommission ausbuhen, obwohl damit ja klugerweise der klebrigen Killerklimaangstmache ein wenig der Fön aus den Segeln genommen ward.
Winterschwerpunkt mit Wetterunterstützung
Wenigstens der Winter spielte mit und bot nach gefühlt zweistelligen Temperaturen unter Vollmond diesmal unter Neumond leichtes Schneegegriesel, welcher auf ein cooles bis kaltes Jahr 2024 einstimmte. Der wie gewohnt vorzüglichen Stimmung des Urneustädter Ereignisses tat dies keinen Abbruch, die schien aus dem lustigem Nummernprogramm, welches den Zusatz „von 0 auf 100“ (also mehr oder minder prozentig) trug, aus dem Vorjanuar quasi remigiert. Das Konzept wie gehabt: Es gibt ein Thema, eine echte Profiband – die laut Proske sogar den Dresdner Haushaltsplan in ein passendendes Tonkleid zwängen würde (bitte anno 2025 den von 2024!) – samt exklusiven Gastmusikern und jeder Interpret darf einen exklusiven Wunschtitel vorschlagen, den er gern live präsentieren würde. Dafür ward eine Woche intensiv mit der Band geprobt.
Die eingepreisten Profis dürfen dabei sanft im Programm mitmischen und Perlen generieren: So Orchesterdirektor Tom Vogel, von Beruf Bassgitarrist, mit „Wake me when September ends” von Green Day. Die beiden Backgroundröhren Ulrike Weidemüller und Maxi Kerber, diesmal zwei Mal verstärkt um Manina Heim, haben ihren eigenen großen Songauftritt: Sie bieten mit Veronika Fischers „Dass ich eine Schneeflocke wär” sowie Tori Amos‘ „Winter“ mit Streichereinheit durchaus warmherzige Momente. Aber auch Michael Heinemann (mit Holger Bieges „Als der Regen niederging“ am Start) und JB Nutsch („Die perfekte Welle“ – Passwort: Juli) sieht man temporär als Gesangsverstärker.
Perlen und Schmonzetten
Mann des Abends ist allerdings ganz klar Sascha Aust mit mehreren großen Gitarrensoli und zwei Duetten: erstens mit Lord Bishop als Johnny Winter (ein großer Moment) zweitens mit seinem Vater Bernd Aust an Tenorsaxofon und Mikro, der als Elektra- sowie Konzertagenturgründer diesen Rocktempel mit Saschas Bruder Rodney aufbaute und damit die furiose Sause, 2010 als Neu-Interpretation des Hallenser Weihnnachtssingens in der seligen Scheune gestartet, erst ermöglichte. Sie spielen „Als die Blätter fallen“ – erwachsene Männer fallen sich derweil hinten ob der Einmaligkeits des Momentes glücklich in die Arme.
In der Band noch auffällig: Thomas Hübel an der Gitarre, Andreas Krug an Keyboard und Piano sowie Fred von Sunesen am Schlagzeug, der einmal von Olaf Schubert vertreten wird, sowie Eduardo Mota an den Percussions. Dritter großer Moment, genau um Mitternacht: Guns’n’Roses „November Rain“, artgerecht halbnackt dargeboten vom Maximilian Pötschke am Flügel (erstmals dabei, der Flügel) und damit das Finale einleitend.
Neben den drei erwähnten absoluten Höhepunkten überzeugten am Freitagabend auch Veronika Kralacek (bei 36 Grad in der Zweiraumwohnung) plus Vorjahresdebütantin Verena Leister sowie die drei Gesangspaare Mrs. und Mr. Schröter, Mrs. und Mr. Stuhrberg sowie Eric Münch, der als Trapper verkleidet für seinen Sommerwein Marie-Céline Roy als Verstärkung zu ihrem Debüt überredete. Neben Ernst S., die sich die Mühe eines eigens einstudierten Songs machen, gibt es noch zwei alte Bekannte, die allerdings mit Repertoiresongs: Die Jindrich-Staidel-Combo bietet “In Olomuc ist Sommer” frei nach Hot Chocolate (also Höchstsommer am Oderoberlauf), wobei Ehrenmähre Jens „Bügge“ Bürger, sonst mit Trompeter David Gebhardt und Posaunist Micha Winkler als eindrucksvoller Bläsersatz nicht nur Kernmitglied des Orchesters ist und hier Manitschka mit Akkordeon mitbrachte. Olaf Schubert sang als Olaf Schubert mit Jochen Barkas an der Klampfe „Sommer im Neubaugebiet“. Auch die musikalischen Gastronomen ließen sich nicht lumpen: Mirko Glaser kam mit Peter Maffay “Und es war Sommer”, Ulf D. Neuhaus grub „Sie kam aus dem Nebel“ von Stefan Heicking aus.
Finale mit Junimond als 33. Song
Nach in Summe 31 Titeln, wobei zuvor beim Chorgesang die „Woman of Neujahrssingen“ mit Abbas „Summer Night City“ die Boys nach der Pause mit ihrem „Veronika, der Lenz ist da“ diesmal klar übertrumpften, folgte das große Doppelfinale von allen Akteuren auf der Bühne: auf Joe Cockers Sommerhit folgte Rios Reisers Junimond als wehmütige Mitsinghymne. Für den Januar 2025 empfehlen die Organisatoren um Erfinderin Katina Haubold (Agentour) und Uwe Stuhrberg (SAX & SAX-Ticket), die mittlerweile ein rund 60-köpfiges Team um sich versammelt wissen, nicht nur raschsten Vorverkauf, der schon läuft, sondern versprechen mit „Zurück zur Natur“ als Thema echten Umweltschutz, also ohne nachhaltig kontraproduktive Verspargelung, Verspiegelung und Klebstoffattacken auf Mutter Erde.
Die Mondsüchtigen, die ja schon seit 2020, als es „Sonne, Mond und Sterne“ hieß, privilegiert erschienen, werden wohl dann kürzer treten müssen. Die Wetten auf das Gusto der Programmkommission laufen heiß, aber „Biene Maja“ von Gott himself täte schon not. Denn schon Plutarch wusste: „Nachlässigkeit richtet selbst vorzügliche Anlagen der Natur zugrunde“ – leider sind seine Songs samt Noten dazu nicht überliefert.