Luise M. wohnt in einer Mietwohnung mitten in der Neustadt. Ihren genauen Namen möchte sie nicht nennen. Sie arbeitet als Lehrerin und lebt seit vier Jahren in der Neustadt. Sie fühlt sich wohl hier. Die Wohnung ist schön, nur etwas klein für sie und ihre beiden Söhne.
Seit einiger Zeit bemerkt Luise M. jedoch, dass sich etwas in ihrem Wohnumfeld verändert. „Neben uns befindet sich eine Einraumwohnung, dort hat eine junge Frau gelebt. Nachdem sie ausgezogen ist, kam für eine kurze Zeit ein weiterer Nachmieter, aber seitdem wohnen dort nur noch Touristen. Auch unter uns wird ausschließlich an Feriengäste vermietet.“
Ferien-Apartment statt Wohnung
Gegen Tourist*innen hat Luise M. an sich nichts. Sie und auch ihre Nachbar*innen vermuten aber, dass dadurch die Mietpreise steigen könnten. Die Vermietung als Ferien-Apartment nimmt außerdem die Wohnung vom Wohnungsmarkt. „Eine Freundin vom Nachbarhaus hatte überlegt dort einzuziehen und bei der Hausverwaltung nachgefragt“, berichtet Luise. Die Antwort war mehrmals die gleiche: Wir leiten das weiter. Geschehen sei bis heute nichts. Und auch Luise hatte schon mit dem Gedanken gespielt, die Wohnung nebenan mit zu nutzen, weil es für sie und ihre beiden Söhne langsam zu eng wird. Auch da fiel die Antwort gleich aus: Wir leiten es weiter.
Wohnraum geht Dresden durch Ferien-Apartments verloren
Luise M. ist kein Einzelfall. Der Wohnraum in Dresden wird knapper – gleichzeitig wird die Stadt attraktiver für Plattformen, wie Airbnb, Wimdu, Fewo-direkt, LimeHome, PrimeFlats oder 9flats. Sie bieten Ferienwohnungen für Kurzzeitaufenthalte an. Laut Sächsischer Zeitung gibt es nach jetzigen Schätzungen in Dresden 1.200 Ferienwohnungen (kostenpflichtiger Beitrag auf sächsische.de).
Viele davon entfallen auf die Äußere Neustadt, das Hechtviertel und die Altstadt. Die Zahlen sind jedoch mit Vorsicht zu genießen, denn eine genaue Statistik darüber gibt es seitens der Stadt bisher nicht. „Eine gesetzliche Meldepflicht für die Betreiber von Ferienwohnungen besteht gegenüber der Stadtverwaltung nicht, ohne eine solche dürfen entsprechende Daten auch nicht erhoben werden“, so Diana Petters, Pressesprecherin der Stadt Dresden. Das bedeutet aber auch: Wer keine Zahlen hat, kann nur schwer über ein Problem diskutieren.
Antrag zur Erfassung von Ferienwohnungen
Genau deshalb hatte der Dresdner Stadtrat auf die Initiative von SPD, Grünen und Linken den Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP) damit beauftragt, sich aktiv gegen eine Zweckentfremdung von Wohnraum einzusetzen. Solch eine Zweckentfremdung kann vorliegen, wenn Wohnraum ausschließlich oder größtenteils an Urlauber*innen vermietet wird oder aus Spekulationsgründen länger leer steht. Momentan wird diese Studie angefertigt. „Aufgrund der Corona-Pandemie und dem Notbetrieb der Stadtverwaltung konnten die Ergebnisse dieser Studie noch nicht innerhalb der Verwaltungsspitze erörtert werden“, sagt Pressesprecher Karl Schuricht. Die Stadtverwaltung rechnet im Laufe der nächsten Wochen mit einer Veröffentlichung.
Bis zu 3,5 Prozent der Wohnungen
In der Beschlusskontrolle des Stadtrates vom 21. April 2020 lässt sich aber schon einiges nachlesen:
Laut der Studie gibt es in Dresden bis zu 1.300 Wohnungen, die als Ferienwohnung zweckentfremdet sind – das sind rund 0,4 Prozent des Wohnungsbestandes in Dresden. In der Innenstadt kann der Anteil auf 3,5 Prozent steigen. In den vergangenen Jahren hat die Anzahl stark zugenommen, seit 2017 plus 50 Prozent. Konkrete Auswirkungen auf den Wohnungsmarkt seien aber empirisch nicht zu belegen. (den ganzen Zwischenbericht als PDF gibt’s auf dresden.de)
Neustadtgrüne drängen auf eine Problemlösung
Während gegenwärtig also die Studie erörtert wird, verlangen nun auch die Stadtbezirksbeiräte der Neustadt-Grünen eine Bestandsaufnahme von zweckentfremdet genutztem Wohnraum. Sie sehen einen deutlichen Mangel an mietbarem Wohnraum in der Neustadt. Viele Wohnungen seien als Kurzzeitwohnung umgenutzt worden. „Wir freuen uns über die Initiative des Oberbürgermeisters. Wir wünschen uns aber, dass das Problem mit Dringlichkeit behandelt wird, hier gibt es Diskussionsbedarf in der Neustadt“, sagt Oliver Mehl (Grüne). Die Neustadtgrünen haben den Antrag beim Stadtbezirksbeirat eingereicht. Er wird in der nächsten Sitzung am 15. Juni behandelt.
Sechs von 14 Wohnungen in einem Haus zweckentfremdet
So verdeutlicht ein weiteres Beispiel aus der Neustadt, wie ernsthaft das Problem ist: „Bei uns im Mehrfamilienwohnhaus sind derzeit sechs von 14 Wohnungen zu Ferien-Appartements umgewidmet“, sagt Arnold aus der Neustadt. Auch er möchte nicht bei Klarnamen genannt werden. „Seit Januar 2019 werden jeweils nach Kündigung durch und Auszug der vorhergehenden Mieter*innen die Wohnungen aufwändig renoviert. Auf diese Art und Weise sind innerhalb eines guten Jahres fast 50 Prozent der Wohnungen in dem von uns bewohnten Gründerzeithaus dem regulären Mietmarkt entzogen worden. Es besteht kein Zweifel daran, dass auch nach Auszug der derzeitigen Mietenden weitere Wohnungen umgewidmet werden.“ Arnold selbst hat sich mit dieser Problematik an die Stadtbezirksbeiräte gewandt.
Mehr Gewinne durch Tourismus
„Uns geht es dabei nicht um Vermieter*innen, die während ihrer Urlaubszeit die eigenen vier Wände für ein paar Wochen anbieten. Uns geht es um die gewerbliche Nutzung solcher Wohnungen“, erklärt Oliver Mehl. Er sieht darin die Strategie der Vermieter*innen, Gewinne zu maximieren. So könne man durch die Vermietung solcher Ferien-Apartments fast das Doppelte oder Dreifache verdienen.
Die Neustadtgrünen verlangen, dass nach der Erfassung mögliche Maßnahmen in die Wege geleitet werden. Das könnte als Zweitwohnungssteuer oder als Zweckentfremdungsverordnung verwirklicht werden. Ähnliche Strategien wurden bereits in anderen Großstädten wie Berlin oder München ergriffen.
Ein Zweckentfremdungsverbot kann die Stadt Dresden allerdings erst dann als Satzung beschließen, wenn es eine Rahmengesetzgebung durch den Freistaat Sachsen gibt. Im Jahr 2019 hatte die Fraktion von B90/Die Grünen einen ersten Gesetzentwurf in den Sächsischen Landtag eingebracht, er fand dafür aber keine Mehrheit.
„Es ist wichtig und richtig, dass die Stadt jetzt darauf drängt, dass die Möglichkeit einer kommunalen Regelung für die zweckentfremdete Nutzung analog zu anderen Bundesländern möglich ist. Dazu braucht es klare gesetzliche Rahmenbedingungen auf Landesebene, für die sich der Oberbürgermeister beim Freistaat rasch und vehement einsetzen soll“, sagt Stadtbezirksbeirat Torsten Abel
Corona und die Auswirkungen für Airbnb
Airbnb hat seit den Reisebeschränkungen durch Covid-19 beträchtliche Einbußen erlitten. Das Unternehmen aus dem Silicon Valley musste jeden vierten Angestellten entlassen. (Quelle: Airbnb-Chef Brian Chesky) Viele Anbieter*innen nahmen ihre Ferienwohnungen von der Plattform. Auch in der Dresdner Neustadt konnte man einen Rückgang der Angebote seit März 2020 beobachten. Ob diese Ferienwohnungen nun aber wie in Dublin oder Prag wieder auf dem Wohnungsmarkt auftauchten, konnte die Stadtverwaltung Dresden nicht beantworten.
Und nach Corona?
Die Neustadtgrünen sehen genau jetzt die Chance über Regulierung von Ferienwohnungen nachzudenken. „Auch mit einer beginnenden Öffnung für den Tourismus wird das Angebot durch Hotels und Herbergen die Nachfrage nach touristischen Unterkünften weit übersteigen“, so die Neustadtgrünen. Das heißt: Ferienwohnungen stellen eine zusätzliche Konkurrenz für regionale, gegenwärtig generell schon betroffene Hotelbranche dar. Airbnb selbst lässt sich aber nicht in die Enge treiben. Das Unternehmen arbeitet momentan an einem Hygienekonzept zur Reinigung der Wohnungen. Buchen konnte man trotz Pandemie weiterhin. Airbnb machte bisher nur per Mail auf die gegenwärtigen Beschränkungen aufmerksam. Die anfallenden Stornierungskosten für die Gastgeber*innen wurden teilweise (25 Prozent) von dem Unternehmen selbst übernommen.
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Die Lehrerin ist momentan froh, dass die Gäste ausbleiben. Denn wie sicher ist es in einem Haus, wenn dauernd Fremde im Haus ein- und ausgehen? Und Fakt ist: Wer über Airbnb bucht, nimmt der Hausgemeinschaft etwas weg. „Die Vermietung von Ferienwohnungen hat auch Folgen für das soziale Umfeld“, sagt Oliver Mehl.