Der Dresdner Maiaufstand vor 175 Jahren aus Neustädter Sicht
Karl Gottlieb Rolle1 saß vor seiner Staffelei. Kreative Stimmung wollte an diesem 9. Mai, einem Freitag in diesem so ereignisreichen Jahr 1849 nicht aufkommen. Es sei eine böse Zeit gewesen, in der das Lachen teuer, Stirnrunzel und Seufzen gar wohlfeil waren, werde der Schriftsteller Wilhelm Raabe später einmal schreiben.2
Aber an diesem 9. Mai war der Historienmaler nur noch traurig. Am frühen Morgen hatten Sächsische und Preußische Truppen das Rathaus in der Altstadt gestürmt und die kraftlos Schlafenden überwältigt und verhaftet. Teile der Kommunalgarde und viele freiwillig Bewaffnete an den Barrikaden zogen sich in der Nacht zurück und flohen. Darunter auch Richard Wagner und Gottfried Semper.
Anfänglich ging es nur um die Anerkennung der vom Frankfurter Parlament beschlossenen Reichsverfassung. Diese wurde vom sächsischen König Friedrich August II. abgelehnt. Breite Bevölkerungsschichten wollten den König dazu zwingen. Die Lage spitzte sich zu und dann übernahmen radikale Kräfte und Anarchisten unter Samuel Tzschirner3 und Michail Bakunin4 die Oberhand und wollten den Sturz des Königs und eine Republik.
Die meisten unter den Aufständischen waren junge Männer. Viele der Toten konnten nicht identifiziert werden. Sie stammten wohl nicht aus Dresden. Die Zahlen schwanken. Man geht bis heute von 343 Toten und Verwundeten aus. Die Opfer auf Seiten der sächsischen und preußischen Truppen betrug 31 Tote und 94 Verletzte.5
Der aus Reichenau bei Zittau stammende Maler6 wohnte seit 1847 mit seiner Frau in Dresden auf der Kasernenstraße 23.
In der seit November 1830 durch königliches Dekret gebildeten Kommunalgarde engagierte sich der hochaufgewachsene und damit weit sichtbare Rolle und wurde später Zugführer im dritten, dem Neustädter Bataillon. In dieser Eigenschaft wurde er auch am 1. Mai 1849 vom Sicherheitsausschuss im Altstädter Rathaus am Altmarkt zur Waffe gerufen. Doch unausgegorene Führungsstrukturen, Machtgerangel und unklare Ziele der Empörungen vieler Volksschichten verzögerten den Einsatz der der Kommunalgarden.7
Rolle war froh, wie auch die meisten, nicht gegen das Militär, welches Schloss, Zeughaus8 und Blockhaus besetzt hielt, kämpfen zu müssen. Und so gingen sie wieder nach Hause, wo ihn seine Frau freudig erwartete. Doch die Freude währte nur kurz. Am 3. Mai rief das Komitee aus der Altstadt die Kommunalgardisten auf den Altmarkt zusammen. Deren Zahl war bedeutend kleiner als Tage zuvor. Viele hatten sich aus dem Staub gemacht, wie auch der König, der mit seiner Familie frühmorgens das Schloss in Richtung Festung Königstein verließ.
Um 5 Uhr in der Früh trat Rolle mit dem verbliebenen Großteil der Garde den Marsch über die Augustusbrücke an. Sie kamen aber nur bis zum Georgentor. Geistesgegenwärtig leitete sie der Kommandeur über die Augustusstraße und dem Neumarkt. Durch diese Verzögerung entgingen die Gardisten dem sicheren Tod in dem Kugelhagel, der an den Barrikaden zwischen den Aufständischen und dem Militär hin und her ging. So kam Rolle wohlbehalten am Altmarkt an. Dort traf das 3. Bataillon auf die Akademische Legion, die Bürgerschützen und die Turner.
Der zunehmende Schützendonner vom Zeughaus und fehlende höhere Führung der Bürgerwehren trugen zur Auflösung der bewaffneten Kräfte auf dem Altmarkt bei. Die Lage geriet außer Kontrolle. Tief erschüttert blickte Karl Gottlieb Rolle auf eine Horde Jugendlicher, die einen Infanterieoffizier übelst zugerichtet hatten. Andere riefen nach Munition und Waffen und stürmten Häuser am Altmarkt, wo sie selbige vermuteten. Die Garden selbst standen weiterhin unschlüssig herum.
Viele Jungen rissen das Pflaster auf, zerstörten die Holzbuden auf dem Altmarkt und bauten Barrikaden. Inzwischen wurde das Zeughaus erobert und geplündert. Man wurde den zügellosen Massen nicht mehr Herr.
Rolle wollte ins Rathaus, um den Kommandeur von der Lage zu informieren und fand das Durcheinander auch dort wieder. Neben Samuel Erdmann Tzschirner und Michail Bakunin sah er auch den Hofkapellmeister Richard Wagner. Bakunin machte gerade den Vorschlag, die für Aufführungen nicht mehr genutzte Holz-Oper, die die Kulissen und Kostüme der neuen, von Semper gebauten Oper beherbergte, anzuzünden, um damit das Schloss zu vernichten. Wagner sprach sich dagegen aus, auch wegen der befürchteten Vernichtung kultureller Zeugnisse im angrenzenden Zwinger. Bakunin, dem es eigentlich um einen slawischen Staat unter russischer Führung von der sächsisch-böhmischen Grenze bis zum Pazifik ging, beharrte darauf. Aber die Mehrheit lehnte das ab. Am 6. Mai 1849 brannte dann die alte Oper. Mit ihr ging der Pavillon am Ostausgang des Zwingern in Flammen auf. Da sich der Wind kurz vorher drehte, blieben das Prinzenpalais9 und das Schloss verschont.
In diesem Durcheinander machte das Neustädter Bataillon kehrt und verließ den Altmarkt durch die Scheffelgasse, überwanden zwei Barrikaden in Richtung Wallstraße, überquerten den Postplatz, wich den Barrikaden in Richtung Sophienstraße und Ostraallee aus und kam über den Packhof zur Elbe, setzte dort über und meldete sich im Neustädter Rathaus. Dessen Auftrag jetzt: Schutz der Menschen und des Eigentums in der Neu- und Antonstadt.
Brenzlich wurde die Angelegenheit noch einmal am 6. Mai, als die inzwischen gebildete Provisorische Regierung in der Neustadt das Volk mobilisieren wollte. Überall gab es Aushänge, wo auch die Kommunalgarden aufgefordert wurden, sich am Altmarkt einzufinden, sich gegen das Militär zu erheben oder die Waffen an „Kampflustige“ zu übergegen. Das Blockhaus, in militärischer Hand, sandte Soldaten aus, die die Aushänge abrissen. Um die Lage zu stabilisieren, wurden die wenigen wütenden Aufständischen auf die andere Elbseite verwiesen. Nun hatten die Gemäßigten auf der Neustädter Elbseite bald die Oberhand. Auch das Militär im Blockhaus rüstete ab und es kehrte Ruhe ein und diese Stadtseite entging dem Schicksal der Altstadt.
Karl Gottlieb Rolle wusste nicht, ob er sich darüber freuen sollte oder nicht. Die Reaktion der Reaktion war fürchterlich. Trotzdem war die Welt Mitte Mai 1849 eine andere als Ende April.
Anmerkungen des Autors
1 Erlebnisse eines Dresdner Kommunalgardisten in den Maitagen 1849; Dresdner Geschichtsblätter, Band 3, 1901;
2 Wilhelm Raabe, „Die Chronik der Sperlingsgasse“, Vorwort
3 Samuel Erdmann Tzschirner – Revolutionsführer des Dresdner Maiaufstandes – mehr in der Deutschen Biographie
4 Michail Alexandrowitsch Bakunin – Russischer Revolutionär und Anarchist – mehr Infos im Institut für Sächsische Geschichte
5 Es liegen unterschiedliche Opferzahlen vor, die bis heute teilweise nicht identifiziert werden konnten.
6 Karl Gottlieb Rolle war ein Maler, geb. 1814 in Reichenau bei Zittau, gest. 1862 ebendort
7 Dresdner Kunst und Leben vom 1. Mai 1899
8 das heutige Albertinum
9 heute Taschenbergpalais
Unter der Rubrik „Vor 100 Jahren“ veröffentlichen wir in loser Reihenfolge Anekdoten aus dem Leben, Handeln und Denken von Uroma und Uropa. Dafür durchstöbert der Dresdner Schriftsteller und Journalist Heinz Kulb die Zeitungsarchive in der Sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek. Der vorliegende Text ist literarischer Natur. Grundlage bilden die recherchierten Fakten, die er mit fiktionalen Einflüssen verwebt.
Hallo Jan, mir wurde von Facebook mitgeteilt, dass mein Beitrag gewaltverherrlichende sei und er deshalb entfernt wurde.
Ich bin irritiert.
Ich habe um Überprüfung gebeten.
Muss ich noch was machen?
Inzwischen hat die Überprüfung ergeben, dass mein Beitrag nicht mehr „gewaltverherrlichend“ sei und er somit den Richtlinien von Facebook entspricht.
Das passiert halt, wenn eine KI das Regiment führt. Da ist es mit Intelligenz nicht weit her.
Wird im Dresdner Stadtbild eigentlich auf diese Revolution hingewiesen? Oder auf die Revolution von 1918?
Die Erinnerung an Umsturzversuche scheint in der Bundesrepublik nicht gern gesehen, so kommt es mir vor. Nur 1989 und Putschversuche gegen die Nazis gehen klar. Vom Rest hört man eher als Randnotiz. Dabei waren es doch Weichen der Weltgeschichte. Man stelle sich vor Bakunin und die Mai-Revolutionäre hätten gesiegt! Die beiden Weltkriege etwa hätte es dann nicht geben können. Viel wäre uns erspart geblieben. Doch lieber feiern wir Bismarck, den cholerischen Imperialisten für seine Kriege und Autorität. Das ist so typisch bürgerliche Gesellschaft.
@Böse und Faul:
Es gibt ein paar Gedenktafeln daran:
https://revolution-1848.de/dieorte/gedenktafel-zum-maiaufstand-1849-am-albertinum/
Ob es – wenn die Anarchisten gesiegt hätten – keine Weltkriege gegen hätte kann so ja keiner sagen. Als Annäherung kann „La Terreur“ in Frankreich dienen oder der „Rote Terror“ der Bolschewiki in Russland um mal so die nächsten Datenpunkte zu nehmen. Wenn die Möglichkeit und die Fähigkeiten existieren werden alle Ideologien, speziell die „-Ismen“ blutig.
Denn was man aber aus der Geschichte herauslesen kann ist das es auch in einer alternativen Geschichtsschreibung sicherlich nicht weniger blutiger weiter gegangen wäre. Europäische Geschichte war ja auch vorher nicht gerade friedlich. Ganz im Gegenteil. Europa war lange zeit einer _der_ blutrünstigsten Kontinente.