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Wer stört hier meine Ruhe?

Ein Gezeter am Nachbartisch im Café Tippmann gegenüber vom Neustädter Bahnhof ließ Franz Xaver Bock aus seinen Gedanken aufschrecken. Dort stritten sich zwei Männer mittleren Alters. Um was ging es eigentlich? Franz Xaver hatte es nicht mitbekommen. Er war in Gedanken. Sein Kaffee war inzwischen lauwarm. Einen neuen konnte er sich nicht leisten.

Bahnhof Dresden Neustadt - zeitgenössische Postkarte
Bahnhof Dresden Neustadt – zeitgenössische Postkarte

Mit Gelegenheitsarbeiten unterschiedlichster Art hielt er sich seit Jahren über Wasser. Der große Wohlstand, der angeblich laut Kaiserlicher Reichsregierung in diesen Frühlingstagen des Jahres 1914 sein Füllhorn auf die Menschen in den deutschen Landen ausgeschüttet haben sollte, hat ihn wohl übersehen oder er war nicht wichtig genug oder er war nicht zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Für ihn war klar: Der Teufel schiss immer auf den größten Haufen und ihn erreichte nicht mal ein laues Lüftchen aus dessen Arsch.

Von der Hand in den Mund

Mal verdingte er sich als Träger beim Entladen der Waggons der Sächsischen Staatseisenbahn hier am Neustädter Bahnhof, mal war er Kofferträger. Wenn Not am Mann war, dann reinigte er auch die Neustädter Markthalle. Manchmal beräumte er Wohnungen von Verstorbenen. Da fiel oftmals etwas für ihn ab. Und besonders erfreute ihn, dass eine Dresdner Zeitung hin und wieder sein Schreibtalent nutzte und Artikel von ihm veröffentlichte. Das war aber jetzt vorbei. Vor zwei Tagen reichte er einen Gedicht bei den Dresdner Neuesten Nachrichten ein, welches zunächst begeistert angenommen wurde.

Vom Glück verlassen

Dann bestellte ihn der Chefredakteur ein und machte ihn platt wie eine Flunder. Was er sich erlaube, mit geklauten Texten hier aufzutauchen und ihm ein Kuckucksei ins Nest zu legen. Für ihn sei hier Schluss und er möge verschwinden.
Ja, er gab sich innerlich die Schuld. Zufällig fiel ihm kürzlich eine Ausgabe des Calculator von 1882 bei einer Haushaltauflösung in der Königsbrücker Straße in die Hände. Diese Zeitung gab es schon lange nicht mehr. Und er brauchte dringend Geld für die Miete. Also schrieb er ein dort veröffentlichtes Gedicht ab und gab es als seins aus. Würde schon nicht auffallen in diesen von Nachrichten übervollen Zeiten. Abschreiben von anderen war ja in der Presse allgemein üblich. Zumal ein Urheber im Calculator nicht genannt wurde. Aber weit gefehlt. Leider gab es bei der DNN einen alten Hasen, dem das Gedicht bekannt vorkam.

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Zänkereien1

    Es giebt wohl nichts auf dieser Welt,
    Was Jung und Alt wohl leichter fällt,
    Als gleich ein Zänkchen provociren
    Und sich selbst zu alteriren!
    Es zankt sich Arm, es zankt sich Reich,
    Gesellen, Meister – Alles gleich -
    Der Bürger mit dem Magistrat,
    Wer sonst eine Meinung hat,
    Wer keine hat, ist auch dabei,
    Gezankt muss werden, einerlei!
    Vor dem Gericht, da ist es so:
    Man zankt sich eben gleich en gros,
    Und im Theater, glaubet mir,
    Da ist das Zanken ein Plaisir,
    Man zankt sich so lang am Musenort -
    Bis Held und Primadonna fort!
    Geht das Geschäft beim Kaufmann schlecht,
    Kommt der Commis ihm doch nicht recht,
    Den zankt man aus nach Herzenslust,
    Erleichtert sich dabei die Brust,
    Und auf dem Markte, o, wie schön!
    Könnt Ihr das echte Zanken sehn.
    Bei holden Frauen, jung und alt,
    Sind zarte Fäustchen flink geballt,
    Auch wird’s beim Zänkchenn noch daneben,
    Recht liebevolle Püffe geben!
    Die Politik auf ihre Art,
    Ein ganz besonderes Zanken wahrt,
    Die Sammetpfötchen drückt man sich
    Und kratz dabei sich fürchterlich!
    Betheuert Freundschaft o wie sehr!
    Und ruft die Mannschaft an's Gewehr -
    Versichert Frieden täglich gar -
    Und haut sich noch im selben Jahr.
    Doch nicht blos in der grossen Welt,
    Das Zanken permanent gefällt,
    Nein auch oft hinter der Gardine
    Macht's Ehepaar recht finst're Miene,
    Man steitet über dies und das -
    Ich sage hier nicht über was. -
    Was Journalistik nun betrifft,
    Da finden wir das echte Gift,
    Da zankt man sich, Jahr aus, Jahr ein,
    Und leider oft nicht allzu fein!
    Nur Oben am dem Firmament -
    Man wohl das Zanken gar nicht kennt:,
    Es leben Sterne, Mond und Sonne
    In allerheißester Frieden-Wonne.
    Schaut nur den Vollmond in's Gesicht,
    Welch' Frohsinn immer daraus spricht.
    Er lacht sich Eins und denkt dabei:
    Wie giftig Euer Zanken sei,
    Ob es erschüttert Welt und Haus,
    Im Grund, kommt nichts dabei heraus.
    Die Erd' geht ruhig ihren Schritt,
    Und Ihr geht Alle, Alle mit!
    Und könnt mit Allem Euren Streben,
    Die Welt nicht aus der Lage heben.
    Ihr armen Menschen seid ja nur
    Ein winzig Körnchen der Natur,
    An dieser sollt Ihr Euch erfreuen,
    Drum stellt ein unnütz Zanken ein!
Der Calculator von 1882.
Der Calculator von 1882.

Das Ende vom Lied

Das Gezeter der beiden Männer am Nachbartisch unterband der muskulöse Kellner recht energisch. Die Herren wurden abkassiert und nach draußen befördert.

Ja, so erging es auch ihm, dem Franz Xaver, in der Redaktion der DNN. Es hätte so schön werden können. Er wäre nicht der erste gewesen, der sich mit fremden Federn geschmückt hätte und wohl auch nicht der letzte. Vielleicht hatte er sich auch zu dumm angestellt. Wie dem auch sei. Nun musste er sich wieder nach einer kargen Tagelohnarbeit umsehen. Aber seine in ihm schlummernde Kreativität war entfacht. Der kalte Kaffee wurde trotzdem getrunken. Man durfte nichts umkommen lassen, weder Essen noch Ideen. Das lehrte ihn schon seine Großmutter.

Anmerkungen des Autors

1 aus Der Calculator Nr. 496 von 1882


Unter der Rubrik „Vor 100 Jahren“ veröffentlichen wir in loser Reihenfolge Anekdoten aus dem Leben, Handeln und Denken von Uroma und Uropa. Dafür durchstöbert der Dresdner Schriftsteller und Journalist Heinz Kulb die Zeitungsarchive in der Sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek. Der vorliegende Text ist literarischer Natur. Grundlage bilden die recherchierten Fakten, die er mit fiktionalen Einflüssen verwebt.

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2 Kommentare

  1. Bitte das nächste Mal richtig abschreiben: Wie man lesen kann, heißt die Zeitung „Der Calculator“ und nicht „Der Calkulator“.

Kommentare sind geschlossen.