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Frühsommerhitze

Frieda Brauer wischte sich zum wer weiß wievieltem Male den Schweiß von der Stirn und aus dem Nacken. Es war gerade kurz nach 10 an diesem Vormittag des 23. Juni 1914. Am Neustädter Rathaus näherte sich das Thermometer der 30 Grad-Marke. Ihr Sonnenhut schützte sie zwar vor Klärchens Strahlung, aber die schwüle Hitze hielt er nicht ab.

Der Unterrock klebte auf der Haut. Hitze überall, auf den Straßen und in ihrer Wohnung Königsbrücker Straße 3. Sie hatte gehofft, dass es auf dem Markt durch den Wind, der sonst durch die Blockhausgasse von der Elbe her wehte, etwas kühler sei. Weit gefehlt. Und so machte sie sich auf der Hauptstraße zurück in die vielleicht schönste Markthalle Deutschlands. Die versprach etwas Kühle. Und dieses Versprechen hielt sie auch.

Neustädter Markthalle - zeitgenössische Postarte
Neustädter Markthalle – Heimat des Reichsautomaten – zeitgenössische Postarte

Sobald sie durch die Tür hinter dem Reichsautomaten1 von der Ritterstraße eintrat, atmete sie erleichtert auf. Am Gemüsestand des Bauern Weiprecht aus Serkowitz traf sie ihre Freundin Maria Kittel aus der Rähnitzgasse. „Ich sehe, dass du den gleichen Gedanken hattest. Bei dieser Hitze ist es in der Markthalle am besten, liebste Maria.“ Herzlich begrüßten sich die beiden Damen.

Fleischeslust

„Was darf’s denn sein?“, rief die Bäuerin des Weiprecht, die seit Jahren den Verkauf tätigte und viele Kunden kannte. „Die Gurken wurden heute Morgen geerntet, frischen Spinat habe ich da und natürlich köstliche Erdbeeren.“ Frieda überblickte das Angebot. „Bei der Hitze habe ich keine Lust, stundenlang in der Küche zu stehen.“ Dem stimmte Maria zu.

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„Mir geht es auch so“, mischte sich die Bäuerin in das Gespräch der beiden Frauen. „Aber der Bauer will auf Fleisch nicht verzichten. Schließlich sei er weder ein Schaf noch ein Huhn und bei der schweren Arbeit brauche er was kräftiges, meinte der. Da hat er schon recht.“

„Mein Oskar denkt so ähnlich, obwohl er Privatier ist und nicht schwer arbeitet“, erwiderte Frieda. Aber ich koche das, worauf ich Lust habe. Wenn es ihm nicht passt, muss er eben ins Restaurant gehen.“

„Um Gottes willen, liebe Frieda. Das kannst du nicht machen. Dein Mann bringt schließlich das Geld nach Hause und erwartet zurecht, dass du für ihn kochst, die Wäsche wäschst und den Haushalt schmeißt“, rief Maria entsetzt.

Dresdner Nachrichten vom 23. Juni 1914
Dresdner Nachrichten vom 23. Juni 1914

„Papperlapapp. Meinen Oskar habe ich erzogen. Als wir noch nicht lange verheiratet waren, hat er mal seinen Wochenlohn fast vollständig mit seinen Kumpels versoffen. Und als ich ihm sagte, dass ich nicht kochen werde, weil ich nichts zum Kochen habe und weil mir der KONSUM nichts mehr anschreibt, hat er getobt, wie ein Berserker.

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Liebstöckel in die Suppe

Eine Mehlsuppe hat er wütend samt Teller an die Wand geworfen. Genützt hat es ihm nichts. Es gab dann bis zum nächsten Lohn nur trockenes, hartes Brot und Wasser aus der Leitung. Sonntags zur Abwechslung mal gekochte Kartoffel und Möhren. Bis zum nächsten Lohn habe ich durchgehalten. Seit dem ist Ruhe. Was auf den Tisch kommt, wird gegessen, so lautete seit dem die Devise.“

„Oi, oi, oi“, bemerkte die Bäuerin. „Das könnte ich bei meinem Bauern nicht. Der würde mich vom Hof jagen und sich mit einer unserer Mägde vergnügen. Die eine oder andere wartete nur darauf, an meiner statt ihm das Bett zu wärmen. Aber zurück zum heutigen Essen. Ich hätte da einen Vorschlag. Der ließ sich schnell zubereiten und schmecken tut’s außerdem.“ Man war ganz Ohr.

„Da wäre die ganz klassische Kartoffelsuppe. Ihr braucht nur Kartoffeln und Wurzelwerk, dazu etwas Liebstöckel. Hab ich auch hier. Wichtig ist: neben Salz und Pfeffer muss Kümmel rein. Nach einer halben Stunde Kochen wird alles gestampft. Die Stärke der Kartoffeln macht die Suppe schön sämig.“

„Bei mir gibt’s heute Spinat mit Kartoffelbrei. Es ist doch Dienstag. Fleisch kommt erst wieder am Sonntag auf den Tisch“, meinte Maria.

Und Frieda hatte einen weiteren Vorschlag betreffs des Essens an warmen Tagen. „Ich mache heute Mittag einen kalten bunten Salat und obenauf gibt’s ein pochiertes Ei, dazu eine Scheibe Brot. Das reicht. Und deshalb brauche ich dafür eine Gurke, drei Tomaten, einen kleinen Salatkopf, Lauchzwiebeln, alles gewürzt mit Salz, Pfeffer, Essig, Zucker und oben drauf Schnittlauch.“

„Das ist eine gute Idee. Werde ich morgen machen. Mal sehen, wie das mein Franz aufnimmt. Aber der ist alles, was ich im vorsetze“, sagte Maria.

Zufriedenheit in der Markthalle und alle erwarteten von den bevorstehenden Gewittern eine Abkühlung.

Anmerkungen des Autors

1 1913 wurde das Restaurant Neustädter Markthalle in die damalige Neuheit eines automatisierten Schankbetriebes, dem „Reichsautomat“ umgewandelt.


Unter der Rubrik „Vor 100 Jahren“ veröffentlichen wir in loser Reihenfolge Anekdoten aus dem Leben, Handeln und Denken von Uroma und Uropa. Dafür durchstöbert der Dresdner Schriftsteller und Journalist Heinz Kulb die Zeitungsarchive in der Sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek. Der vorliegende Text ist literarischer Natur. Grundlage bilden die recherchierten Fakten, die er mit fiktionalen Einflüssen verwebt.