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Feierabend im Militärgericht

Mit großem Hallo wurde Leutnant Walter Freiherr von Pentz am Stammtisch der Militärjuristen im Restaurant „Zum 12. Armeekorps“ in der König-Georg-Allee 15 in der Albertstadt1 begrüßt. „Ihr habt den kürzesten Weg und kommt wie immer als Letzter. Wenn das meine Leute so machen würden, bekämen die erstmal einen Tag Arrest“, rief Hauptmann Alois von Wangen lachend dem Neuankömmling entgegen.

Restaurant zum 12. Armeekorps an der König-Georg-Allee, zeitgenössische Postkarte
Restaurant zum 12. Armeekorps an der König-Georg-Allee, zeitgenössische Postkarte

Die anderen beiden am Tisch, Oberleutnant Franz von Sitter und Leutnant Albert Karo von Dillingen klopften mit ihren Bierhumpen so laut, dass Anna Maria Schmidt, die Wirtin des Etablissement mit einen gefüllten Humpen herbeieilte und diesen vor dem Freiherrn platzierte. Sie mochte den immer vergnügten Militärjuristen, der eine Etage über dem Gastraum hier wohnte. Für die anderen, meist jungen Soldaten und Offiziere war sie so etwas wie die Mutter der Kompanie.

Der Treffpunkt der Militärjuristen

Das Militärgericht des 12. Korps der Sächsischen Armee befand sich oberhalb, an der Königsbrücker Straße linkerhand zwischen der Städtischen Arbeitsanstalt und der Heeresbäckerei. Das Durchforsten der Akten machte nach des Tages Lauf und dessen trockener Luft an diesem Sommertag im Juni 1904 Durst. Und diesen löschte das Quartett mit Vorliebe im besagten Restaurant. Zwar wäre das Gasthaus „Zum Sächsischen Heer“ direkt an der Ecke König Georg-Allee/Königsbrücker Straße näher, doch da verkehrten vorwiegend die höheren Militärchargen. Da konnte man nicht so entspannt und frei miteinander umgehen, wie hier bei Schmidts. Und Vater Schmidt brachte Getränkenachschub, damit der Aktenstaub aus den Kehlen gut weggespült werde, so meinte er.

„Und diesen Humpen trinken wir zu Ehren unseres Kronprinzen und Kommandierendem General Friedrich August2, der dieses Korps zu einem schneidigen Werkzeug der ganzen Sächsischen Armee macht. Ein dreifach Hoch auf den General“, rief Hauptmann von Wangen. Alle stimmten ein und schlugen die Humpen aneinander.

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Ein merkwürdiger Fall

„Was hat Sie denn solange aufgehalten, lieber Pentz?“, fragte Franz von Sitter.

„Ein ganz komischer neuer Fall und zudem sehr lustig“, erwiderte grinsend der Angesprochene und hatte sofort die Aufmerksamkeit aller.

„Ich muss immer wieder lachen, wenn ich nur daran denke. Es geht um einen Vorfall in Zittau, den wir hier zu verhandeln haben. Bei einer Schießübung auf dem dortigen Platz in Neuhammer schoss doch ein Soldat einem Vordermann in den Arsch.“3 Keiner am Tisch konnte mehr an sich halten. Das Lachen steckte die Nachbarn an, sodass durch die fantasievollsten geistigen Umschreibungen des Geschehens bald das ganze Lokal in fröhlichster Stimmung war. Dem Umsatz war es nur zuträglich. Von Leutnant von Pentz wollte man es aber genauer wissen.

Dresdner Nachrichten vom 16. Dezember 1913
Dresdner Nachrichten vom 16. Dezember 1913

„Der schussfreudige Soldat sagte jedenfalls aus, dass sein Gewehr gesichert gewesen sei. Beim Hinlegen ins hohe Heidekraut müsse sich die Flinte irgendwie selbständig entsichert haben und ein Schuss löste sich.“

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Wieder Gelächter im Lokal. „Da wird ihm wohl das ‚Heidikraut‘ zwischen den Beinen gekitzelt haben“, rief ein Unteroffizier vom Nachbartisch. Brüllendes Lachen war das Ergebnis.

„Meine Herren, das war für den Getroffenen gar nicht lustig.“ Doch Pentz konnte auch nicht an sich halten und prustete mit den anderen am Tisch los. „Das Zielobjekt …“ Und wieder grölten die Offiziere am Tisch und die Militärs in der Nachbarschaft über diesen gewählten Amtsausdruck. „Also der unfreiwillig und ohne Befehl beschossene Soldat erlitt eine 6 Zentimeter tiefe Fleischwunde und wurde auf einer Bahre ins Lazarett gebracht. Bis zur Gesundung konnte er auf seinem Arsch weder sitzen noch liegen.“

„Und?“, warf Leutnant Albert von Dillingen ernsten Blickes ein, „wird er in den Arrest wegen Körperverletzung durch unvorsichtige Behandlung der Waffe kommen?“

„Naja, wie ich den zuständigen Militärrichter kenne, wird sich das wohl in Wohlgefallen auflösen. Die Arschwunde soll inzwischen verheilt sein, zumindest bräuchte er dann in der Verhandlung nicht die Hosen runter lassen und dem Richter sein Hinterteil präsentieren.“ Wieder grölten alle im Lokal, die sich diese Szene sehr wohl vorstellen konnten.

„Ich denke, dass das Gericht den Angeklagten wohl freisprechen wird, da ihm eine Absicht nicht nachzuweisen sei.“ Beifall brandete auf und alle wandten sich wieder ihren Kameraden an den Tischen zu.

Was einen sächsischen Soldaten auszeichnet

„Wissen Sie, meine Herren, was einen Soldaten der Sächsischen Armee auszeichnet?“, kam es unerwartet vom ansonsten ruhigsten und ernsthaftesten Aktenwälzer des Militärgerichtes. Erstaunt wandten sich die anderen drei dem Leutnant Albert Karo von Dillingen zu und forderten ihn auf, sie nicht im Ungewissen zu lassen. Die Wirtin brachte eine weitere Runde Bier.

Der Leutnant erhob sich und hatte sofort die Aufmerksamkeit im Lokal. Dabei zog er einen Zettel aus der Seitentasche seiner Uniform und las:

„Der Soldat ist ein vom Weib geborenes, zum Leiden erkorenes, kahlköpfig geschorenes, vom Lande gekommenes, bei der Musterung genommenes, gleich anfangs geimpftes, dann manchmal geschimpftes, viel Hunger habendes, an Kommisbrot sich labendes, Dauerlauf trabendes, im Gleichmarsch gehendes, auf Kommando stillstehendes, langsamen Schritt machendes, im Gliede nie lachendes, Schweißtropfen vergießendes, rechts und links schließendes, Erbsensuppe genießendes, Einjährigen bedienendes, 2 Groschen verdienendes, krampfhaft marschierendes, drei Winter lang frierendes, aus Verzweiflung kapitulierendes, endlich avancierendes, dann andere bestrafendes, auf Wache gern schlafendes, sich als höheres Wesen fühlendes, Zulage erhaltendes, Korporalschaft verwaltendes, dort unumschränkt schaltendes, Kriegsherrn hochhaltendes, Demokraten verachtendes, nach Köchinnen schmachtendes, nicht nach Ruhe sehnendes und endlich Pension nehmendes, zum Polizisten, Briefträger oder Nachtwächter sich bequemendes Individuum.“4

Der Calculator von 1873
Der Calculator von 1873

Tosender Beifall und Jubel umrundete Albert Karo von Dillingen, der sich beseelt setzte und einen kräftigen Schluck aus dem Humpen nahm. Die wenigen, die ob mancher Äußerungen im Text von Dillingen missmutig die Augenbrauen hochzogen, gingen in der ansteckenden Fröhlichkeit unter. Das brachte andere zum Witze erzählen und zum Singen. Alle im Lokal waren der einhelligen Meinung, einen so schönen Abend lange nicht mehr gehabt zu haben. Doch hinterm Horizont sammelten sich unbemerkt die dunklen Wolken eines nahenden Krieges.

Anmerkungen des Autors

1 heute Staufenbergallee 25
2 vom 26.8.1902 bis 17.10.1904 war der spätere König Friedrich August III. als Kronprinz Kommandierender General des 12. Armeekorps (oder 1. Königlich-Sächsisches Armeekorps, sein erklärtes Ziel war, sie Sächsische Armee zu einem „schneidigen Werkzeug“ auszubilden (siehe dazu: Die Sächsische Armee im Deutschen Reich, Dissertation von Jan Hoffmann, Techn. Universität Dresden, 2007)
3 aus Dresdner Nachrichten vom 16. Dezember 1913
4 aus Calculator Nr. 18 von 1873


Unter der Rubrik „Vor 100 Jahren“ veröffentlichen wir in loser Reihenfolge Anekdoten aus dem Leben, Handeln und Denken von Uroma und Uropa. Dafür durchstöbert der Dresdner Schriftsteller und Journalist Heinz Kulb die Zeitungsarchive in der Sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek. Der vorliegende Text ist literarischer Natur. Grundlage bilden die recherchierten Fakten, die er mit fiktionalen Einflüssen verwebt.