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Budenzauber zwischen Attentat und Sommerfreuden

Walter, Berthold und Emil versammelten sich an diesem lauen Sommerabend vor dem Restaurant „Zum Alberttheater“ an der Alaunstraße 2 und warteten auf ihren Freund und Gastwirtssohn Franz. Als der endlich aus der Gaststube heraustrat, wurde er wegen der Warterei der anderen gerügt. „Entschuldigt Freunde, aber das Restaurant ist um diese Zeit voll mit Gästen. Die wollen essen und dann anschließend ins Alberttheater. Wäre ich gegangen, hätte mir mein Vater meine Pflichten nachhaltig eingebläut.“

Restaurant Zum Albertheater, Alaunstraße 2 - zeitgenössische Postkarte
Restaurant Zum Albertheater, Alaunstraße 2 – zeitgenössische Postkarte

Im neuesten Schick

Die Augen der Freunde musterten zunächst anerkennend den hochmodischen Schick vom Franz Menzel. Braune Knickerbockerhosen, grobe wollene Kniestrümpfe und derbe Schnürschuhe, oben ein kleinkariertes Hemd mit breitem braunem Schlips, darüber ein Jackett in dunklerem beige, welches bis zum halben Oberschenkel reichte, und um die Taille schlang sich ein brauner Ledergürtel.

„Da gehen die Mädels heute auf dir ab“, rief Walter Hohlfeld und grinste. Insgeheim war er ein bisschen neidisch, weil er sich als Lehrling und bei einem Vater, der Bote im städtischen Steueramt war, diese extravagante Kleidung nicht leisten konnte. Dieses Gefühl unterdrückte er jedoch, um die gute Stimmung nicht zu verderben.

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„Franz, wie war denn deine Aushebung1 heute in der Turnhalle2 dort hinten?“, änderte Walter Hohlfeld das Thema.

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„Ganz erfolgreich. So an die 170 junge Männer meines Alters waren anwesend. Der Inspekteur der Königlichen Oberersatzkommission der Landwehrbezirksinspektion Dresden war persönlich da und nahm die abschließende Einordnung vor. Davor hieß es ausziehen. Ein Oberstabsarzt schaute quasi jeden von oben bis unten an und ein Adjutant befragte uns nach Schulbildung, Lehre, Elternhaus und dergleichen.

Genug davon. Lasst uns zum Festplatz vom vaterländischen Tag der Sachsen auf die Vogelwiese gehen. Ich habe Durst.“

„Und?“, fragte Emil, der nicht locker ließ und auf das Thema der Aushebung zurückkam, „biste nun tauglich oder nicht?“

„Natürlich, was denkt denn ihr. Bei meiner sportlichen Figur und meinen Muskeln komme ich nicht nur bei den Mädels an. Der Inspekteur war auch ganz hingerissen. Vor euch steht ein künftiger Infanterist zum Dienst mit der Waffe“ und streckte stolz seine Brust heraus.

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Das Attentat auf den österreichischen Thronfolger3

„Für mich wäre das nichts“, murmelte der schmächtige Emil Pilz, dessen Vater Kassendiener in der Dresdner Reichsbankfiliale war. Seine Freunde wussten, dass er keine Lust auf alles Militärische hatte. Nicht nur wegen seinem sozialdemokratisch geprägtem Elternhaus. Emil war eher dem Schöngeistigen zugeneigt.

Dresdner Nachrichten vom 29. Juni 1914
Dresdner Nachrichten vom 29. Juni 1914

„Vielleicht wirst du schneller als Infanterist in die Schlacht ziehen, als dir lieb ist. Mein Vater meint jedenfalls, dass das Attentat auf den österreichischen Thronfolger letzte Woche noch böse Folgen haben werde. Überall brodelt es, auf dem Balkan, zwischen Österreich und Serbien, in Albanien, zwischen Frankreich und Marokko.“

„Ach Emil“, seufzte Franz, „ihr Sozis seht überall schwarz. Mit den Serben werden die K&K-Leute in Wien schon fertig werden. Diese wollen schon lange ein Großserbien und ein Südslawisches Reich. Der Kronprinz Franz Ferdinand war dem eigentlich nicht abgeneigt, sagte mein Vater. Er wollte aber keine Unabhängigkeit der Südslawen, sondern eine dritte Reichskomponente innerhalb der Habsburger Monarchie, neben den österreichischen Stammlanden und Ungarn. Dieser Traum ist wohl mit dem Tod des Träumers begraben worden.4 Und nun werden die Serben dafür bluten müssen.“

Krieg, ja, nein oder vielleicht

Die Mienen der vier Freunde wurden ernst. „Meinst du, dass es einen größeren Krieg geben könnte, da doch Russland mit Serbien verbunden ist“, meinte Berthold zu Franz. Walter wiegte seinen Kopf meinte, dass Deutschland im Dreierbund an Österreich und Italien gekettet sei und Russland ist in der Entente zudem mit England und Frankreich verbunden, was heißen soll, dass wir uns dann ganz schnell in einem großen Krieg wiederfinden würden. „Ich mag mir das gar nicht vorstellen.“

„Quatsch“, bemerkte Franz energisch, „wir haben seit dem Krieg gegen Frankreich und der Gründung des Deutschen Kaiserreiches, also seit nahezu 43 Jahre Frieden. Lass doch diese Balkanesen sich die Köppe einschlagen. Uns greift keiner an. Das meint auch mein Vater und sogar der Inspekteur heute bei der Aushebung.“

„Deine Denke in den Gehörgang von Kaiser, König und den anderen Fürsten. Ich habe keine Lust, wegen dieser Sache mit Franz Ferdinand auf dem Balkan ins Gras zu beißen“, bemerkte Emil.

„Ich auch nicht“, sagte Franz und legte seinen Arm um die Schultern vom Emil. „Übrigens wurden bei der Aushebung nicht alle so positiv wie ich eingeschätzt. Ich habe gehört, dass 24 von den anwesenden Jungs in die Ersatzreserve abgeschoben, 34 zum Dienst in der Landwehr verdonnert und 6 Mann ein Jahr zurückgestellt wurden. Sieben waren sogar dauernd untauglich, worüber die keineswegs, bis auf einen, glücklich waren. Dieser eine war bestimmt ein eingefleischter Sozi“ und knuffte Emil grinsend in die Seite.

Abschalten beim Tag der Sachsen 1914

„Hört auf mit dem ganzen Kriegsgequatsche“, mahnte Emil die Freunde und streckte dabei den Zeigefinger nach oben. „Ich habe Durst und die Quelle der Labsal ist so nahe.“ Ja, so war Emil, wie er leibte und lebte. So liebten sie ihn, diesen dichterischen Freigeist.

Inzwischen hatten sie die Albertbrücke überquert und näherten sich am Elbufer dem Antons5 und dahinter der Vogelwiese.6 Festlich geschmückt in den sächsischen Landesfarben Weiß und Grün und mit Blasmusik einer Militärkapelle wurden sie empfangen. In dem großen Fürstenzelt begrüßten im Beisein des Kronprinzen Georg, die beiden Ehrenvorsitzenden Staatsminister Graf Vitzthum von Eckstädt und Dresdens Oberbürgermeister Geheimrat Beutler die Honoratioren aus Sachsen.

Doch diesen langweiligen Rummel taten sich die Freunde nicht an. Auf dem Gelände der Vogelwiese waren viele Zelte errichtet, in denen sich die einzelnen sächsischen Gegenden mit ihren kulinarischen Köstlichkeiten präsentierten. Sie steuerten das erstbeste Zelt an und fanden sich im Erzgebirge der Seiffener Gegend wieder. Jeder lechzte nach Bier und ihnen ward sofort und reichlich geholfen. Der Abend wurde noch lang. Den nächsten Tag, Sonntag, den 5. Juli 1914, verschliefen die Jungs in glücklicher Bierseligkeit.

Anmerkungen des Autors

1 alte Bezeichnung für Musterung der jungen Männer für den Militärdienst in der sächsischen Armee; in Österreich noch heute üblich
2 Turnhalle auf der Alaunstraße 40, Eigentümer war der Turnverein für Neu- und Antonstadt, an der Stelle wird aktuell die Scheue wiederaufgebaut
3 Das Attentat von Sarajevo, Infos in der Wikipedia und zeitgenössisch in den Dresdner Nachrichten vom 30. Juni 1914
4 Dresdner Neueste Nachrichten vom 4. Juli 1914
5 1754 auf dem Gelände einer ehemaligen Kalkbrennerei an der Elbe als Altersitz vom sächsischen Oberinspektor Christian Gottlob Anton errichtetes kleines Schlösschen. Nach wechselnden Besitzern kaufte 1898 die Stadt Dresden das Anwesen. Es entwickelte sich zu einem beliebten Ausflugsziel, welches im 2. Weltkrieg durch Bomben zerstört wurde.
6 Dresdner Nachrichten vom 5. Juli 1914; auf dem Gelände der Vogelwiese, gelegen zwischen der Johannstädter Uferstraße und der Elbe, fand das Volksfest zum Tag der Sachsen 1914 statt


Unter der Rubrik „Vor 100 Jahren“ veröffentlichen wir in loser Reihenfolge Anekdoten aus dem Leben, Handeln und Denken von Uroma und Uropa. Dafür durchstöbert der Dresdner Schriftsteller und Journalist Heinz Kulb die Zeitungsarchive in der Sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek. Der vorliegende Text ist literarischer Natur. Grundlage bilden die recherchierten Fakten, die er mit fiktionalen Einflüssen verwebt.