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Bald ruft das Vaterland

Aber davon ahnten die Herren am Stammtisch im Café des Hotels „Zum Kronprinz“1 auf der Hauptstraße in Dresden an diesem warmen Julitag 1914 nichts. Es brodelte zwar rings um das Deutsche Reich und in verschiedenen Ecken Europas. Aber das war man seit Jahren gewöhnt. Und auch die ungeheuerliche Provokation der Ermordung des österreichischen Thronfolgers Franz Ferdinand durch serbische Separatisten und Anarchisten in Sarajevo2 ließ das Quintett nicht aus der Ruhe bringen. Da regte man sich eher über Naheliegendes auf.

Hotel Kronprinz, Hauptstraße 5, neben dem Rathaus, Postkarte 1911
Hotel Kronprinz, Hauptstraße 5, neben dem Rathaus, Postkarte 1911

Hohe Fleischpreise

„Mir machen die hohen Fleischpreise3 zu schaffen“, euschophierte sich Friedrich Rühmann, der Hausherr des „Kronprinz“. „Im Stadtrat wurde gestern heftig darüber diskutiert. Der gesamte Vorstand der Fleischerinnung war da. Die haben dem Oberbürgermeister Beutler kräftig die Nase poliert. So treibe der Rat selbst die Preise mit überhöhtem Obolus für den städtischen Strom und das Allgemeingut Wasser nach oben. Doch der OB stellte taub. Die Innung bot an, dass deren Mitglieder dem Rat die Einkaufs- und Verkaufspreise zukommen lassen. Naja. Da sollen die Fleischer wohl als Buhmänner hingestellt werden“, hob resigniert Rühmann seine Hände und nahm einen großen Schluck aus seinem Weinglas.

Dresdner Neueste Nachrichten vom 10. Juli 1914
Dresdner Neueste Nachrichten vom 10. Juli 1914

„Das werden sie schon längst, nämlich von den Sozis“, rief Rechtsanwalt Franz Weigel dazwischen. „Von denen werden die Fleischer inzwischen als ‚Fleischwucherer‘ gebrandmarkt4 und die Restaurant-, Hotel- und Cafébesitzer werden bald folgen. Hier mal ein hinterfotziges, Tränen vergießendes Beispiel aus dem Schmierenblatt dieser Radikalen, der Dresdner Volkszeitung. ‚Die bösen Kritiker aber haben völlig unrecht, den armen Fleischermeistern geht es nach wie vor miserabel, sie müssen mit Kind und Kegel schuften, dass sie schwarz werden und sollen dabei nicht einmal ein Stück Geld verdienen‘. Deshalb wollen die Fleischermeister selbst eine Liste aufstellen über Kosten und Erlöse.“

Dresdner Volkszeitung vom 10. Juli 1914
Dresdner Volkszeitung vom 10. Juli 1914

„Was auch irgendwie vernünftig wäre“, warf Bürstenmachermeister Räppel vom Obergraben 3 ein. „Auch in meiner Branche gehen die Preise für Holz, Bürstenfasern und Farben nach oben, von Werkzeugen ganz zu schweigen. Ich kalkuliere schon kreuz vor knapp, aber der Umsatz sinkt und sinkt.“ Alle nahmen mitleidig kräftige Schlucke aus ihren Gläsern.

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Banane als neues Volksernährungsmittel

Zahnarzt Bergfeld schüttelt mit dem Kopf. „Meine Herren, was regt ihr euch auf? Längst gibt es eine Alternative zum teuren Fleisch. Esst mehr Bananen! So könnten sich auch die Armen gut ernähren.“5

Damit hatte keiner gerechnet und sie hatten auch keine Antwort auf diese Dreistigkeit parat.

Deshalb fuhr der Zahnarzt fort. „Die Banane ist inzwischen ein Importschlager aus unseren Kolonien. Und selbst die unteren Schichten können sich diese Früchte leisten. Sie kommen grün im Hamburger Hafen an, reifen in Lägern, machen schnell satt, haben wichtige Nährstoffe und sind trotzdem preiswert.“

„Wunderbar, lieber Bergfeld. Ganz hervorragend“, lachte Otto Lambrecht vom Beerdigungsinstitut „Concordia“ am Obergraben. „Und wenn ich keine Bananen essen will, weil ich kein Affe aus dem Zoo bin? Hä. Hin und wieder mal eine, ja. Aber ich brauche meine Bockwurst, meinen Tafelspitz, mein Schnitzel und meine Rouladen. Dieses neumodische Gesülze bringt mich noch ins Grab.“ Schallendes Gelächter am Tisch ob dieses witzigen Bonbons. Und der Kellner brachte eine neue Runde.

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Kriegstüchtig werden

„Das mit den Bananen geht aber nur bei offenen Handelswegen, sprich in Friedenszeiten. Woher und auf welchem Wege sollen die im Krieg zu uns kommen? Wenn die Engländer und Franzosen uns behindern und die Bananenschiffe versenken?“, gab Bürstenmachermeister Räppel zu bedenken.

Neustädter Markt mit Rathaus und Hauptstraße - zeitgenössische Postkarte
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Alle kratzten sich am Kinn. „Stimmt“, fand der Zahnarzt nach längerem Nachdenken als erster die Sprache wieder. „Wir haben sie nicht das ganze Jahr im Angebot. Und lange aufbewahren, wie den Weiß- und den Rotkohl, die Möhren und die Kartoffeln, lassen sie sich nicht. Im Krieg brauchen die Truppen ständig bereite Feldküchen, Heu für die Pferde, Ankaufsmöglichkeiten in der Umgebung und für jeden Notfall eiserne Rationen.6 Mit hungernden Soldaten kann man keinen Krieg gewinnen. Und auch das Hinterland muss bereit sein, Opfer für die Front zu bringen. Aber hungern dürfen sie auch nicht, sonst machen sie gemeinsam mit den Sozis eine Revolution.“

„Hoffen wir, dass es nicht dazu kommt, mein lieber Bergfeld. Unser Kaiser Wilhelm II. wird es schon richten. Wie auch unser König. Trinken wir auf die Vernunft, auch wenn dieses Pflänzchen dieses Jahr besonders mickrig erscheint. Möge der bittere Kelch an uns vorüber gehen“, schloss Totengräber Lambrecht den Abend.

Anmerkungen des Autors

1 wurde am 13. Februar 1945 zerstört
2 am 28. Juni 1914; gilt als Auslöser des 1. Weltkrieges
3 aus Dresdner Neueste Nachrichten vom 10. Juli 1914
4 aus Dresdner Volkszeitung vom 10. Juli 1914
5 aus Dresdner Neueste Nachrichten vom 11. Juli 1914
6 aus Dresdner Neueste Nachrichten vom 8. Juli 1914


Unter der Rubrik “Vor 100 Jahren” veröffentlichen wir in loser Reihenfolge Anekdoten aus dem Leben, Handeln und Denken von Uroma und Uropa. Dafür durchstöbert der Dresdner Schriftsteller und Journalist Heinz Kulb die Zeitungsarchive in der Sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek. Der vorliegende Text ist literarischer Natur. Grundlage bilden die recherchierten Fakten, die er mit fiktionalen Einflüssen verwebt.

Ergänzungen gern, aber bitte recht freundlich.

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