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Kränzchen im Café Moltke

Fast gleichzeitig kamen die vier Freundinnen Elisa, Amalie, Mechthild und Sophie zu ihrem wöchentlichen Kränzchen am Eingang zum Café Moltke1 an, als am gegenüber liegenden Blockhaus2 ein Auto vorfuhr. Die Soldaten kamen im Schnellschritt aus der Wache und postierten sich salutierend vor dem Eingang des in diesem Gebäude befindlichen Sächsischen Kriegsministeriums.

Café Moltke um die Jahrhundertwende - zeitgenössische Postkarte
Café Moltke um die Jahrhundertwende – zeitgenössische Postkarte

Dem Auto entstieg der Adjutant des Ministers, Oberleutnant Breitling, der ob seiner schneidigen Uniform und dem guten Aussehen den Damen einige Seufzer entlockte. Als der erst im Mai 1914 berufene Kriegsminister, der aus altem meißnischen Adelsgeschlecht stammende Adolf von Carlowitz, dem Auto entstieg, regte sich kein emotionales Seufzerlein. Bis auf die alte Jungfer Sophie und die Witwe Elisa hatten die beiden anderen Damen Männer ähnlichen Alters zu Hause.

Rein in die Kühle

Die Vierertruppe ging schnellen Schrittes ins Café, um der Glut der Sonne an diesem 17. Juli des Jahres 1914 zu entfliehen. Das dicke Gemäuer hielt die Wärme ab und erhöhte das Wohlempfinden. Dem Lehrbuben Egon blieb der Mund offen ob der Betonung der reichhaltigen Oberweiten.

Ein Schlag auf den Hinterkopf von Oberkellner Friedrich löste dessen erotische Starre und geleitete die Damen zu ihrem eingedeckten Stammtisch in der hinteren Ecke des Cafés mit Blick zum Vorplatz des Blockhauses. Hier hatten sie das Treiben der Soldaten in ihren schicken Uniformen genau im Blick, was einer der Hauptgründe für die Wahl des Kränzchenortes vor fast 10 Jahren war. Geschwind kamen zwei Kellner mit Kaffee und Eierschecke als Auftakt dieses Kränzchens.

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Kriegsspiele in Kaditz

„Am vergangenen Sonntag waren wir auf dem Flugplatz in Kaditz zur kriegsmäßigen Ballonverfolgung“3, begann Mechthild das Gespräch. „Mein Mann, der Oberstleutnant bei der 3. Kavalleriebrigade Nr. 32 oben in der Albertstadt ist, nahm mich zu diesem Gaudi mit. Erst wollte ich nicht, aber dann war es ein vergnüglicher Nachmittag. Mich interessierten natürlich die Hüte der Damen. Einer schöner als der andere.“

Hauptstraße um die Jahrhundertwende. Zeitgenössische Postkarte
Hauptstraße um die Jahrhundertwende. Zeitgenössische Postkarte

„Und, wie ging denn dieses Kriegsspiel aus?“, warf die spröde Witwe Elisa ein, um den Wortschwall von Mechthild zu unterbrechen und von der erahnten ausschweifenden Modebeschreibung abzulenken. „Genau weiß ich das auch nicht, liebste Elisa“, entgegnete Mechthild etwas angesäuert.

Das nahm Amalie zum Anlass, endlich in das Wortgeschehen einzugreifen. „Ich hab’s in der Zeitung gelesen. Im Mittelpunkt stand das aus Potsdam kommende Luftschiff ‚Hansa‘, welches von vier Heißluftballons der roten Kriegspartei begleitet wurde. Die blaue Partei besaß drei Flugzeuge und einige Automobile. Wegen  eines Gewitters mussten die Ballons leider landen. Die Autos verfolgten die Ballons vom Boden aus. Zur Nachrichtenübermittlung wurden sogar Brieftauben eingesetzt. Das Schätzen der Besucher, ob ein Flugzeug oder ein Luftschiff am schnellsten in eine bestimmte Höhe kommt, konnten die Flugzeuge für sich entscheiden.“

„Aber nun mal Schluss mit diesem ganzen Kriegsgeheule“, rief Sophie dazwischen. „Das macht mir richtiggehend Angst. Seit den Schüssen von Sarajewo gibt es kein anderes Thema. Ich will keinen Krieg und schon gar nicht, dass meine Angehörigen im Sarg nach Hause kommen.“

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Suffragetten und Wahlrecht

„Du alte Jungfer, du hast doch niemanden, den du verlieren kannst. Wir schon. Aber du hast recht. Reden wir von was anderem“, erwiderte Amalie und legte ihre Hand beschwichtigend auf Sophies Arm. Sophie nickte und meinte, dass wir hier mal über die Suffragetten6 reden sollten. „Ach du meine Güte“, entfuhr es Mechthild. „Meinst du diese Wahlrechtsweiber in England?“4, fragte Elisa nach. „Ganz genau“, rief Sophie verschmitzt grinsend. „Die sollen kürzlich in Schottland sogar den König und seine Königin belästigt haben.“

Da wollten die anderen natürlich genaueres wissen. Sie hielten, so Sophie, dem König ein Plakat hin, auf dem gestanden haben soll: „Majestät! Tun Sie Einhalt der Zwangsfütterung und den übrigen Peinigungen zweier Genossinnen“. Gegenüber der Stelle, wo der König reden wollte, schrien einige dieser Weiber ihre Forderungen nach dem Frauenwahlrecht durch Megaphone, um die Worte des Königs unhörbar zu machen.

Kampfmethoden der heißblütigen Engländerinnen

„Und wie reagierte das Königspaar?“, fragte Mechthild. Sophie lachte. „Wie es sich gehörte. Die taten so, als wäre nichts geschehen. Aber die Zuschauer waren in Aufruhr und wollten die Suffragetten verprügeln. Daraufhin rissen diese Weiber den Straßenschmuck mit Blumen und Fähnchen herunter. Das war noch nicht alles. Zwei von ihnen brachten sogar eine Sprengladung am Haus des schottischen Nationaldichters Robert Burns an. Burns war zwar schon lange tot, aber zum Glück für die Gedenkstätte konnte aber diese Bombe nicht zünden. Die Chefin von diesem Verein, die Frau Punkhurst, wurde verhaftet.“

Elisa schüttelte ihren Kopf. „Diese Weiber sind schlimmer als die Anarchisten. Wehe, wenn sie losgelassen werde. Da können diese Weiber zu Furien werden.“ Lachen am Tisch. Freudig wurde der kredenzte Wein getrunken.

Dresdner Neueste Nachrichten vom 16. Juli 1914
Dresdner Neueste Nachrichten vom 16. Juli 1914

„Da gibt’s noch mehr. In Perth in Schottland soll eine Suffragette auf das Trittbrett der königlichen Kutsche gesprungen sein und wollte das Fenster einschlagen. Nur mit Mühe wurden die Volksmassen davon abgehalten, die Kampflady zu lynchen. In Edinburgh bewarf man die Kutsche mit einem Ball, der im Schoß der Königin landete. Majestät reagierte humorvoll. Trotzdem wurde die Werferin verhaftet. Hätte ja eine Bombe sein können.“

Sophie entrüstete sich. „Keine Achtung mehr vor der Obrigkeit. Wo soll das nur hinführen. Die Welt ist wahrlich aus den Fugen. Das ist das Ergebnis der um sich greifenden Gottlosigkeiten dieser Liberalen und der Sozis.“ Ringsum Zustimmung.

Wie lange darf ein Filmkuss dauern?

„Hört auf mit diesen prügelnden Weiber. Die sind eine Schande für uns Frauen. Ja, Wahlrecht hätte ich auch gern, aber nicht mit diesen Methoden. Ich wette, dass die von Kochen, Hausarbeit und Kindererziehung nichts wissen und nichts wissen wollen“, warf Amalie ein.

„Recht hast du, liebe Amalie. In Amerika ist folgendes auch ein großes Thema. Da diskutiert man darüber, wie lange darf ein Filmkuss dauern?“5 meinte Mechthild. Dieses Thema kam der moralisierenden Sophie gerade recht. Sie hatte was gegen das sündige Filmwesen, das die Jugend verderbe, wie ihr Bischof in jeder Predigt in der Hofkirche betonte. In den USA soll sich eine Mitarbeiterin der Zensurbehörde ins Kino gesetzt haben und mit der Stoppuhr dieses Aufeinanderpressen der Lippen gemessen haben. Mit Entsetzen habe sie festgestellt, dass sich die Helden und Heldinnen filmkilometerlang ihre Lippen aufeinander setzten und zwar mit sichtbarer Wollust. Schamlos. Wenn ich an den Mundgeruch denke, wird mir gleich schlecht. Wer weiß was diese unsittlichen Filmleute demnächst noch alles zeigen werden, wenn ihnen nicht Einhalt geboten werde. “

„Das ist ja ekelhaft“, warf Elisa ein.

„Wenn die Kerle attraktiv sind, hätte ich nichts dagegen“, wischte Mechthild diesen Einwand lachend hinweg. Das rief lauten Widerspruch und böse Blicke von Elisa und Sophie hervor.

„Und was hat die Zensorin nun festgelegt?“, wolle Amalie wissen.

„Ab sofort dürfe ein Kuss im Film nicht länger als einen dreiviertel Filmmeter oder 36 Sekunden dauern“, so Mechthild.

„Das wäre mir noch viel zu lang. Sowas gehört nicht auf die Leinwand, sondern allein ins Schlafzimmer der Erwachsenen. Die armen Kinder werden durch sowas fürs ganze Leben geschockt“, euschophierte sich Sophie.

Damit erzielte das Kränzchen wieder mal keine Einigkeit am Tisch. Doch das war man gewohnt.

Anmerkungen

1 benannt nach Generalfeldmarschall Helmut von Moltke. Er hatte als Chef des Generalstabes großen Anteil an den siegreichen Kriegen Preußens unter Bismarck zur Einheit Deutschlands 1864 gegen Dänemark, 1966 gegen Österreich und 1870/71 gegen Frankreich.
2 Von 1749 an war hier die Neustädter Wache untergebracht. Zwischendurch war das Blockhaus auch der Wohnsitz der Gouverneure. Nach dem Maiaufstand 1849 befanden sich hier das sächsische Kriegsministerium, das Oberkriegsgericht u.a. militärische Behörden. 1922 waren hier das Wehrkreiskommando IV der Reichswehr und die Wehrkreisbücherei. 1945 durch Bomben zerstört, blieb es viele Jahre lang eine Ruine. 1982 wurde es ein Haus der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft mit öffentlicher Gaststätte. Nach der Wende nutzten es Landesinstitutionen. Nach dem Umbau ab 2016 kam hier das Archiv der Avantgarden der Staatlichen Kunstsammlungen rein.
3 aus Dresdner Neueste Nachrichten vom 14. Juli 1914
4 aus Dresdner Neueste Nachrichten vom 14. Juli und vom 18. Juli 1914
5 aus Dresdner Neueste Nachrichten vom 16. Juli 1914
6 aus dem franz. Suffrage = Wahlrecht; eine seit Anfang des 20. Jahrhunderts in England und den USA organisierte Frauenbewegung aus dem Bürgertum zur Erreichung des vollen Wahlrechts für Frauen. Sie nutzten sowohl passiven Methoden, Hungerstreiks, aber auch militante Mittel, wie Messer- und Beilattacken auf Polizisten, Abgeordnete, Minister und den König, Gemäldezerstörungen in Ausstellungen, Fensterzerstörungen in Einkaufszentren. In Deutschland, auch hier in Dresden gab es Anhänger. Das Frauenwahlrecht wurde 1919 mit der Weimarer Verfassung erreicht, in England erst 1928.


Unter der Rubrik „Vor 100 Jahren“ veröffentlichen wir in loser Reihenfolge Anekdoten aus dem Leben, Handeln und Denken von Uroma und Uropa. Dafür durchstöbert der Dresdner Schriftsteller und Journalist Heinz Kulb die Zeitungsarchive in der Sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek. Der vorliegende Text ist literarischer Natur. Grundlage bilden die recherchierten Fakten, die er mit fiktionalen Einflüssen verwebt.