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Hurra, es wird Krieg

Menzel blockierte einen Tisch im väterlichen Café „Zum Alberttheater“ in der Alaunstraße. Er hatte an diesem geschichtsträchtigen Abend des 28. Juli 1914 seine Freunde eingeladen. Die Monarchie in Wien hatte Serbien endlich nach dem unseligen Mord an das Kronprinzenpaar in Sarajewo ein Ultimatum gestellt.

Restaurant Zum Albertheater, Alaunstraße 2 - zeitgenössische Postkarte
Restaurant Zum Albertheater, Alaunstraße 2 – zeitgenössische Postkarte

Nun standen alle Zeichen auf Krieg. Die Gaststube und die Vereinsräume waren bereits gut gefüllt mit begeisterten, patriotisch gesinnten Menschen aus der Nachbarschaft, die den österreichischen Kaiser hochleben ließen, die deutsche Kaiserhymne „Heil dir im Siegerkranz“1 sangen und dem Bier nebst vielen Kurzen reichlich zusprachen.2

„Da seid ihr endlich“, rief Franz den herein kommenden Walter, Berthold und Emil entgegen. „Ich musste mit aller Gewalt die Stühle hier am Tisch verteidigen“, grinste er. „Setzt euch. Ich hole erstmal eine Runde Bier. So erhitzt, wie ihr ausseht, braucht ihr dringend eine innere Abkühlung“ und machte sich auf den Weg zur Theke.

Dresden im vielfachen Taumel patriotischer Begeisterung

Gierig griffen die Freunde nach den Gläsern und tranken deren Inhalte in einem Zug aus. Dem genüsslichen „Ahh“ folgte die Bitte, die Luft aus den Gläsern zu lassen. Dem kam Franz sofort nach. Derweil erreichte die Stimmung im Restaurant einen Höhepunkt, als sich ein selbst berufener Redner lautstark darauf ausließ, die Österreicher ob ihres konsequenten Druckes mittels Ultimatum auf die Serben zu loben.

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Tosender Beifall und das Lied der Deutschen3 folgten. Franz und Berthold standen auf und riefen ihr Bravo in die Runde, während sich bei Walter und Emil, die aus proletarischen Verhältnissen stammten, die patriotische Begeisterung sehr in Grenzen hielt.

Vom Nachbartisch hörten sie, dass sich viele Menschen spontan zu Jubelmärschen2 zum Schloss und zum österreichischen Generalkonsulat begaben, welches sich im Haus der Dresdner Bank auf der König-Johann-Straße befand. In der Stadt soll es von Patrioten nur so wimmeln, bestätigte einer an einem anderen Tisch. Selbst einer der Prinzen soll einer Demonstration zugewunken haben, meinte ein weiterer.

Dresdner Neueste Nachrichten vom 28. Juli 1914
Dresdner Neueste Nachrichten vom 28. Juli 1914

„Da seht ihr, dass der österreichische Kaiser Franz Josef sich von den Serben nicht auf der Nase herumtanzen lässt“, rief Franz und Berthold ergänzte, dass diese seit Jahren andauernden Provokationen der Nationalisten aus Belgrad nun das Fass vollgemacht hätten und die Mobilmachung4 zumindest in Österreich begann. Franz wusste, dass im Generalkonsulat der K&K- Monarchie auch die Erfassung und Einberufung der vielen Tausenden in Sachsen weilenden österreichischen und ungarischen Bürger begonnen habe.

Ganz anders die Stimmung in der politischen Industriearbeiterschaft

Als Franz den Emil anschaute, bemerkte er augenzwinkernd, dass Freude wohl anders aussähe. Aber von einem Sozi erwarte er auch keine Beifallsstürme. Berthold grinste ebenfalls und klopfte Emil freundschaftlich auf den Rücken. Walter blickte ernsthaft nach unten.

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Der schmächtige und blasse Emil trank einen Schluck aus dem Glas. „Gestern Abend fand in der ‚Reichskrone‘ eine große Versammlung der SPD statt5. Tausende waren dort, die nicht alle hinein passten und sich zusätzlich im Garten und an der Ecke Bischofsweg und Königsbrücker Straße versammelten.

Dresdner Volkszeitung vom 29. Juli 1914
Dresdner Volkszeitung vom 29. Juli 1914

Begeisterung gab es auch, aber keine patriotische. Alle sprachen sich gegen das Ultimatum der Österreicher gegen Serbien aus und beauftragten die Parteiführung, sich sofort für einen internationalen Sozialistenkongress zur Verhinderung eines Weltkrieges einzusetzen und den Kriegstreibern mit einem europaweitem Generalstreik in die Arme zu fallen.“

Es gab doch so viele Jahre Frieden, meinten die Redner. Aber nun will das Kapital Krieg, Krieg, der das Leben vieler Söhne, Väter und Brüder kosten und viel Leid in die Familien tragen würde. Man verspottete die sogenannten patriotischen Bengelchen mit ihrem Hurra-Geschrei und brandmarkte die Doppelzüngigkeit der Polizei, die diese Patrioten zunächst gewähren ließ und die proletarischen Friedensdemos aber sofort verbot.

In der Reichskrone, Königsbrücker, Ecke Bischofsweg fanden seinerzeit etliche Versammlungen statt. Zeitgenössische Postkarte.
In der Reichskrone, Königsbrücker, Ecke Bischofsweg fanden seinerzeit etliche Versammlungen statt. Zeitgenössische Postkarte.

Die Gesellschaft spaltet sich

An den Nachbartischen machten sich Unruhe und negative Stimmungen breit. Da Franz bei den meisten als Sohn vom Wirt und als guter Patriot bekannt war, konnten Handgreiflichkeiten vermieden werden.
Der Wirt, Franzens Vater, griff ein. „In meinem Hause gilt immer noch, dass jeder eine Meinung haben und sie auch äußern darf. Oder gilt das jetzt nicht mehr?“ Dabei sah er jeden einzelnen an den Tischen tiefernst in die Augen. Das wirkte, denn mit der Ehefrau, dem Pastor und dem Kneipenwirt sollte man sich nicht überwerfen. Und so wandte man sich wieder der eigenen Sitzschaft an den Tischen zu, prostete auf Kaiser und König und skandierte unter großem Beifall den neuen Spruch „Serbien muss sterbien“.

Freudige Stimmung kam an diesem Abend am Tisch der vier Freunde aber nicht auf. Franz und Walter schmeckte das Bier in dieser patriotischen Stimmung nicht mehr und sie ließen Franz und Berthold verwirrt zurück.

Anmerkungen

1 Ursprungstext von Heinrich Harries, Melodie von der britischen Königshymne. Es entstand 1790 zu Ehren des dänischen Königs Christian VII. und war von 1795 bis 1871 die preußische Volkshymne. Der Text wurde immer wieder an die konkreten Verhältnisse angepasst. Wurde zu besonderen Anlässen, wie dem Tag der Reichsgründung gesungen.
2 Dresdner Neueste Nachrichten vom 28.Juli 1914
3 Das Lied der Deutschen, auch Deutschlandlied genannt, wurde als Text 1841 von August Heinrich Hoffmann von Fallersleben auf der Insel Helgoland gedichtet. Als Melodie nutzte er die alte Kaiserhymne „Gott erhalte Franz, den Kaiser“ von Joseph Haydn. Die dritte Strophe ist die heutige deutsche Nationalhymne.
4 Dresdner Neueste Nachrichten vom 29.Juli 1914
5 Dresdner Volkszeitung vom 29. Juli 1914


Unter der Rubrik „Vor 100 Jahren“ veröffentlichen wir in loser Reihenfolge Anekdoten aus dem Leben, Handeln und Denken von Uroma und Uropa. Dafür durchstöbert der Dresdner Schriftsteller und Journalist Heinz Kulb die Zeitungsarchive in der Sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek. Der vorliegende Text ist literarischer Natur. Grundlage bilden die recherchierten Fakten, die er mit fiktionalen Einflüssen verwebt.

Ein Kommentar

  1. Man möchte glauben, dass nach 110 Jahren so manch ein Politiker (:innen eingeschlossen) meint, die Zeit dafür sei wieder reif.

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