Ein Raunen geht durch den Raum, als Lisa den Trailer des ersten erfolgreichen Hip-Hop-Films „Wild Style!“ startet. Es folgen weitere Dokumentationsausschnitte der Deutschen-Streetart-Szene, die Augen der 40 Grundschulkinder weiten sich bei jedem neuen Piece, das gezeigt wird.
Graffiti-Projekt der vierten Klassen
In der vergangenen Woche wurde an der 19. Grundschule unter dem Slogan „bunt gemischt“ die Turnhalle neu gestaltet. Die beiden Schulsozialarbeiterinnen Sophie Scholta und Jana Heyne waren bereits in der letzten Woche in den vierten Klassen unterwegs und haben in kleinen Workshops über Demokratie, Vielfalt und Toleranz gesprochen. Nun sollen die Kinder in die Welt der Graffiti eintauchen und erfahren was Street-Art mit Meinungsäußerungen und Demokratiebildung zu tun hat. Zusätzliche Unterstützung haben sie dabei von Lisa und Teo, zwei Sprayer*innen aus Dresden.
„Wer von euch hat denn schonmal mit Dosen gesprüht?“, fragt Lisa, viele Arme gehen nach oben. Das Team stellt klar, das Sprühen auf öffentlichen Flächen ist nicht erlaubt, dennoch sei es wichtig um sich als Gesellschaft auszudrücken, oft auch um politische Statements zu setzen.
Als Teo die beiden Klassen übernimmt, stellt er den Kindern die Leitfrage „Was möchtest du ausdrücken?“ Weil Dosen teuer sind, ist es immer von Vorteil vorher zu wissen was an die Wand soll. Teo zeigt auf Papier verschiedene Schriftstile von Bubble-Style über Schattenoptik und 3D-Sicht. Dann fordert er die Kinder auf: „So, jetzt seid ihr dran!“
Eifrig wird der Stapel mit weißem Papier durch die Reihen gegeben und der Kampf um den besten Stift beginnt. Konzentriert überlegen sich die Kids ein Wort mit persönlichem Bezug für ihren „Tag-Name“. Zuvor haben sie gelernt, es muss nicht unbedingt der eigene Name sein, sondern die „Tags“ der Straßenkünstler*innen bestehen meist nur aus einem beliebig gewählten Wort.
Teo und Lisa steigen zwischen den Kindern durch, geben Anregungen und sind begeistert von der Kreativität der Jungen und Mädchen. Das Ziel heute ist es einen geeigneten Satz zu finden, welcher die in die Jahre gekommene Turnhalle wieder zum Strahlen bringt. In einer geheimen Wahl wird dann zwischen vier Ideen abgestimmt. Der Satz „Wir halten zusammen, bunt gemischt“ gewinnt mit eindeutiger Mehrheit.
Hintergründe und Herangehensweise
Das Thema Migration spielte in der DaZ-Schule1 am Jägerpark schon lange eine Rolle. Durch die Medien sowie auch Wahlplakate auf der Straße beschäftigte das Theama zunehmend auch die Kinder der 19. Grundschule. Sie äußerten vermehrt ihre Unsicherheiten und Ängste über das „hier gewollt werden“. Für die Schulsozialarbeiterinnen war klar, dieses Thema muss aufgegriffen werden. Sie wollen den besorgten Schüler*innen ein Gefühl von Sicherheit im Alltag vermitteln. Dabei trafen sie auf große Unterstützung der beiden Klassenlehrerinnen Frau Richter und Frau Freienberg.
In kleinen Workshops, über drei Tage verteilt, erfuhren die Kinder viel über die Themen Demokratie, Vielfalt und Toleranz. Als Praxiserfahrung dieser Tage wurde die Klassensprecher*innenwahl wie eine echten demokratischen Wahl durchgeführt. Es gab eine Wahlkabine, richtige Stimmzettel und natürlich war alles geheim – eben wie bei einer echten Wahl. Vielen Kindern kam der Ablauf bekannt vor, weil sie bei den Eltern mal dabei waren, andere lernten dabei zum ersten Mal demokratische Prozesse kennen. Aus diesen Tagen haben die Grundschüler*innen mitgenommen, was Demokratie in der Gesellschaft bedeutet: Zusammenhalt und freie Meinungsäußerung.
Mit den Workshops war die Sache für die Sozialarbeiterinnen Jana und Sophie jedoch noch nicht vollendet. Jana sagt: „Es geht darum mit partizipativen Ansätzen zu arbeiten“ und erklärt wie sie dadurch auf die Idee kamen gemeinsam ein Kunstwerk zu schaffen. Ein Zeichen setzen, was die Schüler*innen immer wieder an die gemeinsamen Tage erinnert und ihnen sagt „Wir halten zusammen“. Dabei wurde die Form des Graffiti ausgewählt, um den Beteiligten den Raum zu geben sich auszudrücken.
Finanzielle Unterstützung für das Makeover der Turnhalle brachte unter anderem das Programm „Demokratie Leben“ vom Bundesfamilienministerium. Lisa ist freischaffende Künstlerin und wurde angefragt, das Projekt der 19. Grundschule zu begleiten. Teo sprayte schon öfter für soziale Projekte.
Auf die Dosen, fertig – Los!
Ein Junge in roter kurzer Hose und weißem Shirt hält eine Rolle mit blauer Farbe in der Hand. Auf dem Weg vor der Turnhalle hinterlässt er eine hellblaue Spur. Begeistert zeigt er seinem Freund das Werk. Seine Lehrerin dreht sich schnell zu ihm, „Das machen wir bitte nicht!“
Mit den Farben blau, lila und grün wird ein zwei Meter breiter Streifen auf der Rückseite der Turnhalle grundiert. Mithilfe von Farbrollen und breiten Malerpinseln streichen rund 20 Kinder die Wand an. Nach eineinhalb Stunden steht der Untergrund. Während der Grundierungsarbeiten bastelt die andere Hälfte der Gruppe fleißig an Schablonen. Mit Cuttermessern schneiden sie Rock’n’Roll-Fäuste , Peace-Zeichen und Smiley-Gesichter aus. Nach dem Trocknen der Farbe werden noch am gleichen Tag in mehreren Gruppen die Outlines der Buchstaben gezogen.
Lisas goldene Regel: „Ihr dürft machen was ihr wollt, wichtig ist nur, redet miteinander“, scheinen alle Kinder verstanden zu haben. Als es ans Sprühen geht, finden alle ihren Platz und respektieren die Bereiche der anderen. Alle sind mit Spaß und Rücksicht bei der Sache. Aufgeregt fragt eine Junge, ob er auch zwei Farben in einen Buchstaben des Slogans bringen darf. „Du kannst sogar drei Farben nehmen“, antwortet Teo und lacht. Begeisterung macht sich breit. Rund zwei Stunden arbeiten die beiden Klassen an den Fill-in’s und dem Sprühen der selbstgebastelten Schablonen vom Vortag.
Am Freitag ist das 20 Meter lange Kunstwerk fertig, Kinder und Erwachsene sind glücklich. Das Projekt war ein voller Erfolg für das Zusammengehörigkeitsgefühl der Schule.
1 Sogenannte DaZ-Schulen unterrichten das Fach Deutsch als Zweitsprache. Dort lernen die Schülerinnen und Schüler deren Muttersprache nicht Deutsch ist, die Grundlagen der Alltags- und Bildungssprache.