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Wenn ich einmal reich wär…

Nur mit einer leichten Bluse und einer Schürze bekleidet erreichte Rosi Büschel, schwer atmend aus dem dritten Stock kommend, den Innenhof des Hauses Alaunstraße 51. An diesem Sonntag, Anfang November 1924 war sie mit dem Aufwasch nach dem Frühstück fertig und schaffte die Asche aus dem Küchenherd nach unten. Ihr Mann, der Postpensionär, las in der Sonntagsausgabe der Dresdner Nachrichten, mit sich und der Welt zufrieden.

Restaurant "Alaungarten" in der Alaunstraße - zeitgenössische Postkarte, Ausschnitt
Restaurant „Alaungarten“ in der Alaunstraße – zeitgenössische Postkarte, Ausschnitt

Das Wetter war schon seit mehreren Tagen ungewöhnlich mild. In der letzten Oktoberwoche hatte Rosi den Eindruck, dass die Welt nicht wusste, ob sie nach dem Herbst gleich zum Frühling übergehen sollte. Ihr wäre es recht. Sie mochte weder neblige, graue Novembertage, noch strengen Frost und würde sich eigentlich im südlichen Italien wohler fühlen. Auch wenn sie nicht wirklich wusste, wie es dort um diese Jahreszeit wettermäßig aussah.

Ein „verirrter“ goldener Herbsttag

Nachdem sie den Aschekasten in den dafür vorgesehenen Kübel entleert hatte und wieder normal atmen konnte, gesellte sich ihre Nachbarin, die Witwe Amalie Krinke hinzu.

„Morgen Rosi“, rief sie lachend. „Dieses Sonntagswetter ist wie für uns gemacht. Was macht ihr heute daraus?“

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„Weiß noch nicht. Mein Robert liest sich gerade durch die Zeitung und wartet dann aufs Mittagessen. Vielleicht spazieren wir ein wenig an die Elbe zum Linckeschem Bad. Dort soll es das letzte Konzert im Freien geben.“

„Was gibt’s denn bei euch heute Mittag?“

„Och, nichts Besonderes. Königsberger Klopse mit Kartoffeln und roter Beete.“

„Mmm“, schmatzte Amalie und verdrehte genüsslich die Augen. „Für mich allein lohnt es sich leider nicht, großartig zu kochen. Mein Mann hat mir, Gott sei seiner Seele gnädig, einiges an Häusern hinterlassen, was die große Inflation nicht auffressen konnte. Nun kann ich davon recht gut leben. Und so leiste ich mir fast jeden Sonntag ein Mittagessen vorn im ‚Alaungarten‘.1 Die Küche ist dort übrigens gut“.

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Was Besseres sein wollen

Und wieder öffnete sich die Tür zum Hof und es erschien Hedwig Lindig, ihres Zeichens Schneidermeisterin aus dem 2. Stock. Den beiden Frauen aus dem Dritten widmete sie nur ein leichtes Kopfnicken, entledigte sich des Abfalls aus dem Eimer, machte ohne Worte auf ihren Absätzen kehrt und verschwand im Haus.

Rosi und Amalie schauten sich an und prusteten los. Die lustige Witwe machte den Gang der Schneiderin nach, mit nach oben gerecktem Kinn und einem Schwenken der Hüften.

„Seitdem wir eine Republik haben, will die Lindig adliger sein als unser ehemalige König Friedrich August in seinem Schloss in Wachwitz. Stets im neuesten Fummel. Mit schickem Pelz als Kragen, ihren Bubikopf mit einem Hut mit riesigen Reiherfedern gekrönt und schicker Tasche. Nun ja, als Schneiderin kann sich das selbst gestalten. Die würde sicher auch gern mal im Schloss vom alten König zum Ball empfangen werden. Ich wette, dass sie dafür sogar mit dem Haushofmeister und der restlichen Dienerschaft ins Bett gehen würde. Aber leider kommt sie ein paar Jahre zu spät.“

„Sag das nicht, liebste Amalie. Das ist heutzutage gar kein Problem. Auch du könntest das erreichen.“

Wie man sich einen Grafen angeln könnte

„Hä, Rosi. Ich soll mit den alten Hofschranzen ins Bett gehen? Hast du sie noch alle?“, empörte sich die Witwe zu Schein. „Was will ich mit so einem alten Grafen oder Baron, der ohnehin pleite ist, ein Klotz von Schloss mit undichtem Dach am Bein hat und ohne Dienerschaft da sitzt?“

„Oh, oh oh, liebste Amalie. Davon hättest du einen besonderen adligen Namen, wie Amalie Freifrau von Schrumpelmöhrchen oder Amalie Baroness von Schwindsucht oder Amalie Gräfin von Ladmichein.“ Beide Frauen lachten schallend los und Amalie stolzierte wieder wie eine Salatwachtel, die ihr Spiegelbild mit ‚Sie‘ anspricht, über den Hof. „Kommen Sie werteste Rosinante Baroness von Trockenbrot. Das Diner ist angerichtet“, näselte sie arrogant.

Und wieder schallte es lachend aus dem Hof, so dass die Fenster der ringsum sich öffneten, in zu erwartender Befriedigung der Neugier über die Ursache dieses erheiternden Sonntagvormittags Anfang November 1924. Man hatte ja sonst nichts zu lachen.

Dresdner Nachrichten vom 2. November 1924
Dresdner Nachrichten vom 2. November 1924

„Liebste Rosi, du hast recht. Ich habe darüber in der Zeitung gelesen.2 In Berlin verheiraten reiche Bürgersleute ihre Töchter mit verarmten Adelsburschen, nur damit sie sich den Wunsch erfüllen, zur Nachbarschaft sagen zu können, meine Tochter ist jetzt eine Gräfin von Schlagmichtot. Hauptsache die bringt genug Geld oder Immobilien mit. Liebe ist zweitrangig.“

„Auch du als Witwe mit einigem Vermögen wärst eine gute Party.“

Den Grafen auf dem Dach oder den Gigolo in der Hand

„Quatsch. Ich sagte dir doch, dass so ein alter Dadderich, egal wie weit der Adelstitel Jahrhunderte zurück reicht, für mich nicht in Frage kommt. Ja wenn er etwas jünger wäre oder viiiiel etwas jünger wäre…, mmm…, dann könnte ich eventuell schwach werden. Aber heiraten käme nicht in Frage. Als Gigolo schon eher. So wie unser gut aussehende Kellner Albert aus dem Alaungarten müsste er sein. Mindestens. Bei dem läuft mir jedesmal das Wasser im Munde zusammen, wenn ich ihn im Treppenhaus oder in der Gaststube sehe. Diese durchtrainierte Figur, diese körperbetonten Anzüge, dieser knackige Hintern, diese wilde dunkelblonde Mähne. Ach Rosi, mir wird ganz wuschig.“

Da die Damen ihre Lautstärke etwas gedrosselt hatten, bekamen die neugierig schauenden Nachbarinnen, außer mal ein Auflachen, nichts von dem Getratsche mit. Und so schlossen sich nach und nach die Fenster wieder.

Auch Rosi und Amalie wurde es etwas zu frisch und sie begaben sich in ihre Wohnungen im dritten Stock. Dabei passte sich Amalie dem langsamen Schritt von Rosi an. Wegen deren Atemnot.

Anmerkungen des Autors

1 Den Alaungarten gab es noch bis in die 1990er Jahre, später war hier die Prinz, dann die Bar Paradox, inzwischen ist hier ein vietnamesisches Restaurant eingezogen.
2 Dresdner Nachrichten vom 2. November 1924


Unter der Rubrik „Vor 100 Jahren“ veröffentlichen wir in loser Reihenfolge Anekdoten aus dem Leben, Handeln und Denken von Uroma und Uropa. Dafür durchstöbert der Dresdner Schriftsteller und Journalist Heinz Kulb die Zeitungsarchive in der Sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek. Der vorliegende Text ist literarischer Natur. Grundlage bilden die recherchierten Fakten, die er mit fiktionalen Einflüssen verwebt.

Ein Kommentar

  1. Ein sehr schöner Text. Besonders gefällt mir der lineare Robert. Der liest erst Zeitung und beginnt dann zu warten. Dabei wartet er erst langsam und dann immer schneller.
    Lerne Deutsch mit Kamerad Kulb – immer ein Vergnügen.

Ergänzungen gern, aber bitte recht freundlich.

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