Die Dresdner Neuesten Nachrichten hatten es gestern schon gemeldet, heute bestätigt die Stadtverwaltung: die Carolabrücke muss komplett abgerissen werden. Also nicht nur der eingestürzte Brückenzug C, sondern auch die beiden Autospuren. Um 19 Uhr hat die öffentliche Anhörung des Gutachters Prof. Steffen Marx im Bauausschuss begonnen, hier im Livestream zu finden.
Der Brückenexperte Professor Steffen Marx von der Technischen Universität Dresden präsentierte am Mittwoch, dem 11. Dezember 2024, die ersten Ergebnisse zur Untersuchung der Schäden an der Carolabrücke.
Die Untersuchungen ergaben, dass sogenannte wasserstoffinduzierte Spannungsrisskorrosion in Kombination mit Materialermüdung durch die verkehrliche Belastung zum Versagen zahlreicher Spannglieder führte. Diese Schäden entstanden bereits während der Bauzeit der Brücke, die im Jahr 1971 fertiggestellt wurde. Ursache dafür war die damals übliche Herstellungsweise sowie die Einwirkung von Witterung auf den Stahl während des Baus.
Das Expertenteam unter der Leitung von Professor Marx stellte fest, dass die Landeshauptstadt Dresden die Brücke gemäß den geltenden Normen und Empfehlungen geprüft und zusätzliche Sondergutachten in Auftrag gegeben hatte. Eine zuverlässige Vorhersage des Einsturzes war mit den üblichen Methoden jedoch nicht möglich. Die Gutachter fanden keine Hinweise auf Nachlässigkeit seitens der Verantwortlichen.
Brücke muss komplett abgerissen werden – Schifffahrt soll zum Januar ermöglicht werden
Die Schäden an der Brücke sind so schwerwiegend, dass eine Wiederinbetriebnahme der verbliebenen Brückenzüge A und B ausgeschlossen ist.
Die Stadtverwaltung will nun den Blick nach vorne richten. Baubürgermeister Stephan Kühn (Grüne) sagt: „Wir verstehen und kennen die Sorgen der Schifffahrt. Damit die Elbe wieder befahrbar wird, treiben wir den Abriss von Zug C weiter voran.“ Für die weiteren Abrissarbeiten sei ein Planungsgespräch mit Experten geplant. Ziel sei es, bis Jahresende die Schifffahrtsrinne zu beräumen. Bis Ende dieser Woche werde ein akustisches Überwachungssystem an den Brückenzügen A und B so ausgeweitet, dass ein sicheres Unterfahren der noch stehenden Brückenzüge möglich sein soll.
Dieses sogenannte Schallemissionsmonitoring erfasst akustisch in Echtzeit, ob es in den beiden verbleibenden Brückenzügen aktuell weitere Spannstahlbrüche gibt. Um ausreichende Sicherheit zu bekommen, muss das System bis Mitte Januar 2025 zunächst Daten erheben. Wird über diesen Zeitraum ermittelt, dass der Zustand der beiden Brückenzüge ausreichend stabil ist, werde zunächst die Schifffahrtsrinne wiederhergestellt und dann können einzelne Durchfahrten genehmigt werden.
Neben den Dampfern der Weißen Flotte werden aktuell auch diverse Frachtschiffe in und nach Tschechien behindert.
Ersatzbau Carolabrücke: Prüfung der Rahmenbedingungen
Damit ist nun die Notwendigkeit eines Ersatzneubaus für die Carolabrücke klar. Die Stadtverwaltung arbeitet intensiv an der Prüfung der Rahmenbedingungen. Zu Beginn des kommenden Jahres soll eine Vorlage zum weiteren Vorgehen in die zuständigen Gremien des Stadtrates eingebracht werden. Dabei ist auch die Einbindung der Öffentlichkeit vorgesehen. Die Planungen sollen transparent gestaltet werden, um die Bürger frühzeitig einzubeziehen.
Reaktionen der Parteien
Veit Böhm, verkehrspolitischer Sprecher der CDU: „Sollte die Prüfung ergeben, dass es tatsächlich keine Erhaltungsmöglichkeiten der bereits sanierten Brückenzüge A und B gibt, muss die Stadt Dresden unverzüglich mit dem Abriss und parallel mit Planungen für einen Ersatzneubau beginnen.“ Weder die Planungen noch ein Ersatzneubau dürften am Geld scheitern. Zudem müsse die Schiffbarkeit auf der Elbe schnellstens wieder hergestellt werden und erhalten bleiben.
Thomas Ladzinski, Vorsitzender und baupolitischer Sprecher der AfD-Stadtratsfraktion fordert Konsequenzen: „Wie zu befürchten, bedarf es eines kompletten Abrisses der Carolabrücke. Nach der intensiven Untersuchung und Prüfung der Brückenzüge drängt sich die Frage auf, wieso die jetzt durchgeführten Untersuchungen nicht bereits vor der Sanierung der Brückenköpfe gemacht wurden.“ Dann hätte man gegebenenfalls bereits die Gefahr erkennen könne. So müssten nun zwei frisch sanierte Brückenzüge abgerissen werden – dies sei eine totale Verschwendung von Steuergeldern. „Für diese eindeutig politische Fehlentscheidung muss Baubürgermeister Kühn endlich die Verantwortung übernehmen“, so Ladzinski.
Der Linken-Fraktionsvorsitzende André Schollbach sagt: „Leider hat sich die vorsichtige Hoffnung, wenigstens einen Brückenzug erhalten zu können, nicht erfüllt.“ Der Totalschaden an der Carolabrücke sei eine Katastrophe für die Stadt. Nun müsse zielgerichtet an einem Wiederaufbauplan für die Carolabrücke gearbeitet werden. Auf diese Ausnahmesituation müsse fiskalisch angemessen reagiert werden. „Die Finanzierung des Ersatzneubaus der Carolabrücke lässt sich nicht einfach aus dem Haushalt herausschwitzen“, so Schollbach. Deshalb schlägt seine Partei eine „Stadtanleihe für den Wiederaufbau der Carolabrücke“ vor.
Die wichtigsten Erkenntnisse zum Zwischenergebnis im Überblick
- Hauptursache für den Einsturz: Der Grund ist eine wasserstoffinduzierte Spannungsrisskorrosion durch Feuchtigkeitseintrag während der Bauphase, verstärkt durch Ermüdung der Spannstähle. Der allmähliche Ausfall von Spanngliedern führte zum Verlust der Spannkraft. So stützte sich Zug C immer mehr auf den Querträger und damit auf die benachbarten Brückenzüge. Beim Einsturz riss dieser Querträger ab.
- Einsturz nicht vorhersagbar: Es gab keine hinreichenden Anzeichen, die einen Einsturz verlässlich hätten vorhersagen können. Aufgrund konstruktiver Besonderheiten gab es keine ausgeprägte Rissbildung. Der Einsturz ist das Ergebnis eines komplexen Versagensprozesses begründet in einer Kombination langfristiger Herstellungsfehler (wasserstoffinduzierte Spannungsrisskorrosion) und auslösender Faktoren (Temperatursturz, Verkehrsbelastung).
- Gesetzliche Vorgaben eingehalten: Die Landeshauptstadt Dresden und die Prüfer haben die Vorgaben stets eingehalten. Die Carolabrücke wurde regelmäßig nach den einschlägigen Normen geprüft und Empfehlungen des Bundes zum Umgang mit Spannbetonbrücken umgesetzt. Besonderen Risiken für das Bauwerk wurde mit Sonderuntersuchungen und Dauerüberwachung begegnet.
- Schlüsselfaktor Spannstahldefekte: Über 68 Prozent der Spannglieder in der Fahrbahnplatte von Zug C waren an der Bruchstelle stark geschädigt. Das ließ sich aber im Rahmen der gesetzlich vorgeschriebenen Prüfungen nicht feststellen.
- Erhalt der Züge A und B nicht möglich: Das an Zug C angetroffene Schadensbild ist auch an Zug A und B zu finden. Aufgrund bereits eingetretener Rissbildung und damit eines möglichen plötzlichen Versagens ist eine Wiederinbetriebnahme – auch temporär – ausgeschlossen. Das gilt für alle Verkehrsteilnehmenden: Fußgänger, Radfahrende und den Autoverkehr.
- Schallemissionsmesstechnik: Dieses Überwachungsverfahren kann das Fortschreiten eines Schadensprozesses feststellen. Es wird zur Ermöglichung der Schifffahrt unter den Brückenzügen A und B der Carolabrücke ausgeweitet.
- Einfluss von Tausalzen: Sogenannte chloridinduzierte Korrosion hat an Brückenzug C stattgefunden, war jedoch nicht ursächlich für den Einsturz.
Eine ausführlichere Einschätzung des Experten finden sich hier im Anhang als PDF.