Es begab sich in den 1980er Jahren. Ein eiserner Vorhang teilte Europa. Ein Bremer Journalist reiste in die DDR, kam nach Dresden. Hier in der heruntergekommenen Neustadt lernte er einen Dichter kennen, der müsste heute zwischen 60 und 70 Jahren alt sein.
„Dieser Dichter übergab mir Ende 1988 zwei Kladden mit zahlreichen Gedichten“, schreibt der Journalist, der seinen Namen gern aus der Geschichte heraushalten möchte. Die Gedichte waren zum Teil im Francois-Villon-Stil, zum Teil waren es frech-frivole Zeilen. „Leider fand sich kein Name dabei“, schreibt der Bremer, der die beiden Kladden jetzt in seinem Bestand wiederentdeckt hat.
Der Dichter hatte sie damals mitgegeben, in der Hoffnung, ein westdeutscher Verlag würde sich dafür interessieren. „Ich hab es versucht, aber kein Verlag zeigte Interesse“, sagt der Journalist, nun möchte er die Kladden dem Dichter gern zurück senden. Falls hier also jemand seine Zeilen oder die Kladden erkennt, bitte melden.
Unbekannter Dichter
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Vor meinem Fenster kreischt die Bahn
im Nachbarzimmer kreischt mein Kind
ich zieh die Lederjoppe an
und stell mich in Oktoberwind
und Regenfall auf den Balkon.
Das halbe Leben ist vorbei
wie im Novembersturm der Mai
und mancher Freund ging schon davon.
In diesem hundekalten Jahr
schreib ich dem Dichter Francois
Villon ein paar gereimte Verse
ab und ändere diverse
Gegebenheiten, Ort und Zeit,
die Namen auch der hohen Herrn
die ich verspotten will, doch gern
lob ich der Liebsten festen Leib
Wie dieser Dreckskerl aus Paris
der wahrlich nicht mein Bruder ist
nicht einmal Freund, das soll nicht heißen
es darf ihn irgendwer verreißen.
Dann sage ich: Villon, Francois?
Und nehm die Klampe von der Wand
und spiel mit ungeübter Hand:
Villon, das bin ich selbst sogar!