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100 Jahre Sender Dresden (Teil 3)

„Hereinspaziert, meine Herren“, begrüßte mit einer elegant einladenden Handbewegung und einem frechen Grinsen Karl Voigt seine Freunde am Eingang zum privaten Wohnbereich der Frauenklinik in der Carolinenstraße. „Das Buffet ist angerichtet, das Bier gekühlt und der Radioapparat empfangsbereit.“

Radio-Hotel Reichspost - zeitgenössische Postkarte - Ausschnitt
Radio-Hotel Reichspost – zeitgenössische Postkarte – Ausschnitt

„Lass dein geschwollenes Gequassel. Ich habe Durst, auch wenn es noch nicht Mittag ist“, erwiderte Walter Schuster mit gespielt bitterböser Mine, die sich beim entsetzten Gesichtsausdruck von Karl in ein schallendes Lachen verwandelte. Edgar Rodschinka und Alwin Doenges begrüßten weniger pathetisch ihren Freund.

Heute, an diesem vorfrühlingshaften Sonntagvormittag des 22. Februar 1925 folgten die Freunde der seit längerem ausgesprochenen Einladung von Karl zu einer kleinen Feier anlässlich der Eröffnung des Radiosenders Dresden und zur Besichtigung des neuen Gerätes aus dem Hause der Radiofirma Mende.

Das neue Radio

„Trara, trara, das neue Radio ist da“, rief Karl in theatralischer Manier und zog das Tuch weg, unter dem diese Neuerwerbung steckte.1 Stille. Keine verbale Reaktion der Freunde.

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Dann bequemte sich Edgar zu einer Äußerung. „Naja, schön sieht anders aus.“

„Hauptsache, es funktioniert. Ästhetik ist da zweitrangig“, brummelte Karl.

Vor ihnen stand ein merkwürdiger Kasten. Unten am Gerät befanden sich drei Marken: die Herstellerfirma Mende, die Telefunkenbauerlaubnisnummer und der Name des Gerätes, System Günther.2 Darüber befanden sich vier Räder zur Einstellung der Frequenzen und der Lautstärke. Rechts oben eine elektrische Röhre, links eine Glühbirne als Zeichen, dass das Gerät empfangsbereit ist und ganz rechts oben fünf Steckbuchsen für die Kopfhörer.

„Was hat das Ding gekostet?“, fragte Walter.

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„So 120 Reichsmark“, antwortete Karl.3

„Ganz schön teuer. Aber du hast es ja. Die meisten können sich wohl dieses Radiohören wegen der Gebühren auf Jahre hinaus nicht leisten. Da helfen auch keine billigeren Apparate. In der Stadt habe ich schon Geräte von etwas über 20 Mark gesehen, aber zum Selbstbauen“, warf Alwin ein.

„Stimmt. Ich wollte aber ein gut funktionierendes und keins, was nur halbwegs hörbar wäre. Jungs, lasst uns auf den ästhetischen Schreck erst mal ein kühles Bier trinken. Am Ende werdet ihr diesen ‚Mende E31, System Günther, 1925‘ schön finden“, grinste Karl.

Herein kam die Küchenmamsell und brachte zur Freude aller eine Terrine mit Kartoffelsuppe und Würstchen zur Stärkung. „Damit ihr nicht gleich vom Sofa rutscht“, war ihr Kommentar. „Den Nachtisch habt ihr ja schon“, bemerkte sie augenzwinkernd, auf Bier und Schnaps weisend.

Nach diesem Genuss verteilte Karl die Kopfhörer und verband diese mit dem Radiogerät.

Aufgabe des Rundfunks

„Sag mal Karl“, fragte Walter, „du als Mitglied im Radioklub Dresden oder Rundfunkverein, wie er jetzt heißt, müsstest das doch wissen. Was ist der eigentliche Zweck dieses Rundfunks und warum kommt er bei uns in Deutschland so spät?“4

Dresdner Nachrichten vom 22. Februar 1925
Dresdner Nachrichten vom 22. Februar 1925

„Das weiß ich“, warf Alwin blitzschnell ein, ehe der ständig plappernde Karl antworten konnte. „Da hatten nämlich die Amerikaner die Nase vorn, meint mein Vater, der Regierungsrat in der Landesregierung ist.5 Und wir, typisch deutsch, begannen mit dem staatlichen Eingreifen des Reichspostministeriums und seinen Regulierungen. Also Radiomachen von vornherein straff organisiert unter staatlicher Aufsicht. Unsere Bürokratie habe aber den Vorteil, so mein Vater, dass uns das rein privatwirtschaftliche Tohuwabohu der Amis mit den vielen verbrannten Geldern erspart blieb.“

„Typisch Beamte, aber recht hat er. Irgendwie“, erwiderte Karl. „Die Leute von der MIRAG6 aus Leipzig sagten uns, dass es bei unseren Rundfunk, neben der Geld einbringenden Nutzung der Funkwellen für den Flugverkehr, für militärische Dienste und für Wirtschaftsnachrichten privater Unternehmen usw. nicht nur um reine Unterhaltung fürs gemeine Volk gehe, sondern vielmehr um die Schaffung einer neuen Heimkultur im Dienste der Volksbildung, um die Hebung des Geschmacks breitester Volksschichten. Dafür sollen besonders die in Dresden vorhandenen kulturellen und künstlerischen Potentiale genutzt werden.“

„Das heißt, ich brauche nicht mehr in die Semperoper oder ins Linckesche Bad zum Konzert zu gehen? Das kommt dann alles zu mir ins Haus?“, bemerkte Edgar.

„Richtig, mein Freund. Du brauchst dann auch keinen Smoking für die Oper. Du kannst dich auf deinem Sofa lümmeln, wie der Herrgott dich geschaffen hat.“ Gelächter in der Runde, die sich gerade Edgar im Adamskostüm vorstellten.

„Da wärst du aber eine echte Konkurrenz zu diesem hässlichen Radiogerät“, kam es prompt von Alwin, was das Gelächter noch verstärkte und bei Edgar eine verbiesterte Stirnfalte hervorbrachte.

Dann wurde es Zeit, die Kopfhörer aufzusetzen.

Der Dresdner Sender begann offiziell sein Programm

Karl stellte die Frequenz ein und regelte die Lautstärke. Dann hörten alle das Pausenzeichen des Senders Leipzig. Punkt zwölf meldete sich der Sprecher aus dem Besprechungsraum im ehemaligen Hotel zur Reichspost.

Dann sprach ein Herr mit einem leicht durchschimmernden sächsischen Dialekt und begrüßte die Zuhörer.7

„Hier ist Mitteldeutschland, hier sind die Sender Dresden und Leipzig. Meine Damen und Herren…“

Großer Jubel im Zimmer von Karl Voigt im obersten Stock der Privaten Frauenklinik in der Carolinenstraße 1, in der Nähe des Albertplatzes.

Die vier Freunde lauschten unter ihren Kopfhörern dem Eröffnungsprogramm. Etwa 30 Leute, die besonders wichtig waren oder sich dafür hielten, versammelten sich im Besprechungsraum und hörten zu Beginn, gleichzeitig wie die Hörer zu Hause, den Cellisten Alexander Kropholler von der Staatskapelle Dresden. Daran schlossen sich die langen Reden der Offiziellen an, wie die des Staatssekretärs Bredow vom Reichspostministerium aus Berlin, die von Landesministern der Sächsischen Staatsregierung, die des Dresdner Oberbürgermeisters Blüher, dazwischen immer wieder Musik und, und, und.

Aus dem Programm vom ersten Sendetag

Die Jungs gähnten zunehmend gelangweilt. Dieses Gequatsche sollte noch drei Stunden gehen. Erst dann gab es ein klassisches Konzert aus Leipzig. Der eigentliche Dresdner Abend begann 19 Uhr mit heiteren Plaudereien über Wissenswertes zum noch jungen Rundfunk und über Narren am kursächsischen Dresdner Hof. Passte irgendwie gut zusammen, bemerkte Alwin süffisant. Es folgten ein klassisches Konzert mit Stücken von Mozart und Tschaikowski, dann Kabinettstückchen aus sächsischer Geschichte und aktueller Dichtung. Den Ausklang lieferte um 21.30 Uhr Hackebeils Sportfunkdienst.

Walter riss sich als erster die Kopfhörer runter. „Also ich könnte jetzt nicht den ganzen Tag unter diesen Dingern sitzen. Meine Kehle ist ganz ausgetrocknet und mein Magen knurrt.“

Dem half Karl grinsend ab und verteilte Bier und eine Runde Klaren sowie die von der Hausküche gelieferten belegten Brote. „Und, was haltet ihr vom Radio?“

„Ihr wisst“, sprach Alwin nachdenklich, „dass ich bei Professor Nägel an der TH Dresden Kfz-Technik studiere. Da habe ich für Technik im Allgemeinen natürlich viel übrig. Und ich verstehe auch die Neugier der Leute in der Stadt für das Radiohören. Seit Wochen ist es das Thema. Zwar gibt es noch viele technische Mängel und die Geräte nebst Gebühren sind für die breite Masse zu teuer, aber als Medium für Nachrichten aus aller Welt finde ich es toll. Schneller kann man nicht an Informationen kommen. Das könnte noch ein Problem für die Zeitungen werden. Ich bin gespannt.“

Die Freunde unterhielten sich noch lange über das Gehörte. Die Zahl der geleerten Bierflaschen vergrößerte sich und die harten Getränke neigten sich dem Ende. Im Hintergrund ertönten von Schallplatten aktuelle Schlager, welche in zunehmend angeheiterter Stimmung zum Mitsingen animierten. Es war ein schöner Tag im Hause Voigt.

(Ende der kleinen Serie)

Anmerkungen des Autors

1 aus www.sammlungsdatenbank-museen-dresden.de
2 Mende, System Günther, siehe www.radiomuseum.org
3 entspricht heute etwa 660 Euro; lt. Deutsche Bundesbank, Kaufkraftäquivalente historische Beträge deutscher Währungen
4 aus Dresdner Nachrichten 22. Februar 1925
5 Dresdner Nachrichten vom 12. Februar 1924
6 Abkürzung für: Mitteldeutsche Rundfunk AG
7 Information der Mitteldeutschen Rundfunk AG Leipzig zum Programm der Sender Leipzig und Dresden für Sonntag, den 22.02.1925, aus Dresdner Nachrichten vom 22. Februar 1925


Unter der Rubrik „Vor 100 Jahren“ veröffentlichen wir in loser Reihenfolge Anekdoten aus dem Leben, Handeln und Denken von Uroma und Uropa. Dafür durchstöbert der Dresdner Schriftsteller und Journalist Heinz Kulb die Zeitungsarchive in der Sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek. Der vorliegende Text ist literarischer Natur. Grundlage bilden die recherchierten Fakten, die er mit fiktionalen Einflüssen verwebt.

Ergänzungen gern, aber bitte recht freundlich.

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