Am Rande der Dresdner Neustadt liegt die Geschäftsstelle der Diakonie Dresden. Zu ihren Angeboten gehört die Ökumenische Telefonseelsorge. 84 Ehrenamtliche sind für Menschen in psychischen Notlagen da – per Telefon und per Chat.

Katharina Pruggmayer-Gruhn ist die einzige Person der Dresdner Telefonseelsorge, die hier mit Namen und Gesicht auftauchen darf. Die Anonymität beider Seiten – der Helfer*innen und der Hilfesuchenden – ist für die Telefonseelsorge essenziell. Stefan Anders, der hier als Ehrenamtlicher zu Wort kommt, heißt deshalb eigentlich anders.
Die Hürde für einen Anruf soll niedrig sein. Deshalb bleiben die Identität und selbst der Ort, an dem die Seelsorger*innen im Einsatz sind, anonym. Wählen Menschen in Not die Nummer der Telefonseelsorge, werden sie mit einer* der vielen Ehrenamtlichen verbunden, die an mehr als 100 Standorten in Deutschland tätig sind. Alleine für die Dresdner Telefonseelsorge engagieren sich 84 Menschen.
Seit 2019 gibt es das Angebot, per Chat in Kontakt zu treten, was laut Katharina Pruggmayer-Gruhn häufig genutzt wird. „Eingestellte Termine werden sofort in Anspruch genommen, sodass wir diesen Herbst weitere unserer Ehrenamtlichen dafür ausbilden werden.“
Im vergangenen Jahr führten die Seelsorger*innen in Dresden an 365 Tagen insgesamt 9.600 Gespräche mit Menschen aus verschiedenen Bundesländern. Frauen griffen dabei öfter zum Hörer. Etwa zwei Drittel der Anrufenden waren weiblich, knapp ein Drittel männlich, die weiteren nicht binär.
Viele Freiwillige statt wenige Profis
„Wir versuchen, in Dresden rund um die Uhr mindestens eine Leitung besetzt zu halten“, sagt Katharina Pruggmayer-Gruhn. Dass dafür 84 viele Telefonseelsorger*innen im Einsatz sind, liegt nicht zuletzt an der psychischen Belastung, die das Ehrenamt mit sich bringt. Gerade deswegen, da ist sich Pruggmayer-Gruhn sicher, können diese Aufgabe viele Freiwillige besser erfüllen als wenige Profis.
„Einem schlägt hier sehr viel Leid entgegen, das man nicht wirklich ändern kann.“ Die Ehrenamtlichen können für die Anrufenden nicht viel tun, außer einfach da zu sein. Das fühle sich manchmal nach Ohnmacht an. „Mir selber hat während meiner aktiven Zeit andererseits der Gedanke geholfen, hier nichts mehr ‚lösen‘ zu müssen, wie etwa im Beruf“, erinnert sich Katharina Pruggmayer-Gruhn. „Hier hören wir einfach zu. Und damit tragen wir das Leid für einen kurzen Zeitraum mit.“
Ein weiterer Vorteil der vielen Beteiligten ist die Vielfalt ihrer biografischen Hintergründe. „Die Ehrenamtlichen kommen aus völlig unterschiedlichen Berufsfeldern“, sagt Stefan Anders. „Gerade für Menschen, die hier regelmäßig anrufen, stellt das eine große Bereicherung dar, denn jede*r kann eine andere Facette mit einbringen.“
Die eigene Stabilität ist für dieses Ehrenamt wichtig. Die Menschen am Telefon müssen ehrlich für sich einschätzen können, ob sie sich den Gesprächen gewachsen fühlen. „Wenn ein Mensch gerade selber einen Trauerfall hatte, stellt sich die Frage, ob er es schafft, mit einem Trauerfall eines anderen Menschen konfrontiert zu werden“, gibt Katharina Pruggmayer-Gruhn zu bedenken.
Die Ehrenamtlichen können Dienste aussetzen. Es gibt sogar die Möglichkeit, innerhalb des Gespräches zu sagen: Ich bin bei dem Thema nicht die richtige Person für Sie. Mir wäre es lieb, Sie rufen in einiger Zeit nochmal an.
Von den eigenen Grenzen und deren Überschreitungen

Der Dienst beginnt mit der Ablösung. Bei der kochen sich viele erstmal einen Tee, setzen sich zusammen, lassen den vergangenen Dienst gemeinsam Revue geschehen. Den Stress des Alltags sollte man spätestens jetzt loslassen können.
Während des Dienstes ist das Aufkommen an Anrufen so hoch, dass Stefan Anders ohne Unterbrechung Telefonate führen könnte. „Allerdings brauche ich zwischen den Gesprächen manchmal eine Pause, um das Gespräch zu verarbeiten.“ In diesem Fall kann er seine Leitung in der Zentrale abmelden.
Das ist zum Beispiel notwendig wenn Menschen unter akuter Angst oder Panik anrufen. „Das erreicht einen selber regelrecht körperlich“, sagt Katharina Pruggmayer-Gruhn. Eindrücklich erinnert sie sich an die Erschöpfung eines Ehrenamtlichen, der anderthalb Stunden mit einem Menschen mit einer Panikattacke telefoniert hatte.
„Für die Ehrenamtlichen ist wichtig zu wissen, wo ihre eigenen Grenzen liegen“, sagt die Leiterin. Sich beschimpfen lassen, gehöre nicht dazu – egal wie sehr es dem Anrufer auch helfen mag. „Manch einer möchte einfach seine Boshaftigkeit ausleben, zum Beispiel indem er Menschen manipuliert.“ Dies, so Pruggmayer-Gruhn, sollen die Ehrenamtlichen bitte abbrechen.
Die schlauste Entscheidung der letzten zehn Jahre
Die Gespräche nicht mit in den Alltag zu nehmen, dafür hat jede*r andere Strategien. Stefan Anders etwa steigt die vielen Treppen des Büros immer zu Fuß hinab. „Die Gespräche bleiben da oben.“ Wichtig sind dafür auch die monatlichen Treffen der Dresdner Ehrenamtlichen.
Die Gemeinschaft der Engagierten ist für Stefan Anders einer der größten Vorteile dieses Ehrenamtes „Das sind Menschen verschiedenen Alters und aus unterschiedlichen Berufen – und dennoch eint uns alle ein gemeinsames Anliegen: Für Menschen in Not da zu sein.“
Was Stefan Anders an der Tätigkeit bei all ihren Belastungen als bereichernd empfindet? Da muss er nicht lange überlegen. „Alleine schon, dass die Anrufer*innen für die Zeit des Telefonats ein Stück ihres Lebens mit mir teilen.“ Oder wenn Stefan Anders hört, wie sich die Stimme der hilfesuchenden Person während des Gesprächs aufhellt.
Ein Dienst dauert vier, fünf oder acht Stunden. Stefan Anders trägt sich im Online-Dienstplan jeden Monat für drei bis vier Dienste ein. Als Ruheständler kann er sich die Zeit dafür nehmen. Sein Einstieg bei der Telefonseelsorge – „für mich die schlauste Entscheidung der letzten zehn Jahre…“.
Kontakt für Interessierte
Bei wem das Interesse an dieser Tätigkeit geweckt worden ist – die Telefonseelsorge lebt von Ehrenamtlichen und freut sich über Interessierte. Dem Einsatz als Telefonseelsorger*in gehen ein Auswahlverfahren und umfangreiche Schulungen voraus.
- Telefonseelsorge Dresden
- Katharina Pruggmayer-Gruhn
- Telefon: 0351 4940030
- E-Mail: telefonseelsorge@diakonie-dresden.de
Kontakt für Hilfesuchende
Die Servicenummern sind aus allen deutschen Festnetzen und allen Mobilfunknetzen gebührenfrei zu erreichen.
- bundesweit gültige Nummern: 0800 1110111 oder 0800 1110222
- europäische Servicenummer: 116 123
- Anmeldung für Online-Seelsorge per Chat oder E-Mail: online.telefonseelsorge.de