Oberinspektor Franz Glauber stand seit fast einer Stunde in dieser dunklen und regnerisch kalten Nacht des 19. März 1925 bibbernd unter einem Vordach in der Weintraubenstraße der Dresdner Neustadt. Gemeinsam mit seinem Assistenten, Wachtmeister Georg Kahle, beobachtete er das Geschehen am gegenüber befindlichen Ballhaus Neustadt in der Bautzner Straße 35. Dieses Etablissement war bekannt unter zwielichtigen Gästen. Zum einen trafen sich hier regelmäßig die hiesigen Volksgenossen der NSDAP, zum anderen, wie an diesem Abend, Zuhälter und Dirnen des horizontalen Gewerbes.

Vorbereitung der Razzia
Dresdens Polizeipräsident hatte nun endlich seiner Abteilung Sitte die Genehmigung einer umfangreichen Razzia erteilt und Franz Glauber übernahm die Einsatzleitung . Der Anlass war eine Information aus dem Berliner Polizeipräsidium, wonach sich hier die bedeutendsten Zuhälter aus dem gesamten Reich versammelten.1

Nahezu 100 Polizisten wurden zusammengezogen. Doch diese waren vor dem Ballhaus nicht zu sehen. Sie hielten sich in der Martin-Luther-Straße, der Markgrafenstraße und im hinteren Teil der Weintraubenstraße auf. Dazu standen mehrere Mannschaftswagen für den Abtransport von Gefangenen bereit. Seinem Assistenten waren noch drei Polizeianwärter beigeordnet, die als Boten für die drei Treffpunkte dienten.
Im Ballhaus
Drinnen im Saal der Schankwirtschaft zum Ballhaus tobte das pralle und teilweise auch nackte Leben. Auf der Bühne spielte eine Kapelle die neusten, vor allem schlüpfrigen Lieder. Dazu tanzten die jüngeren Herren mit den sehr freizügig gekleideten hiesigen Damen aus dem einheimischen Gewerbe der Lüste. Ohne Scheu glitten dabei die Hände der Mannsbilder über die oberen Vorbauten und Hintern der Damen. Diese gaben sich ebenfalls nicht prüde und ließen ihre prüfenden und erfahrenen Grabscher über deren Unterleiber gleiten. An den Tischen flossen Bier, Wein und Sekt in Strömen. In den kleinen Salons ging es dann zur Sache. Dafür standen die Damen der Dresdner Zuhälter bereit.
Der Grund des Treffens
Oberflächlich betrachtet, trafen sich hier Klubs und Vereinigungen aus den deutschen Landen mit harmlosen Namen, wie „Deutsche Eiche“ oder „Kegelklub Roland“. Hinter diesen unverfänglichen Namen verbargen sich regionale Zuhältervereinigungen. Gefürchtet war vor allem in den Dirnenkreisen der „Klub der Dreizehn“ wegen seiner harten Maßnahmen gegen sich unbotmäßig und widerspenstig gebenden Frauen.
Die angereisten Klubs und Freundeskreise aus Breslau, Berlin, Leipzig, Hamburg und sonst woher hatten sogar wappengeschmückte Vereinsfahnen, die die Harmlosigkeit der Zusammenkünfte noch unterstreichen sollten.
Mit diesen Namen als eingetragene Vereine konnte man in aller Öffentlichkeit agieren und „Spenden sammeln“. Andere Vereine, wie der „Schwarze Ring“, hatten noch zusätzliche Geschäftsfelder, wie Einbrüche und Schutzgelderpressungen sowie den Vertrieb der neuen Droge Kokain.2

Und diese regelmäßigen Treffen, als „Vereinsvergnügen“ getarnt, dienten zum einen dem Kennenlernen und zum anderen dem abgestimmten Vorgehen gegen polizeiliche und politische Maßnahmen. Dabei wurden nicht wenige Polizisten und Amtsträger bestochen. Aber auch die Gegenseite rüstete auf. Bis jetzt wussten die Zuhälter nicht, dass im internationalen „Bund der Dreizehn“ ein Spitzel der Dresdner Polizei namens Alfons Müller war. Er kam als sogenannter Abgesandter des „Kegelklub Roland“ in diese Position.
Sorglos gaben sich die Dresdner Gastgeber dennoch nicht. Vor dem Ballhaus patrouillierten stets zwei bis drei kräftig gebaute Kerle. Zum Schutz der Gesellschaft im Ballhaus und auch der Dirnen auf den Straßen vor Überfallkommandos der Polizei hatten diese „Wächter und Türsteher“ besondere Pfeifsignale vereinbart, damit man sich sofort in Sicherheit bringen konnte. Das erschwerte natürlich das Durchgreifen der Polizei. Daraus entwickelten sich wahre Katz- und Mausspiele.
Was verboten war
Natürlich stand Zuhälterei unter Strafe. Aber die Verbote der Politik und deren Polizeigewalt richteten sich vornehmlich gegen die Frauen im horizontalem Gewerbe. Zum einen mussten sie sich bei den Gesundheitsbehörden unter Zwang der sittenpolizeilicher Aufsicht stellen. Der Kontakt mit Zuhältern war verboten und nach 11 Uhr nachts war ihnen der Aufenthalt zwecks Anmache von Herrschaften in öffentlichen Kneipen, Restaurants und Tanzetablissement strikt untersagt. Natürlich hielt sich keiner daran.
Es geht los
Oberinspektor Glauber nahm noch einen Schluck gegen die Kälte aus seinem Flachmann und nach einem Blick auf seine Taschenuhr gab er seinem Assistenten das Zeichen, worauf dessen Boten die drei Polizeigruppen benachrichtigten. Lautlos schlichen sie von drei Seiten zum Eingang des Ballhauses. Zuvor drangen sechs Politzisten über die Nachbarhöfe an den Hinterausgang, um Fluchtwege abzuschneiden.
Die drei Türsteher wurden überrumpelt und konnten ihre Pfeifen nicht betätigen. Und so überraschten sie die Teilnehmer des „Vereinsfestes“ beim Trinken, Tanzen und den amourösen Vergnügungen in den Salons. Einige der jungen, noch unerfahrenen Polizeianwärter wurden rot und blass über das, was sie so freizügig zu sehen bekamen. Darüber amüsierten sich die Dirnen und machten ihrerseits unmoralische Angebote.
Oberinspektor Franz Glauber grinste nur. Innerlich sagte er sich, dass das die beste Werbung für Polizeianwärter sei, sich bei der Sitte zu verdingen.
Eine erfolgreiche Aktion
Bei dieser Aktion wurden 120 „Festteilnehmer und -teilnehmerinnen“ festgenommen und mittels der bereit stehenden Lastkraftwagen ins Polizeipräsidium auf der Schießgasse gebracht. Einige der auswärtigen „Gäste“ waren so eingeschüchtert, dass sie ohne großes Palaver mitkamen. Natürlich gab es auch einige Krakeler, die mit großem Gezeter und unflätigen Ausdrücken die Polizisten angingen, so dass einige von ihnen mit Gummiknüppeln Bekanntschaft machen durften. 30 Vereinsfreunde beiderlei Geschlechts wanderten nach den Verhören wegen Zuhälterei, Prostitution und Vergehen in anderen deutschen Städten in die Zellen und warteten auf ihre Gerichtsverhandlungen.3
Oberinspektor Franz Glauber klopfte seinem Assistenten anerkennend auf die Schulter und begab sich ins Büro des Polizeipräsidenten zur Abholung seines Dankes.
Und das Presseamt des Polizeipräsidiums leistete ganze Arbeit. Die Dresdner Presse übte sich in großer Einigkeit in der moralischen Verdammung dieses Gewerbes, in der Anklage der Ehr- und Schamlosigkeit der Zuhälter und Dirnen und beklagte dieses trübe Sittenbild, das unter der Oberfläche dieser sonst der internationalen Hochkultur frönenden Großstadt zum Vorschein kam.
Anmerkungen des Autors
1 Dresdner Nachrichten vom 20. März 1925
2 Dresdner Neueste Nachrichten vom 21. März 1925
3 Dresdner Nachrichten vom 22. März 1925
Unter der Rubrik „Vor 100 Jahren“ veröffentlichen wir in loser Reihenfolge Anekdoten aus dem Leben, Handeln und Denken von Uroma und Uropa. Dafür durchstöbert der Dresdner Schriftsteller und Journalist Heinz Kulb die Zeitungsarchive in der Sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek. Der vorliegende Text ist literarischer Natur. Grundlage bilden die recherchierten Fakten, die er mit fiktionalen Einflüssen verwebt.
Geschichte und Wandel der Zeiten hat mit sich gebracht, daß es heute viel viel weniger Ballhäuser und Konzertetablissements in Dresden gibt, als es einstmals eine große, aber zeitlich nicht lange, Tradition im Stadtleben war. Das ist also nicht das Problem, das ist der Gang der Dinge.
Problem ist, daß der einzig überlebende und wunderbare Ballsaal, den die Neustadt heute noch hat, das Orpheum in der Kamenzer Straße, als „Privateigentum“ völlig ungenutzt, als Büroraum irgendwelcher Firmen zweckentfremdet und zusehends vergessen ist.
Dort findet seit vielen Jahren einfach gar nichts mehr statt, nichtmal „die Wohnbebauung nichtstörende Veranstaltungen“. Die glückliche Sanierung nach der Wende steht in Frage, wenn das schöne Resultat nun niemand mehr zu Gesicht oder zum Erlebnis bekommt. Wozu der schiere Erhalt? Einfach, damit es wie im toten Museum lediglich „erhalten ist“. Für wen? Großes Schade ums de facto verlorene Orpheum. Es sei wenigstens mal dran erinnert. Schlaf weiter!
https://de.wikipedia.org/wiki/Orpheum_Dresden