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Von Schandschnauzen und anderen Gemeinheiten

„Das Lebm könnd so scheen sein, wenn man an nüschd Schlechds dengd“, murmelte Klara Kühnel, die Klatschliese der Alaunstraße, vor sich hin.

Alaunstraße - zeitgenössische Postkarte um 1913
Alaunstraße – zeitgenössische Postkarte um 1913

„Was sachsde? Wer lenkt?“ reagierte Anna Lippisch, die der Kühnel, was das Klatschen betraf, in nichts nachstand, aber deren Gehör zu wünschen übrig ließ. Klara verdrehte die Augen und deutete mit einem Nicken in die Katharinenstraße hinein.

„Ich mene die da.“ Anna verstand immer noch nicht. „Na die da. Die Gampen“, rief Klara recht laut.

„Ach so, die da. Nu, nu. Ich wees doch. Brauchst nicht so zu blärrn“, blaffte Anna die Kühnel an.

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Vor der Fleischerei

Dem Duo, welches sich an der Alaun-, Ecke Katharinenstraße vor dem Eingang zur Fleischerei Mende an diesem milden Frühlingstag 1925 auf dem Fußsteig breit machte, näherte sich Johanne Gampe lächelnd den beiden. Sie kannte ihre Pappenheimerinnen seit Kindesbeinen. Gingen sie doch alle drei in dieselbe Klasse der Mädchenschule auf der Görlitzer. Danach trennten sich ihre Wege. Klara war als Arbeiterin in einem Lager im Hinterhaus der Alaunstraße 32 tätig, Johanne Gampe lernte Putzmacherin und machte sich selbständig. Anna, zeitlebens ein kränkelndes Mädchen, heiratete den Arbeiter Manfred Lippisch. Der war zwar keine geistige Leuchte und auch nicht wohlhabend, dafür arbeitsam, muskulös und behandelte Anna gut. Zumindest kehrte er wohlbehalten aus dem Krieg heim und hatte meistens Arbeit. Und so konnten beide ihre drei Kinder einigermaßen durch die letzten unsicheren Jahre bringen.

Junge Turner

Kurz bevor Johanne das Duo erreicht hatte, überholte eine Gruppe junger Turner in kurzen Hosen, aus der Katharinenstraße kommend und dem Turnverein auf der unteren Alaunstraße1 zustrebend, Johanne und drängte die beiden Damen an die Hauswand. Die Empörung der Frauen machte sich Luft in wüsten Ausdrücken, wie „verlauste Bengel“ und „keine Respekt vor ehrbare Damen“. Die Burschen, so um die 16 Jahre alt, grinsten meist und ein besonders keckes Bürschchen erwiderte, dass er hier keine ehrbaren Damen sähe.

Klara bekam einen Tobsuchtsanfall. „Ihr vermaledeiten Hundsfotzen. Ich wünsche euch die französische Krankheit2 an eure Leberwuscht.“ Weitere wüste Ausdrücke gingen im Lachen der Truppe unter. Eigentlich wollte sie dem Letzten in der Truppe ihre Einkaufstasche über seinen Nischel schlagen. Aber sie besann sich noch rechtzeitig, da sie sonst die Milch verschüttet und damit die anderen Einkäufe besudelt hätte.

Inzwischen kam Johanne lachend näher. „Haben dir die jungen Bengels in ihrer tollen Sportkleidung den Blutdruck hochgejagt, liebste Klara?“

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„Hald bloß deine Gusche. Ich gönnd bläde wern. Wir brauchn in der Schule wieder Zuchd und Ordnung. Gene Achdung mehr vorm Alder.“

Anna nickte. „Ja, mei Alder hädd mit ener Maulschelle dafür gesorchd. Meine drei Lümmel hädden sich sowas nich gedraud.“

Regeln für Fußgänger

„Es gibt aber auch Regeln für die Fußgänger, die beachtet werden sollten“, bemerkte Johanne, die nun etwas gefunden hatte, mit dem sie der Schandschnauze von der Alaunstraße über die Gusche zu fahren konnte.

„Was ‘n für Regeln?“, fragte Klara misstrauisch.

„Na welche für Fußgänger und ihr Verhalten auf dem Trottoire.“

„Von welchem Droddel quasseld ihr?“, warf die schwerhörige Anna ein.

„Du bisd ener“, erwiderte Klara leise und laut an Johanne gewandt, meinte sie: „Dei französisches Zeugs gonnde ich schon in der Schule nich ausschdehn. Sprich also deudsch mid mir.

„Johanne lächelte weiter. „Aber natürlich, meine Gutste. Ich bin auch des Deutschen mächtig.“

„Was quadschd die so geschwolln daher?“, fragte sie zur Seite gewandt die Anna. „Ich wees es och nich. Ich versteh eh nur Bahnhof.“

„Neustädter oder Hauptbahnhof?“, meine Johanne und setzte ihre unschuldigste Mine auf. Anna winkte ab und Klara fragte, dabei tief einatmend, was es mit den Regeln für Fußgänger auf sich habe und Johanne möge endlich aus den Knick kommen oder sowas in der Art.

Mit „Na geht doch, liebste Klara“, konnte sie sich eine schnippische Antwort nicht verkneifen und besagte Klara tat, als wenn der Frühlingswind leise säuselnd Johannes Worte in eine andere Richtung getragen hätte.

Dresdner Nachrichten vom 17. März 1925
Dresdner Nachrichten vom 17. März 1925

Regeln, überall Regeln

„Also, noch mal von vorn. In der Zeitung habe ich letzte Woche gelesen, dass es nicht nur Regeln für Autos, Fahrräder und Straßenbahnen gibt, sondern auch für Fußgänger3. Im ersten Punkt heißt es, der Fußgänger gehört auf den Fußsteig.“

„Ne, is nich wor. Das ist doch ma was Neies“, bemerkte Klara sarkastisch. „Da muss ma sich also von en paar Rodsbengels so an die Wand driggen lassen, dass enem de Lufd weg bleibd?“ Die letzten Worte konnte man ob der zunehmenden Lautstärke aus Klaras Mund auf der Alaunstraße hoch und runter hören. Viele blieben stehen und lauschten. Einige lachten, denn sie kannten die Schandschnauze der Kühnel.

Doch Johanne ließ sich nicht beirren, blieb sachlich, ruhig und trotzdem hinterfotzig, denn nur so konnte sie Paroli bieten. „Liebste Klara. Da brauchst du nicht sarkastisch werden. Das ‚sich auf dem Fußsteig aufhalten‘ hat schon seine Berechtigung.

Aber in den Regeln steht auch, dass man truppweises Zusammenstehen auf den Fußsteigen vermeiden solle, weil sonst andere Passanten, also Leute, die auch zu Fuß gehen, liebe Anne, auf die Straße treten müssten. Dadurch kämen sie in Gefahr, von Fahrrädern oder Autos überfahren zu werden.“ Dabei blickte sie Klara fest in die Augen und zog dabei ihre linke Braue nach oben.

Das führte bei Klara zur Schnappatmung, wobei Anna befürchtete, dass sie kurz davor stand, einen Kreislaufzusammenbruch zu erleiden oder noch Schlimmeres. Doch Klara tat der Johanne nicht diesen Gefallen, winkte nur ab und zog beleidigt von dannen. Anna ging ins Geschäft vom Fleischer Mende. Johanne grinste und freute sich über diesen kleinen Sieg in den ungezählten verbalen Kampeleien der beiden seit fernen Schulzeiten.

Regeln für Fußgänger (Original)

Regeln für Fußgänger
Regeln für Fußgänger

In lateinischen Buchstaben: Die wichtigsten Verkehrsgebote für den Fußgänger

  1. Der Fußgänger gehört auf den Fußsteig.
  2. Vor Heruntertreten vom Fußsteig und vor Überschreiten der Straße sich durch einen Blick nach rechts und links stets erst vergewissern, ob die Straße frei ist.
  3. Die Straße so rasch als möglich und im rechten Winkel, niemals schräg und, soweit bereits weiße Schutzlinien angebracht sind, innerhalb dieser Linien überschreiten. Wer von Kindern begleitet ist, hat die Pflicht, auf diese besonders zu achten und sie beim Überschreiten der Straße an der Hand zu führen.
  4. Truppweises Zusammenstehen auf den Fußsteigen in der inneren Stadt vermeiden. Sonst sind andere Passanten gezwungen, auf die Straße herunterzutreten und kommen dadurch möglicherweise in Gefahr.
  5. Die Straßenbahn stets nur auf dem Fußsteige oder der sogenannten Verkehrsinsel, niemals auf der Fahrbahn, erwarten.
  6. Nach Absteigen von der Straßenbahn nicht sofort hinter dem noch haltenden Straßenbahnzuge die Straße überqueren, sondern die Straßenbahn erst vorbeifahren lassen.

Anmerkungen des Autors

1 Der Gebäudekomplex des Turnvereins Neustadt stand an der Stelle des heutigen Kulturzentrums Scheune. Dort soll sogar der junge Erich Kästner geturnt haben.
2 Eine alte Bezeichnung für Syphilis; Man nahm früher an, dass diese Krankheit durch französische Truppen im Mittelalter in Europa verbreitet wurde.
3 aus Dresdner Nachrichten vom 17. März 1925


Unter der Rubrik „Vor 100 Jahren“ veröffentlichen wir in loser Reihenfolge Anekdoten aus dem Leben, Handeln und Denken von Uroma und Uropa. Dafür durchstöbert der Dresdner Schriftsteller und Journalist Heinz Kulb die Zeitungsarchive in der Sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek. Der vorliegende Text ist literarischer Natur. Grundlage bilden die recherchierten Fakten, die er mit fiktionalen Einflüssen verwebt.

Ergänzungen gern, aber bitte recht freundlich.

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