Eine Reise in die Vergangenheit: Ich war vierzehn Jahre jung – „Die beste Zeit für eine jugendliche Revolte“, dachte ich mir! Auffallen um jeden Preis! „Anders“ sein! Bunte Haare, Nietengürtel, Alkohol und Gras. Die Zeit, sie spielte keine Rolle. Wir liebten den Moment. Wir liebten das Leben und hassten es zu gleich. „Anders“ sein: Anders als alle anderen! Hauptsache anders! Wider dem Normalen! Was ist „normal“? Dumme Frage! Normal ist eben nicht anders! Der Reiz lag in dem Abenteuer. Dresden Neustadt – ein Zuhause! Besetzte Häuser und Konzertschuppen, Pogo tanzen, „Nazis raus!“. Kellerklo statt Wellnesstempel: Ein Protest gegen das System. Die Wut – sie musste irgendwo hin. Jahre ist es her … Was hat sich verändert? Wir lieben das Leben und wir hassen es immer noch. Manchmal. Manchmal sind wir immer noch anders. Eigentlich sind wir immer noch nicht normal. Überhaupt nicht normal – außer manchmal! Manchmal wären wir gern normal – nur für einen kurzen Augenblick. Aber unser Herz sagt: „Nein“. Heute sind wir anders als früher … Sind wir das wirklich?
Am 18. Januar traf ich The Vibrators in der Chemiefabrik. Man war ich aufgeregt! Schließlich sind sie – neben den Sex Pistols, The Clash und The Ramones – Idole meiner rebellischen Jugendzeit! Nun saß ich da: Digicam und Diktiergerät bereit gelegt. Noch waren sie nicht da. Meine Chance! Bei einem Bier nutze ich die Gelegenheit Mario von der Chemiefabrik ein wenig auszufragen. Er erzählte mir eine ganz wunderbare Geschichte: Sein kleiner Sohn kam eines Tages zu ihm und äußerte folgenden Wunsch: „Papa, kannst du die Vibrators zu meinem Geburtstag einladen, damit sie „Baby, Baby„ für mich spielen?“ Letztes Jahr klappte es schließlich: Die alten Männer aus London kamen nach Dresden und spielten während des Soundchecks ihren Hit nur für den Jungen.
Meine Nervosität stieg sekündlich: So leer habe ich die Chemiefabrik noch nie zuvor gesehen. Gänsehaut. Arktische Kälte in der Chemo? Einsame Tischkicker und eine Bar für mich ganz allein? – Ein ungewöhnliches Bild. In diesem Augenblick vermisste ich die vertraute mollig-warme Saunalandschaft: Üblicherweise ist bei einem Besuch des alternativen Konzerthauses selbst „Nichts“ am Körper noch zu viel. Ich starrte auf ein Poster, welches ihren heutigen Auftritt ankündigte. „Gleich werde ich sie treffen!“, schoss mir durch den Kopf. Und schon kamen sie durch die Tür: So in etwa hatte ich sie mir vorgestellt. Diese alten Punkrocker waren echte Gentlemen. Ich hoffte, ein letzter Schluck von meinem Becks würde mich nicht allzu nervös erscheinen lassen, bangte jedoch kurzfristig um meine Sprache. Ich schnappte nach Luft. Nun standen mir Eddie, Darrell und Pete für die nächsten 15 Minuten Rede und Antwort. Darrell ersetzt seit letztem Jahr das Gründungsmitglied Knox, welcher aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr tourt, an der Gitarre. 1996 spielte er schon einmal bei den Vibrators.
Lisa: 2011 war ein Besonderes Jahr für euch. Wie habt ihr euer 35-jähriges Band-Jubiläum gefeiert? Gab es eine große Party?
Eddie: Nicht wirklich. Es gab einen großen Gig in London Anfang des Jahres. Üblicherweise befinden wir uns zu dieser Zeit auf Europa-Tour – wie die letzten zwölf Jahre auch. Unser Band-Geburtstag war Ende Februar, als wir gerade zurück nach Hause kamen. Wir sind eigentlich immer unterwegs und da war einfach keine Zeit etwas Besonderes zu planen.
Lisa: Lasst uns etwas über Politik sprechen: Die Wurzeln des Punkrock liegen in den Siebziger Jahren. Neben den USA gilt Großbritannien als Geburtsstätte des Musik-Genres. Mit der Wirtschaft ging es zunehmend bergab, 1979 wurde Margaret Thatcher britische Premier-Ministerin und in den folgenden Jahren hatten historische Ereignisse, wie der Falklandkrieg, einen großen Einfluss auf die britische Gesellschaft. Die Menschen gingen auf die Straße, um für ihre Rechte zu kämpfen; Musik war eine Art ihren Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Was sind eure Gedanken dazu? Wie haben diese Ereignisse eure Musik beeinflusst?
Eddie: Vermutlich hat Politik auch heute noch einen großen Einfluss auf Musik. Als sich unsere Band 1976 gründete wurde gerade James Callaghan von der Labour Party in das Amt des Parteivorsitzenden und des Premierminister berufen, nachdem er bereits 6 Jahre als Außenminister tätig war. Die Unzufriedenheit und Wut der britischen Bevölkerung staute sich bereits zu seiner Zeit und prägte die Entstehung des Punkrock maßgeblich. Margaret Thatcher kam erst drei Jahre nach ihm. Punk hieß Protest – die Entstehung dieser Jugend- und Musikkultur war eine Reaktion auf die politischen Ereignisse seiner Zeit. Auch unsere Bandgeschichte wurde davon beeinflusst. Wir trennten uns und fanden wieder zusammen. Die Besetzung wechselte ständig. Es war keine einfache Zeit. Heute ist es ähnlich: „Punk“ und „Politik“, „Musik“ und „Politik“ gehören einfach zusammen. Es geht dabei nicht wirklich um „Politiker“ oder „Banker“. Es geht um Veränderung. Menschen wollen etwas verändern: Musik hilft ihnen dabei.
Pete: Ich bin aus Finnland, weshalb die Ereignisse in England mein Leben nicht wirklich beeinflusst haben. Dennoch spielte Politik auch in meinem Land eine wichtige Rolle. Ich erinnere mich an meine letzten Jahre in der Schule: „Arbeitslosigkeit“, „Arbeitslosigkeit“, „Arbeitslosigkeit“ – das ist das Wort, was sich tief in mein Gedächtnis gefressen hat. Als ich mich schließlich den Vibrators anschloss und mit anderen Punkbands wie den UK Subs auf Tour ging, änderte sich für mich eine Menge. Plötzlich öffneten sich mir unbekannte Türen. Sie kämpften für ihre Freiheit und das beeindruckte mich. Ich bekam ganz neue Impulse.
Darrell: Punk heißt Freiheit!
Pete: Ja, das ist ein wirklich guter Slogan!
Lisa: Ich weiß genau, was ihr meint. Was glaubt ihr, hat sich seit 1976 geändert? Wie hat sich eure Fan-Gemeinde verändert?
Eddie: Es sind eigentlich immer noch die gleichen Leute wie früher. Sie sind nur älter geworden! Als wir gestern in Berlin gespielt haben, habe ich Leute getroffen, mit denen ich mich schon 1977 zu unserem ersten Berlin-Konzert unterhalten habe. Dennoch kommen immer neue dazu: Wir bedienen eine große Spanne. Unser Publikum variiert meistens zwischen 18- und 60-Jährigen.
Lisa: Ihr standet mit Musik-Legenden wie den Sex Pistols und Iggy Pop auf der Bühne. Welches Gefühl war das für euch? Seid ihr Freunde geworden?
Eddie: Klar doch! Unter Musikern wird man immer zu Freunden; Musiker sind generell ein sehr offenes Völkchen. Unser erster Auftritt mit Iggy Pop 1977 war etwas Besonderes: David Bowie begleitete uns am Keyboard.
Darrell: Verstehst du, David Bowie! David Bowie – das ist wie „The Guns Of Brixton“ (The Clash)!
Eddie: Egal ob Sänger, Drummer oder Gitarristen – es sind alles einzigartige Menschen. Die Tour mit Iggy Pop war einfach fantastisch. Wir haben wunderbare Freundschaften geschlossen. Im letzten Jahr haben wir unser neues Album „On The Guest List“ aufgenommen: Nach wie vor unterstützen uns alte Freunde von damals auf unserem Weg.
Lisa: Das klingt wirklich toll. Ich denke, genau darum geht es doch im Leben.
Darrell: Ja, Musik bedeutet auch immer ein Stückchen Freundschaft – für die Meisten jedenfalls!
Lisa: Euer Song „Baby, Baby“ machte euch berühmt und ist noch heute ein „Must-Play“ auf jedem Konzert. Es geht um ein hübsches Mädchen mit schönen Augen. Was ist die Geschichte dazu?
Eddie: Nein, dazu gibt es nicht wirklich eine persönliche Geschichte zu erzählen.
Pete (lacht): Ich wette, die gibt es doch.
Eddie: Es war ganz einfach so: Wir hatten bis „Baby Baby“ geboren wurde eigentlich nur schnelle und harte Songs in unserem Repertoire. Wir waren uns einig: Etwas Langsameres – eine Art Ballade – musste her. Du kannst nicht 15 Songs am Stück spielen, die immer nur nach „Bababababam“ klingen. Das wird auf Dauer langweilig. Außerdem wollten wir auch unserem weiblichen Publikum imponieren. Das ist schließlich Sinn und Zweck einer Ballade. Also schrieb Knox los. Am Anfang sahen das alle eher mit kritischen Augen. Freunde meinten: „Das könnt ihr doch nicht spielen, das ist viel zu langsam!“, Journalisten meinten: „Das könnt ihr doch nicht spielen, das ist viel zu langsam!“, unser Tourmanager meinte ebenfalls: „Das könnt ihr doch nicht spielen!“ Aber wir taten es! Schließlich meinten alle „Jungs, das ist ziemlich cool!“, so dass wir es als Single herausbrachten. „The Vibrators“ – das ist „Baby, Baby!“. Ja es ist ein „Must-Play“!
Pete: Das muss einfach gemacht werden!
Eddie: Was sagt uns das? Höre niemals auf andere! Wir haben sogar eine neue Version von dem Song auf unser aktuelles Album gepackt. Alles andere ist komplett neues Material von Pete und Knox. Ach ja, sogar die Toten Hosen haben „Baby, Baby“ gecovert!
Lisa: Gut, dass du es erwähnst! Wir kommen später noch mal auf die Toten Hosen zu sprechen! 1978 hattet ihr einen Auftritt bei Top of the Pops. Mir ist diese Chart-Show hauptsächlich aus den Neunzigern in Erinnerung. Ist es nicht ein äußerst kommerzielles TV-Format? Wie passt das mit der unabhängigen und alternativen Lebenseinstellung des Punk zusammen?
Eddie: Oh, gute Frage! Eigentlich war es der heimliche Traum jeder Band dort einmal auftreten zu dürfen. Ich glaube die einzige Band, die sagte „Nein wir gehen definitiv nicht zu Top of the Pops“ war The Clash. Wir hingegen wollten die Leute dazu bewegen unsere Musik zu hören.
Darrell: Das war eines der „Most-Rock’n-Roll-Things-To-Do“ – bei Top of the Pops aufzutreten!
Eddie: Das ist der Traum, den du verfolgst, wenn du eine Band gründest – „To be on Top of the Pops“! Es war einfach verdammt cool, wenn Kinder ihren Vätern erzählten: „Oh Daddy hast du The Vibrators bei Top of the Pops gesehen?“ und die Väter schließlich los zogen, um unsere Platten zu kaufen. Unser Auftritt endete ca. 18 Uhr und bereits 22 Uhr standen wir nach einer dreistündigen Fahrt auf einer anderen Bühne. Das war unbeschreiblich!
Lisa: Daran zweifle ich keine Sekunde! Habt ihr euch eigentlich im Laufe der Jahre eine Art Band-Philosophie angeeignet?
Eddie: Go out and have fun!
Lisa: Oh ich glaube das Motto „To have fun“ verfolgt doch eigentlich jede Band, oder etwa nicht?
Darrell: Haha, also manche Bands schauen nicht wirklich so aus als ob sie Spaß hätten – wir allerdings schon!
Lisa: Ihr habt Humor. Ok, kommen wir nun zurück zu einer der bekanntesten deutschen Punkbands „Die Toten Hosen“. Ich habe auf eurer Website gelesen, dass ihr mal zusammen auf Tour wart. Wie kam es dazu? Was mögt ihr an ihnen?
Eddie: Das ist schon eine ganze Weile her. Das war als die Toten Hosen ihr Album „Learning English“ 1991 herausbrachten und „Baby, Baby“ coverten. Wir hörten davon und uns kam zu Ohren, dass die Band in Deutschland ziemlich bekannt sei. Da dachten wir uns: „Man wär das cool mal was mit denen zusammen zu machen“. Es war für uns eine riesen Überraschung als wir auf einmal vor mindestens 12.000 Menschen pro Show spielten, manchmal sogar vor 20.000! Es war ein verdammt großes Ding! Die Band zeigte sich uns gegenüber immer äußerst respektvoll. Wir hatten sehr viel Spaß zusammen und schätzen sie sehr.
Pete: Übrigens: Die meisten unserer Support-Bands sind deutsche Punkbands! Wir fühlen uns mit Deutschland sehr verbunden!
Lisa: Das hört man gern. Freut ihr euch auf eure Show heut Abend in der Chemiefabrik? Wollt ihr euren deutschen Fans noch etwas mit auf den Weg geben?
Eddie: Kommt vorbei, trinkt ein Bier mit uns und habt Spaß!
Darrell: Passt auf euch auf! Vergesst euer Auto nicht!
Pete: Vergesst nicht, wo ihr euer Auto abgestellt habt!
Eddie: Trefft eure Freunde!
Pete: Und kauft unser neues Album!
Lisa: Ich danke euch vielmals für das Interview, Jungs. Genießt den Abend. Wir sehen uns später!
The Vibrators: Wir haben zu danken!
Noch trennten sich unsere Wege nicht: Darrell überredete mich zu einem neuen Bier und er erzählte mir – als das Diktiergerät bereits ausgeschalten war – ausgelassen von seinem Rockstarleben mit „zu wenig Sex, zu viel Drugs und ordentlich Rock’n Roll.“ Details müsste ich wohl an dieser Stelle zensieren. Namen wie Kurt Cobain und Amy Winehouse fielen: Beide starben im Alter von 27 Jahren. „Amy’s Tod macht mich sehr traurig“, so lautete ein Statement des Gitarristen. Schließlich hieß unser nächstes Ziel: Tischkicker! Ein klarer Sieg: 2:0 für mich! Ich weiß nicht, ob es daran lag, dass Darrell schon zu viel getrunken hatte oder er mich einfach nicht verlieren sehen wollte: Ich hatte einen der alten britischen Punkväter im Kickern besiegt – Freibier für mich! Ein Jugendtraum ging plötzlich in Erfüllung.
Die Chemo füllte sich schließlich – es gab einen regelrechten Ansturm! Schließlich fand man vor der Bühne und hinter der Bar kaum noch einen Platz. „Liebste Chemo, so kenn und lieb ich dich“: Das alt-bekannte Sauna-Feeling; Zigaretten-Geruch lag in der Luft; meine Blicke trafen auf alte und neue Gesichter. Punk ist immer noch laut. Punk ist immer noch bunt. Punk lebt! – Die Vibrators sind der Beweis! Die Fans rasteten aus und die Band rockte die Bühne – so muss es sein!
Eigentlich hat sich zu früher nicht viel verändert: „To have fun“ – das war Punk gestern, das ist Punk heute. Tief in meinem Herzen steckt also auch in mir noch immer das kleine bunte Mädchen von früher – nur ohne Nietengürtel und schwarz-roten Schnürsenkeln in den Stiefeln. Ja es ist „anders“, aber irgendwie auch nicht. Punk ist ein Lebensgefühl: das Gefühl zu leben!
Ich hoffe auf ein Wiedersehen mit den Vibrators im nächsten Jahr…
- Weitere Informationen zu den Vibrators auf der offiziellen Band-Website www.thevibrators.com. Infos zur Chemiefabrik Dresden unter www.chemiefabrik.info oder auf Facebook
cool
konnte an dem abend leider nicht…
danke für den artikel. :-)