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Stechuhr im Ostpol

Hardcore in der Scheune

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Stagediving – Das Gefühl auf Wellen zu reiten
Hardcore. Es geht um Musik. Es geht um Menschen mit derselben Leidenschaft. Wenn ich an Hardcore denke, sehe ich Emotionen: Tanzen, Lachen, Umfallen und Aufstehen. So auch am Mittwoch Abend in der Scheune. Arme fliegen reflexartig nach oben. Hände geben Halt. Die Zeit scheint still zu stehen. Der Atem stockt. Und los geht es: Von der Bühne abwärts in Richtung Publikum. Die Augen sind geschlossen – was zählt, ist der Moment. Der Rausch. Es ist als würde man von sanften Wellen getragen werden. Weiter. Und immer weiter. Plötzlich – ganz unerwartet: Der Fall. Und wieder: Reflexartig schießen nun zahlreiche Hände in Richtung Boden, um dem Gefallenen aufzuhelfen. Aufstehen. Und weiter gehts! Das ist Hardcore…

Polar, Counterparts, Being As An Ocean und Hundredth – noch nie gehört? Sie alle gehören zu einer musikalischen Familie, die sich in einem Genre zu verorten weiß, welches für viele zunächst nach melodielosem Krach klingen mag. Ihre Reise nach Dresden war lang und länger. Während für Polar aus England der Boden deutscher Bühnen noch Neuland ist, treffen die anderen Jungs aus den USA vermutlich auf das ein oder andere bekannte Gesicht. Die Scheune ist voll; Sauerstoff Mangelware; ein Mix aus Schweiß und Bier bekleidet den Boden. “Black days, empty hearts” schallt es von der Bühne. Es folgen weitere gefühlvolle Texte über Freundschaft, Liebe, Wut und Enttäuschung. Texte über Freiheit. Texte, die Mut machen sollen. Es sind Geschichten, die jeden hier im Raum bewegen. Geschichten, über Menschlichkeit. Erzählt werden sie von rauen Stimmen. “Scream and Shout” – Kraftvoll entladen sich die Botschaften der Bands in einer tobenden Masse. Versunken in einer Art Trance unterstützen die Hardcore-Süchtigen die Künstler mit vollem Körpereinsatz. Alles beginnt mit einem zurückhaltenden Kopfnicken, es folgt ein rhythmisches Klatschen bevor so langsam die Füße zum Einsatz kommen. Auf der Stelle springen, als ob das eigene Leben davon abhängt; schließlich heißt es: “It’s time for a mosh pit” – und schon bildet sich vor der Bühne ein Kreis, der zum emotionalen Ausrasten einlädt. Ein Freudenfeuer. Es geht nicht um Gewalt. Ein Hardcore-Konzert ist kein Fightclub. Es gibt eine Art Kodex unter den Pogenden: “Wenn du fällst, dann helfe ich dir auf.” Der Spaß steht im Vordergrund: Zusammen mit Gleichgesinnten die Sorgen des Alltags vergessen und sich von der musikalischen Klängen verführen lassen – das ist Hardcore…
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Spaß haben – das ist Hardcore….

Die Musik ist laut und besitzt eine ganz eigene Dynamik. Sie muss laut sein, um gehört zu werden! Die aggressiven Parts – von Musikliebhabern anderer Genres gern als sinnloses “Geschreie” bezeichnet – werden von ruhigeren, zum Teil melodischen, Gesangseinlagen abgelöst; oft komplettieren reine instrumentelle Passagen einen Song. Meine Freundin Manja, die mich an diesem Abend begleitete, sprach von “Gänsehaut”, als das erste Lied ertönte. Literweise betrinken wir uns mit Melodien. Wir können nicht mehr aufhören. Lassen uns gedanklich fallen. Sind Teil der Masse. Hypnotisiert für unbestimmte Zeit. Eine andere Welt. Hier dürfen wir sein, wer wir sein wollen. Die Bands singen, was uns bewegt. Ein Lebensgefühl – das ist Hardcore…

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Auch die stärksten Kerle zeigen Emotionen

Ich schreibe diese Dinge, um mich daran zu erinnern, dass inmitten der Dunkelheit immer noch Licht, Hoffnung und ein perfekter Plan schlummern. Zum ersten Mal in meinem Leben schreibe ich des Schreibens Willen.
 Lebe ich des Lebens Willen.
Liebe ich des Liebens Willen.
 Und ich werde leben.
 Du kannst diese Art von Leben hoffnungslose Mühen nennen…Dass dieses kleine Schiff jemals solch ein gewaltsames Wetter aushalten konnte…
Nenn’ es sinnlos. Ich werde nicht aufhören Anmut hinauszutragen. Ich werde schreien bis mein Gesicht blau anläuft.
 Alles hat einen Sinn und der bist immer du gewesen.

…heißt es in dem Song “Dear G-d” von der noch recht jungen Band – 2011 gegründet – Being As An Ocean. Und genau darum geht es: Den Dingen im Kopf und im Herzen Gestalt zu verleihen. Einen Weg zu finden, sich auszudrücken. Das Gefühl zu genießen, verstanden zu werden. Das ist Hardcore…

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Hundredth sorgte für ein grandioses Ende an diesem Abend. Die Scheune leert sich. Alle Stagediver und Mosh-Verrückten atmen noch. Und sie werden wieder kommen. Die Familie hält zusammen. Am nächsten Tag wird mir nach dem Aufwachen das Ausmaß des Abends erst richtig bewusst: Der Kopf schmerzt; die Glieder sind schwer; mein Fuß ist blau. Ich lächle und freue mich über einen gelungenen Abend, bevor ich mich wieder umdrehe, um weiter zu schlafen…Ja, auch das ist Hardcore!

6 Kommentare

  1. **Teile des Kommentars gelöscht – entsprechen nicht der Hausordnung**

    Stagediver! Wenn das wenigstens nur die Leute machen würden, die es können! Solche unfähigen *** wie der Typ auf dem Foto sind genau der Grund, warum es zum Glück auf immer mehr Konzerten und Festivals verboten wird, weil die Verletzungsrate zu hoch ist! Gebrochene Nasen sind da keine Seltenheit, wenn sich die *** wie ein nasser Sack durch die Gegend schleppen lassen!

    **Teile des Kommentars gelöscht – entsprechen nicht der Hausordnung**

  2. Hallo !!! Also ich war allein im letzten Jahr auf über zwanzig Konzerten. Stagediving war dort weder verboten, noch waren die beteiligten Leute auf sinnlose Gewalt aus. Achtsamkeit ist das A und O! Mehr als ein paar blaue Flecke habe ich nie davon getragen. Unfälle können immer und überall passieren – dann dürfte ich das Haus nicht mehr verlassen. Es gehört einfach irgendwie dazu. Wer damit nichts anfangen kann, sollte sich an den Rand stellen oder zumindest sich nicht gerade in den Kreis vor der Bühne stürzen…denn jeder weiß, dass dort zum Teil etwas wilder gepogt wird… Es ist und bleibt eine Art zu tanzen…Wer das nicht toleriert bzw. in dieser Tradition nur Gewalt und das Risiko verletzt zu werden sieht, sollte vielleicht Konzerte dieses Genres meiden.

  3. Liebe Lisa,

    ich habe im Panzerhof in den früüüühen 90ern gelernt das bei Hardcorekonzis NICHT gepogt wird… grünschnäbelig hatte ich mich erdreistet wildes rumgespringe anzufangen… bis die Pranke eines Hünen aus einer der hinteren Reihen,schwerst auf meiner damals noch schmächtigen Schulter zu liegen kam und mir mit bedrohlicher Stimme nahegelgt wurde… “Das is Hardcore du Arsch, da wird ni gepogt!!!”

    also merke…
    Punk + Pogo = :)
    Hardcore + Pogo = :-(

  4. Hallo christoph, ähnliche Erfahrungen sammelte ich bei einem Konzert in der Scheune, da hatte ich aber irgendwie Hardcore mit Hardrock verwechselt. Ein paar Herren unterbanden meine Pogo-Versuche mit dem lapidaren Satz: “Ganz ruhig, wir wollen hier bangen.” Ich war so verstört, dass ich hinter erstmal im Hardrocklexikon nachschlagen musste, was die meinten. ;)

  5. Lieber Christoph,

    vermutlich hat sich das wohl im Laufe der Zeit etwas geändert…Bei mir fing auch alles mit Punk-Konzerten an. Der Unterschied war lediglich, dass auf den Konzerten – mit überwiegend “bunten” Menschen – hier und da auch mal Springerstiefel auf unschuldige Nasenknochen trafen…Auch im Hardcore wird “gepogt”, “gemosht” oder wie auch immer du es nennen magst…aber eben auf eine weniger aggressive Art und Weise – meine Erfahrung….Egal ob Festivals oder kleineren Underground-Konzis…einen Mosh Pit (Circle Pit, Wall of Death…und was es nicht alles gibt), gibt es eigentlich immer….und das war in Frankfurt, Nürnberg, Berlin und Wien nicht anders…Aber auch im “Hardcore” muss man ja differenzieren. Auf Screamo-Konzis findet man überwiegend “Kopfnicker”; auf “Oldschool”-Veranstaltungen und “Metalcore”-, “Melodic-Hardcore” (die Grenzen verlaufen ja eher fließend)-Konzis wird hingegen erfahrungsgemäß immer die Sau rausgelassen…Hier ein Video von Close your Eyes in Nürnberg letztes Jahr (und das war wirklich eins der wenigen, wo das Publikum doch recht hart “getanzt” hat) – einfach hammer…und ganz ohne Verletzungen (Auch wenn man etwas anderes vermuten könnte) ;) http://www.youtube.com/watch?v=rQ_6CiUANGw …wenn ich oder andere um mich herum zu Boden gestürzt sind, wurde eigentlich immer darauf geachtet, dass demjenigen wieder hoch geholfen wird bevor man weiter durch die Gegend springt…aber klar, jeder macht andere Erfahrungen – dass dieser Spaß durchaus gefährlich sein kann, weiß eigentlich jeder, der so ein Konzert besucht..Und sicherlich gibt es auch einige unter den Konzertbesuchern, die auf Gewalt aus sind – aber ich denke, das ist nicht die Regel – eben weil es eine Art ungeschriebenes Gesetz ist “aufeinander Acht zu geben”..Auch neulich in der Chemo als No Bragging Rights und Light your Anchor gespielt haben, gab es einen kleinen feinen Kreis vor der Bühne…sehr angenehm – Nachwirkung: Muskelkater am nächsten Tag :) Aber vielleicht gibt es ja auch so etwas wie “Frauenbonus” auf den doch eher “männerlastigen” Konzerten… :)

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