Vor fast 40 Jahren ist Roswitha Beyer in die Neustadt gezogen. Damals waren die Zehngeschosser an der Sarasanistraße gerade fertig gestellt. Für Neustadt-Verhältnisse lebte sie dort geradezu luxuriös. Als Leiterin des Kindergartens an der Hauptstraße lernte sie die Kinder des Viertels und ihre Eltern kennen. Da waren Akademiker dabei, aber eben auch Ex-Sträflinge und Leute mit Alkoholproblemen.
Über die Arbeit hat die 71-Jährige eine sehr hohe emotionale Bindung an den Stadtteil gewonnen. Nach der Wende war sie als Projektmanagerin in der stadteigenen Gesellschaft QAD tätig und hatte auch da immer den Kontakt zu den sozialen Brennpunkten. Seit einigen Jahren ist sie stellvertretende Ortsbeirätin. Beim Bündnis Freie Bürger fühlt sie sich gut aufgehoben, weil es eben keine Parteistrukturen und Fraktionszwänge gibt. Ich treffe sie vor der Gaststätte „Am Thor“ an der Hauptstraße, weil ihr Lieblingslokal „Der Löwe“ auf der anderen Seite gerade nicht geöffnet hatte.
In den vergangenen Wochen und Monaten gab es in der Neustadt immer wieder Raubüberfälle, was könnte man Ihrer Meinung nach tun?
Ich denke, wir haben seit Kurzem ein Problem. Wir hatten viele Jahre ein relativ ruhiges Leben in der Neustadt, wenig gefährlich. Niemand hatte Sorge durch die Neustadt zu gehen. Das hat sich geändert. Eine von den Lösungen: Man muss nachts auch Zivilstreifen in größerem Maße durch die Neustadt schicken. Die sollen diese Leute rausholen, diese tanzenden Diebe. Das können ja nicht viele sein, man muss einfach die Gruppe festnehmen. Die Polizei sollte mit allen Gastronomen zusammenarbeiten, die auch viele Dinge beobachten. Außerdem sollte man die Neustädter und Besucher aufklären, damit die wissen, wo sie sich hinwenden können, wenn sie etwas beobachten. Ich würde auch mit dem Land sprechen, ob sie die Entscheidung für die Verlegung des Reviers nicht noch einmal rückgängig machen können.
Ordnung und Sauberkeit auf dem Alaunplatz, was ist Ihr Konzept?
Wir produzieren ja immer mehr Müll. Dann gibt es etwas wie den Alaunpark, der ein Anziehungspunkt nicht nur für die Neustädter ist, sondern für viele Jugendliche aus ganz Dresden, die dort ihren Abend verbringen, grillen und was weiß ich mache und dann keine Lust mehr haben, das Zeug mitzunehmen. Unser Ortsamtsleiter, André Barth, gibt sich ungeheure Mühe, eine Lösung zu finden. Mit kleinen Erfolgen, manchmal auch größeren. Aber es ist scheinbar nicht ausreichend. Ich denke, in solchen Gebieten sollte man vielleicht einmal mehr reinigen. Wir sollten mal von anderen Ländern auch lernen. In Rumänien haben die das zum Beispiel mit witzigen Schildern gelöst, humorvolle Hinweise, keine Drohungen. Wir haben in Neustadt so viel kreatives Potenzial. Da könnte man einfach mal ein paar Dinge angehen, gemeinsam mit Schulen und Jugendlichen und denen, die dort wohnen.
Wie sollte Ihrer Meinung nach die Königsbrücker Straße ausgebaut werden?
Wir werden es nicht erreichen, dass wir die Königsbrücker im Bestand sanieren können. Wenn die Fahrradwege dazu kommen, muss sie breiter werden. Für die Königsbrücker muss ein Kompromiss gefunden werden. Die Variante 7 modifiziert reicht mir noch nicht ganz als Kompromiss, ich würde mir wünschen, dass wir die Königsbrücker so betrachten, zwischen Albertstraße und Bischofsweg sind viele Geschäfte, mehr ein Boulevard. Dort wünschte ich mir, dass das stärker beachtet wird, danach kann die Straße auch breiter und schneller werden. Ich glaube, dass bei den Planungen noch viele Veränderungen kommen. So wie es beschlossen wurde, wird es nicht gebaut werden, vermute ich.
An der Leipziger Straße soll ein Kaufhaus gebaut werden, wie ist Ihre Meinung dazu?
Ich bin mit Leib und Seele Neustädterin, ich möchte, dass wir in Dresden keine weiteren großen Märkte bekommen, wenn sie nicht an irgendeiner Stelle unbedingt nötig sind. Ich denke der Grund und Boden einer Stadt kann nicht vermehrt werden und wir sind mit Einkaufsmärkten in Dresden mehr als zugepflastert. Meiner Meinung nach wird Globus dem kleinteiligen Einzelhandel in Neustadt und Pieschen massiv schaden. Da dieser Handel viele Produkte aus der Region verkauft, entsteht so doppelter Schaden.
Deswegen bin ich nicht gegen Globus als Firma, sondern ich bin dagegen, dass sich Globus an dieser sensiblen historischen Stelle ansiedelt. Die Fläche sollte freigehalten werden für etwas, was die Stadt vielleicht in fünf Jahren dringend braucht. Zum Beispiel: Was wird mit dem Verkehrsmuseum? Den großen Markt brauchen wir in Neustadt und Pieschen nicht. Ich sehe jetzt schon, was auf der Großenhainer und der Leipziger Straße zu bestimmten Zeiten los ist, ohne das dort noch ein Riesen-Markt mit einem Riesen-Parkplatz ist. Wir werden dort den Verkehrskollaps bekommen.
Mietentwicklung in der Dresdner Neustadt, sollte man die bremsen oder dem freien Markt überlassen?
Es hat vor fünf Jahren angefangen, dass die Mietpreise anzogen. Zuerst haben es Familien gemerkt, mit Kindern, die dann eine größere Wohnung brauchten. Und seit zwei, drei Jahren ist es so, dass Familien, die durchschnittlich verdienen, sich kaum noch die Wohnungen leisten können, weil die Mietpreise nicht mehr den Einkommen entsprechen. Andererseits muss man auch sehen, dass die Sanierung der Neustadt sehr teuer war, und jetzt können die Vermieter aufatmen, weil sie jetzt ihre Kredite bezahlen können. Die Stadt sollte insbesondere Familien mit Kindern, die da am meisten drunter leiden zu unterstützen. Dafür kann sich die Stadt mit Wohnungsgenossenschaften verbünden. Dort wo die Stadt noch eigenen Grund und Boden hat, sollte sie ihn nicht meistbietend verkaufen, sondern wenn es um Wohnraumfläche geht, sollte sie mit den Wohnungsgenossenschaften ein Verfahren entwickeln, damit eine Mietpreisbindung für 20 Prozent eines Hauses zustande kommt. Mit Vermietern die noch sanieren müssen, könnte man ein ähnliches Abkommen schließen. Die Neustadt sollte so vielfältig bleiben wie sie ist. Jeder der dort wohnt, sollte auch die Chance haben, dort wohnen zu bleiben.
- Frau Beyer, vielen Dank für das Gespräch.
- Übersicht zu den weiteren Interviews
- Vielen Dank an Tobias Strahl für die Fotos zu diesem Interview. Mehr Texte und Bilder von Tobias Strahl unter: www.sehnsuchtsort.de
die Sanierungen der Häuser in der Neustadt (Gründerzeitviertel) wurde vom Staat mit größeren ,,Aufbaugeldmitteln“ gut gefördert!
na dann Verkauf von Wohnraum und Grundstücken stoppen! :D
Zu den Raubüberfällen ein guter Ansatz aber leider schwer finanzierbar. Die Gastronomen werden nicht den Schutz der Nichtgäste finanzieren und auch shclecht informiert wer die Gruppe der tanzenden Diebe ist. So klein ist dann die Gruppe auch wieder nicht ;)