„Ich weiß, wo es Himbeeren gibt.“ – „Und ich, wo es Holunderblüten gibt für Sirup.“ – „Und ich hab Brombeeren gefunden.“ Die Kinder, die das durcheinander rufen, leben nicht auf dem Lande, sondern im dichtestbesiedelten Stadtteil Dresdens. Brombeeren in der Äußeren Neustadt? „Ja, im Durchgang zum Nordbad.“ – „Dort sind coole Graffiti, aber manchmal stinkts.“
Was wirklich wichtig ist
Das unter Wildpinklern leidende Szeneviertel ist einer der kinderreichsten Stadtteile in der Geburtenhauptstadt Deutschlands. Und wie Kinder diesen ihren Stadtteil sehen, wollten die Mitarbeiter des dortigen Abenteuerspielplatzes Panama wissen. „Wir möchten gern erfahren, wie Sieben- bis Zwölfjährige ihre Umgebung wahrnehmen“, sagt die verantwortliche Sozialpädagogin Jana Erler. Die Neustadtentdecker zeigten daher in den vergangenen Wochen ihren großen Begleitern vom Spielmobil Wirbelwind der Outlaw gGmbH ihre Schul- und Freizeitwege und was ihnen wichtig ist.
„Ich werde mit dem Auto in die Schule gefahren.“ – „Ich gehe immer zu Fuß, weil alles leicht zu erreichen ist. Rad fahre ich mit Papa in der Heide, und danach gibt es ein Softeis am Alaunpark.“ – „Ich bin oft an der Elbe, da gehe ich spazieren und werfe Steine.“ – „Ich füttere gern die Tiere im Panama.“ – „Manchmal bin ich auf dem Friedhof, weil ich meinen Goldfisch besuche, der dort begraben liegt. Da sind auch Jugendliche, die rauchen. Darauf hab ich keine Lust, trotzdem häng ich mit denen rum.“ – „Von unserer Mauer kann man in den Nachbarhof gucken, eine alte Frau dort schimpft dann immer und jagt uns weg.“ – „Einmal hab ich aus Langeweile die Bäume im Hof angemalt – da hab ich Ärger gekriegt.“
Man guckt genauer hin, wenn man mit der Linse unterwegs ist
Mit Kamera und Diktiergerät, Farben und Papier, auf Stadtplanausschnitten und in subjektiven Landkarten haben die Grundschüler festgehalten, wo sie sich gern aufhalten: auf der Kletterspinne auf dem Alaunplatz, wo man auch herrlich Verstecken oder Fußball spielen kann; bei Freunden zu Besuch; im Prießnitzgrund, wo man sich auf Nachtwanderungen Gruselgeschichten erzählt; in der Eisdiele Tiki, auf den Spielplätzen und in den Schulhöfen. „Man guckt viel genauer hin, wenn man mit der Linse unterwegs ist“, gesteht einer von ihnen in der Auswertungsrunde am vergangenen Freitag.Dort kam noch einmal zur Sprache, was Kindern an der Neustadt gut gefällt. Das sind neben Bäumen und Tieren auch die Umsonstkisten auf den Straßen und die bunten Häuser. „Woanders, wo ich zum Judo hingehe, ist es nicht so bunt.“ Auch was ihnen nicht so gefällt, wurden sie gefragt. „Ich finde es schade, wenn das alles neu und schick wird, dann sieht es langweilig aus und die drin gewohnt haben, können es sich nachher nicht mehr leisten.“ – „Die Punks sehen komisch aus, aber ich glaube die sind ganz nett.“ – „Der Müll auf dem Alaunpark stört mich, aber ich hab zur BRN mit einem Politiker drüber gesprochen.“
Angst vor Betrunkenen
Zum Abschluss waren Schatzkisten mit Fotos der Neustadtentdecker im Panama versteckt. Und wer Lust hatte, durfte eine Runde reiten mit Ring-Stechen. Saskia erwischte einen grünen. Also durfte sie erzählen, was sie am besten findet: „das Sportfest in der Schule“. Beim roten Ring ging es darum, was sie doof findet: „die Betrunkenen und die Penner tagsüber an der Ecke Louisenstraße/Rothenburger. Die quatschen rum, und einer hat sich mir mal in den Weg gestellt. Vor denen hab ich Angst.“Nach den Sommerferien soll es in einer nächsten Runde weitergehen. Gefördert wird das Projekt durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) durch das Programm „Kultur macht stark – Bündnisse für Bildung“ über die Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Spielmobile. Umgesetzt werden die Begehungsergebnisse am Ende in einer Dokumentation in Form eines Heftes mit eingelegter DVD.
- Weitere Informationen zum Abenteuerspielplatzes (ASP) Panama der Treberhilfe Dresden e.V. unter: panama.treberhilfe-dresden.de
- Ein Gastbeitrag der Autorin und Neustadt-Gästeführerin Una Giesecke