Wäre die Neustadt ein Kreislauf, so entspräche die Alaunstraße der Hauptschlagader. Die ursprünglich die Straße einfassenden Pulverhäuser wurden bereits 1764 in die Friedrichstadt verlegt. Während der 1990er und um die Jahrtausendwende schnupperte es dennoch gelegentlich nach dem Schwefel und Schmauch. Heute ist die Stimmung weniger explosiv, auch wenn es gelegentlich noch etwas rabaukig zu geht, beispielsweise beim nächtlichen Eulentreff vor der Scheune. Fliegende Bierflaschen werden von Pfandpiraten aus der Luft gefangen.
Kulturelle Einflugschneise ist das untere Ende am Albertplatz mit dem Erich-Kästner-Denkmal aus Bronze, bestehend aus Bücherstapel, Hut und Kaffeetasse. Ein Schwenk nach rechts Orient-Bazar, einem Supermarkt mit exotischen Leckereien, Kosmetik, Käse- und Fleischtheke. Wieder on the road folgt rechter Hand die „Bunte Ecke“ mit sichtgeschütztem Pissoir für Stehpinkler. Es ist empfehlenswert, dies bei drängendem Bedürfnis zu nutzen, um den Platz für den sonnabendlichen Kleinflohmarkt geruchsneutral zu halten.
Ebenfalls auf der rechten Seite gelangen wir zur Scheune, einem ehemaligen Punker- bzw. davor Blueserpfuhl. Jetzt Kulturstätte mit Scheunecafé im Erdgeschoss (fetter Brunch am Wochenende, auch für Vegetarier empfehlenswert!), qualitativ hochwertigen Konzerten, Austragungsort blutiger Poetry Slams und Public Tatorting am Sonntag. Die Fotobox davor zu benutzen ist ungefähr so subversiv wie Cupcakes backen. Obst und Gemüse am Stand vor der Scheune zu kaufen, sieht dagegen authentisch aus.
Echte Touristen biegen bei dem Schild mit orangefarbener Kuh auf hellblauem Grund auf der oberen Hälfte der Straße rechts ab und ordnen sich in die Horde der Kunsthof-Knipser ein. Lernvokabeln: Guck mal! Wie bunt die Wände sind! Sowas gibt’s bei uns nicht!
Alaunstraße mit Sonnenhof
Eine Toreinfahrt eher abzubiegen heißt, dem Mainstream widerstehen ohne abgehängt zu werden: auf einen Besuch im Umsonstladen, einen frisch gepressten Saft von Meister Abu oder zur Fußmassage im trocken gelegten Kunstbachbett voller Kieselsteine. Neuerdings laufen einem hier auch schnatternde Kannen über den Weg.
Fast geschafft. Das Café 100 (nach der Hausnummer benannt) ist eine der letzten Uralt-Szenekneipen im Viertel, hier jammen donnerstags in rauchgeschwängerter Luft Musiker und solche, die es sein wollen. Gegenüber lassen sich handgefertigte Maßschuhe und gelegentlich auch der passende Schuhmacher im Schaufenster bestaunen. Achtung! Dass keine Preisschilder ausliegen, hat einen Sinn.
Nun stolpert man aus dem Straßenschluchtdunkel direkt hinein in den Alaunpark, der eigentlich Alaunplatz heißt. → siehe Alaunplatz.
Die Alaunstraße
- Die Straße auf dem Stadtplan von dresden.de
Was bitte ist ein Austragsort? Ist die Scheune jetzt ein Kreißsaal?
Abgesehen von derlei zweifelhafter Grammatik: einige fundierte geschichtliche Anmerkungen zu dieser historisch bedeutendsten Straße des Quartiers wären zumindest wünschenswert gewesen, alles oben Beschriebene hat in etwa so einen Neuigkeitswert wie Meldungen zur aktuellsten Ausbauvariante der Königsbrücker Straße.
Vielen Dank für den Hinweis, der Rechtschreib-Fehler wurde behoben.
das flugglas wird nicht erst gefangen sondern wie auf der jagt nach dem heiligen gral zuvorkommend präventiv dem pöbel entzogen – zumindest im normalfall.
kein Kommentar
Ali
Philine, nimm doch mal an einem geführten Neustadtrundgang bitte teil.
ist ein gutgemeinter Rat, dein Ali
die alaune hat viel mehr zu bieten als pissoir, scheune, cafe100. was ist mit den traditionellen Läden? Cathys? usw? zu wenig umfangreich für diese umfangreiche Straße… Kannst Du besser, Philine.
sie konnte es noch nie richtig, leider.
Irgendwie ist das irritierend. Schreibt Philine umfangreich, wird gemeckert, fasst sie sich kurz, wird auch genörgelt. Ich lese die Geschichten gerne.
@Antonstädter: Was genau willst Du eigentlich? „fundierte geschichtliche Anmerkungen“ oder Meldungen mit Neuigkeitswert.
„@Antonstädter: Was genau willst Du eigentlich? “fundierte geschichtliche Anmerkungen” oder Meldungen mit Neuigkeitswert.“
Ich behaupte ja mal ganz dreist, dass für das Gros der werten Leserschaft fundierte geschichtliche Anmerkungen zur Alaunstraße sehr wohl einen Neuigkeitswert haben. Wie sieht’s denn aus mit Kuchenloch, Jugendklubhaus „Martin Andersen Nexö“, Kosmos-Kino, Jordan und Timäus oder den noch vorhandenen Resten der Frühbebauung des Neuen Anbaus auf dem Sande an der Ecke zur Böhmischen Straße und im oberen Teil der Alaunstraße? Sicher alles geläufig, oder?
Du hast noch die Zigarrenfabrik Uhlemann im Hinterhaus der 18 vergessen. Und noch viel mehr.
Das sollte ja aber auch kein Geschichtsschreibung werden. Können wir aber bei Gelegenheit gerne mal machen.
Du scheinst dich ja auszukennen. Darf ich dich mal interviewen?
Gruß, Anton
Ich möchte hier sehr gerne Philines subjektive Stimmungsbilder lesen und keine Copy-&-Paste-Wikipedia-Einträge.
Wie wäre es denn, wenn dieses pädagogische Naturtalent Ali Mente mal einen Beitrag beisteuern dürfte. Freue mich schon auf einen geschliffenen, informativen und dennoch unterhaltsamen Artikel… Nur Mut!