Parkscheinlose Pflanzen, Werbeagenturen in Ballsälen und Rettungsringe am Balkon – das muss die Kamenzer Straße sein.
Die Kamenzer Straße heißt wie eine Wurst, hat aber damit, spätestens seit das Buttendorf seine Türen samt plüschiger Wurstmodelle schloss, nichts zu tun. Im Gegenteil: Die Kamenzer Straße wird von der Farbe Grün dominiert. Wo es einst aus Mutters Pfannen dampfte, hat jetzt das Flax, ein veganes Restaurant, seinen Stammplatz. Eine Straßenecke weiter grünt es ebenfalls so grün. Das Grüntal ist so etwas wie der Idealtypus des gemütlichen Bio-Tante-Emma-Ladens, mit frischen Blumensträußchen und Schaukästen für Kunst und Kram am Eingang. Drinnen duftet es nach frischem Brot und Käse – ein unverwechselbarer Geruch, der auch der Biosphäre zueigen ist.
Auch sonst wird die physische und mentale Gesundheit auf der Kamenzer Straße groß geschrieben. Heilpraxen, Feng Shui, Galerie Dreißig und die Naturschutzjugend verdeutlichen die Mentalität der Straße: Achtsamkeit und Verantwortung. Aus Tinas Musikschule wird dazu ein Tusch getrötet. Den Charme der Görlitzer-Parallele machen kleine Lädchen und Ateliers aus, die auch ohne knallige Fairness-Hinweise und offensiv positionierte Biosiegel einen glaubwürdigen Eindruck hinterlassen. Anders auf den benachbarten Straßen herrscht noch intime Viertelatmosphäre – hier gibt es nichts zu sehen!
Eine verborgene Sehenswürdigkeit der Straße befindet sich in der Nummer 19. Das Orpheum war einst ein prächtiger Ballsaal, der seit 2011 von der Werbeagantur move:elevator genutzt wird und nur mit langer Wartezeit unter den gestrengen Augen der Geschäftsleitung besucht werden kann. Als Tanzsaal wurde das Orpheum bereits 1932 geschlossen – wegen Lärmbelästigung. Da ist die Neustadt mittlerweile härter im Nehmen. Neben ratternden Straßenbahnen und grölenden Junggesellenabschieden würde heutzutage ein Ballsaal wohl mit Kusshand begrüßt. Nun, von ersteren ist in der Kamenzer allerdings nicht mehr viel zu spüren, seit Dezember 1948 ist die „Kamenzer“ straßenbahnfrei. Im Laika geht es zwar süffig, aber gemütlich zu und auch das weiter unten angesiedelte Magnolia hüllt sich entspannt in süßliches Shisha-Aroma.
Ein Kleinod der Kamenzer ist das Old Abraham, das israelisches Bier, hausgemachten Humus und Ziegenledersandalen anbietet. Nebenan folgt, von einem pinken Einhorn dekoriert, die Landeszentrale der Piraten. Den passenden Rettungsring dazu findet man auf der gegenüberliegenden Straßenseite etwa 100 Meter weiter. Am Balkon baumelt der orangefarbene Reif und mahnt an apokalyptische Szenarien, wie sie vielleicht der herzlos ohne Parkschein abgeparkte Ficus neben dem Parkscheinautomaten gerade in diesem Moment empfindet.
Weiter oben auf der Kamenzer summieren sich die Schmausoptionen. Törtchen, Sahnehäubchen und Kaffeekränzchen im émoi haben es zu pastellfarbener Beliebtheit gebracht. Gleich im Anschluss findet man die tag2-Bäckerei, die Backwaren vor der Mülltonne bewahrt und zu günstigen Preisen noch einmal zum Verkauf anbietet. Am Bischofsweg hat die Kamenzer Straße noch kein Ende gefunden. Sie lässt das La Cubana links liegen und führt weiter am Alaunpark entlang bis zur Gabelung Bischofswerder Straße/An der Prießnitz.
Die Kamenzer Straße
- Die Straße auf dem Stadtplan von dresden.de
na ja, geht so. Das überschwänglich schwülstige fehlt zum Glück.
Liest sich gut.
Wirbt Old Abrham nicht mit Kamelledersandalen?
ab der 100. Strasse lese ich dann auch nicht mehr.
@Alraune: gefühlt an Deinen Kommentaren war das die 101. Straße. Das heißt: Du liest das jetzt nicht mehr – und vor allem: Du kommentierst das jetzt nie wieder? 1000 Dank! Schlaf gut.
Im Anschluss ans emoi kommt die Bäckerei?
Gibt’s das Nibbs nicht mehr?
Und sonst vermisse ich viele Geschichten bzw. Infos, die Kamenzer hat viel mehr zu bieten!
@FX … als Blaupause des typisch deutschen Bundesbürgers fällt dir wohl nicht mehr ein als zu meckern, oder?
Es ist so öde die Maulereien ständig zu lesen. Macht´s doch mal besser!
@Zählerin … Danke!
noch vor 25 Jahren war die Kamenzer die längste Straße der
Welt :sie reichte vom Stadt Rendsburg bis zum Nordpol (heute
nur noch bis Indien).
Ach ja, das Nordpol.
Wie immer sehr amüsant geschrieben ;)
Allerdings vermisse ich einen netten Kommentar über den freundlichen kleinen Laden von Mustava, der sich trotz dem neu gebauten Netto inc. Kita wacker hält. Ich bin sehr froh dass noch viele Kami- und Sebnitzer Bewohner den Wg zu Ihm finden statt den Konzern nebenan zu unterstützen. Außerdem war einst dort wo nun ein Netto ist eine Brachfläche die von Anwohnern zum grillen und spielen genutzt wurde. Ich fand es etwas schade dass das nicht mit im Artikel stand. Und noch eine Kleinigkeit feht: Unsere berühmten Kami-Katzen! Die haben schließlich sogar ihren eigenen Kalender- und mal im Ernst wo sonst gibt es solche abgebrühten Tierchen, die sich von dem Hochaufgebot an Hunden einfach nicht imponieren lassen?! Respekt! Kami-Katzen <3