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In dubio pro Leo

Das gepflegte Abstürzen in dunklen Kaschemmen war und ist ein beliebtes Thema bei Neustädter Kneipengängern. Wurde auch im Neustadt-Geflüster hin und wieder thematisiert. Nun bricht Gastautor Cornelius Pollmer eine Lanze für einen beherzten Besuch in Leo’s Bierstube auf der Rothenburger Straße.

Nie ein Bier allein.
Nie ein Bier allein.
Als ich jung war, jung im Sinne von regelmäßig betrunken, da habe ich geliebt, was andere die Gosse nannten. Wenn Freitag war, Freitag im Sinne von endlich, da stieg ich hinab, von diesem mit Altbauten bewachsenen Hügel, den andere für einen bürgerlichen Stadtteil hielten. Wenn ich im Tal ankam, Tal im Sinne von Weißeritz, da fühlte ich mich bereit für die Nacht.

Wir begannen meist im Recken, weil es dort ein gutes Bauernfrühstück gab, gut im Sinne von billig. Dann ging es weiter ins Plauener Stübchen, wo Stefan* sich einmal das Bier direkt in den Mund zapfte, weil der Wirt selbst zu rund war, um noch Runden zuzustellen. Vom Stübchen eierten wir oft zum grand final in den Zapfhahn, wo es nie Spargelwochen oder Tagessuppenquatsch gab und nur selten eine Happy Hour. Im Zapfhahn war man nicht happy, das aber offensiv. Was von einem Gast hier erwartet wurde, das verriet schon die draußen im Leuchtkasten annoncierte Rabattaktion für Halbliter-Biere: Trink 12, zahle 11. Damit konnten wir natürlich arbeiten.

Vor ein paar Jahren bin ich in die Neustadt gezogen, natürlich die Äußere, und weil es hier an jeder Ecke glüht und gurgelt, schäumt und spritzt, gilt für mich derselbe Grundsatz wie für alle anderen in der Neustadt trinkenden und lebenden Menschen: Warum in der Ferne saufen, wenn die Bude liegt so nah?

Ist ja auch wirklich immer was los. Im Laika** retten die Jusos jede Nacht die SPD, aber wie genau das funktionieren soll, weiß am nächsten Morgen dann leider wieder keiner. Im Blumenau sitzen verlässlich diese Wir-kennen-uns-aus-der-Schule-Mädchen, eine ist zum Studium weg, und nun treffen sie sich zwei Mal im Jahr, um sich von ihren identischen Leben zu erzählen: Bachelor war stressig, Vertiefung jetzt super, zum Praktikum dann bald nach Düsseldorf, und mit Pascal ist es leider nichts geworden, aber naja. Im Trotzdem verdichten all jene Filzköppe ihre Atemwege, die glauben, ein mittelgroßer Tunnel und Nichtstun seien schon Punk. In den BBCs in der Alaun- und Louisenstraße glühen die stilbewusstlosen Plastikidioten vor, im Paradox nagen traurige Exilrheinländer an Kölschmetern, undsoweiterundsofort. Damit wir uns bitte nicht falsch verstehen: Ich finde das alles großartig. Aber es fehlte etwas. Fehlte im Sinne von: bis vor kurzem.

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Worauf ich hinaus will, ist das, wo ich eigentlich nie hinein wollte:

Leo’s Bierstube

An welchem Wochentag ich das Leo’s kennengelernt habe, weiß ich nicht mehr, das schon mal als Cliffhanger. Ich weiß aber noch, dass mein Kumpel Frank und ich vor dem schon vollen Hebedas standen, dass wir ein bisschen ratlos die Rothenburger runtergingen und vor dem Leo’s kurz stoppten. Wir schauten einander in die Augen, zwei Sekunden, dann: Schulterzucken. Warum denn eigentlich nicht? Tür auf, rein, und ich wusste sofort, dass ich hier wiederfinden würde, was ich so lange vermisst hatte: herrliche Gosse.

Ich ging als zweiter durch die Tür, das war mein erster Fehler. Frank machte nach der Schwelle einen schnellen Seitenschritt und ließ mich im High Noon zurück. In der Gegenrichtung wankte mir ein Riese entgegen, Haare überall, ein Wolfsmenschenwolf, der Hannibale von Rothenburg. Der Riese war offenkundig schon in der zu vielten Runde angekommen, aber noch nicht an seinem Tisch neben der Tür. In seinen bemerkenswert warmen Augen sah ich den ehrlichen Wunsch, mir ausweichen zu wollen. In meinen bemerkenswert geweiteten Augen muss der Riese das Wissen gesehen haben, dass es dafür natürlich zu spät ist. Der Riese riss das Ruder rum, aber es war wie bei einem dieser Containerschiffe, da musst Du auch schon in Uruguay einschlagen, wenn Du bei Feuerland rechts abbiegen willst.

Abstürzen in Kaschemmen: Biere soll man nicht zählen.
Biere soll man nicht zählen.

Der Riese touchierte mich nur, wie durch ein Wunder, ich drehte einen Dreiviertelkreis, blieb stehen, schüttelte mich. Trotzdem, ein Verkehrsunfall, wir hätten nun die Polizei rufen müssen oder wenigstens die ARAG, aber wir waren im Leo’s, also lächelten wir. Der Riese plautzte auf seinen Stuhl, ich ging mit Frank an den einzigen freien Tisch in den schmalen Gang vor dem Klo.

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Die Bedienung kam erst nicht, wir besoffen uns behelfsweise an dem, was hier zu sehen war, und das war eine Menge. An der Bar bahnte sich gerade eine komplizierte Dreiecksgeschichte an, spitzer Mann plus zwei Gleichschenklige, haha, beziehungsweise hoppla! Er nämlich: ausgemergeltt, waschblaue Säuferjeans. Sie nämlich: zwei Amazonen im dritten Frühling. Der Mann schmuste im Wechsel und nach geheimem Muster mit den Amazonen, und das Schmusen wurde immer dann zur Engtanzparty, wenn es wieder lief. Es im Sinne von „Rot sind die Rosen“, Semino Rossi. In der ersten Stunde im Leo’s erröteten die Rosen alle zehn Minuten, es war, als stünde Hildegard Knef endlich im verdienten Regen. Und immer, wenn es lief, schaltete die Saufkundschaft im Leo’s um, von Standby auf Zappling. Alle übervoll, alle übervolljährig, alle voll heiter. Es war fremd, es war schön.

Irgendwann kam sie dann doch, nennen wir sie Rita. Ich kannte Ritas Namen nicht, vielleicht hatte sie ihn selbst gerade nicht im Angebot. Rita lief unseren Tisch mehr an als dass sie zu ihm gelaufen wäre. Rita lief ihn an wie bei diesem Kinderspiel, bei dem man erst lange im Kreis gedreht wird und dann eine Linie entlangschnuren soll. Rita lief unseren Tisch also an, ihr Greifarm ankerte an der Tischkante, in stabiler Schrägstützlage kam sie schließlich zum, na ja, Stehen.

    Wir so: Schön‘ guten Abend!
    Sie so: Waaasdarfsnnnnseinhicksmeiiinejunnngs?
    Wir: zwei Bier, bitte!
    Sie: Nicken. Und ab.

Das Bier kam, schnell ein zweites, bald hörten wir auf zu zählen. Zwischen den Rote-Rosen-Regenschauern zwängten sich Druffis und Suffis an unserem Tisch vorbei. Wir so: Und, läuft’s? Die so: Nu, warm de Beene runner.

Als die Druffis und Suffis vom Klo kamen, stoppten die meisten kurz bei der Herbstblonden am Spielautomaten. Sie legten ihre Hände auf ihre Schultern, sie bierhauchten ihr ein paar wolkigwarme Worte ins Ohr, die Spielende lachte auf. Sie lachte auf wie man nur auflacht, wenn man 40 Jahre großes Karo geraucht hat, ohne Filter.

Stunden strichen dahin, der Wolfsmenschenwolf konnte zwischenzeitlich wieder gerade gehen, dann abermals nicht, das Bar-Dreieck verzog sich in einen separaten Winkel, kam aber wieder. Rita drehte weitere Runden in ihrem Reenactment des Dinner for One, vor dem Klo erzählten Witze von Männern Männerwitze. Weitere Stunden strichen dahin.

Es gab keine Zeit im Leo’s. Zeit im Sinne von Minuten, Stunden, Jahrmillionen. Wir waren im Leozän, einen herrlich gedehnten, verdrehten Moment lang, in dem alles immer wieder von vorn und immer wieder gleich passierte, nur noch betrunkener. „Rot, rot, rot, sind die Rosen“. I never beg your pardon, I promise you a rose garden.

Irgendwann, es muss 3 Uhr gewesen sein oder auch ein Mittwoch, entließ der Löwe uns aus seiner Höhle. Das Bier stand uns bis zum Kiefer, die Packung war leergeraucht, das Herz voll Liebe für diesen traurigen Laden. Wir kniffen unsere Augen zusammen und schauten noch einmal hoch zum Leuchtschild: „Leo’s Bierstube“. Wir versprachen, bald wiederzukommen.

Wir sind natürlich nicht wieder gekommen, darum geht es auch gar nicht. Es geht darum, dass dieser Abend genau so abgelaufen ist, wie ich das erzählt habe. Genauso im Sinne von: Es kann auch komplett anders gewesen sein.

    * Name von der Erinnerung geraten.
    ** Jaja, Weltraumhündin, feminin und so. Aber selbst die Leute aus der Laika schreiben auf die Kreidetafel, was denn im Laika so los sei. Grundgesetz, Artikel eins: Barfrau und Barmann haben immer recht.
  • Ein Gastbeitrag von Cornelius Pollmer (Äußere Neustadt) – Neues von ihm gibt es regelmäßig auf Twitter.

10 Kommentare

  1. Zwei Fragen vom Klugscheißer:

    1. Hat der Autor vor kurzem etwa „Der goldene Handschuh“ von Heinz Strunk gelesen?

    2. Warum gibt es 12 Jahre nach der Veröffentlich von „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“ eigentlich immer noch Läden mit einem Idiotenapostroph im Namen?

  2. na, das wird die Gentrifizierung bald regeln! Das stört doch unsere Kinder beim chinesich Unterricht tanzen ;-))

  3. Traumhaft dieser Text!!!! Ich fühle mich zurück versetzt in alte Erinnerungen, als mich und meine Kumpels nach den neustadt Abendenden und unseren studentischen sogenannten „verlängerten Wochenendenen“ (Mittwoch bis Sonntag), die huschhalle der drei Kaiser Hof (von uns liebevoll kaisi genannt) oftmals (alias ein (höchstens ein zweites) mal) gerne in seinen Bann zog… Der Text hat mir durch und durch ein dickes schmunzeln ins Gesicht geschickt, wunderbar metaphorisch und an gute-zeiten-zurück-denklich geschrieben!!!!

  4. Vermutlich weil Sebastian Sick nicht der Hüter der deutschen Sprache ist und man seinen Einfluss nicht überschätzen sollte. Soweit ich weiß „erlaubt“ der Duden mittlerweile bei Personennamen ausnahmsweise den „Deppenapostroph“

Kommentare sind geschlossen.