Knirsch. Mit einem glatten Schnitt ist das Kabel durchtrennt. Ich spüre, wie mein Puls wieder Normal-Niveau erreicht. Der nette Mensch grinst mich an: „Das war alles? – War doch kein Problem.“ Ich will ihm was geben, aber er wehrt ab. „Das nächste Mal kommen Sie einfach zu uns, das passt schon.“
Noch eine halbe Stunde zuvor habe ich geschimpft und verzweifelt das platte Land verflucht. Kein Bus, kein Boot und die nächste S-Bahn-Station zwei Fußmarsch-Stunden entfernt. Dabei hatte alles so prima angefangen. Am kunterbunten S-Bahnhof Bischofsplatz sind wir mit den Fahrrädern in den Fahrstuhl gekrabbelt. Dann enterten wir den Zug in Richtung Meißen. Von dort sollte es mit dem Drahtesel weiter gehen. Ja, ich weiß, andere fahren die ganze Strecke auf dem Hinterrad und mit einer Hand, aber es sollte ein Ausflug und kein Sportereignis werden.
In Meißen angekommen ging es ab auf den Elberadweg. Der riesige Parkplatz daneben war gut bestückt. Und fast an jedem Auto ein Fahrradständer. Während die KFZ-Piloten noch hantieren, sitzen wir schon im Sattel. Das Ziel Diesbar-Seußlitz, Spargel, Schnitzel und Schieler. Letzterer ist ein Wein aus roten und weißen Trauben, es gibt ihn so nur in Sachsen und er wird eiskalt serviert. Genau richtig nach einer Fahrrad-Tour.
Angekommen in Lehmann’s Seußlitzer Weinstuben, schließen wir die Räder an und freuen wir uns über ein freies Plätzchen, denn die sind rar gesät. Am Nachbartisch klagt der Wirt gerade: „Und wo seid ihr, wenn es regnet?“ Dann lacht er und signalisiert, es soll ein Scherz sein. Das Essen schmeckt, der Schieler noch besser. In Gedanken sind wir schon auf dem Rückweg. Für die zwölf Kilometer haben wir ein knappes Stündchen gebraucht, Ausflugstempo eben. Ein Blick aufs Handy, die S-Bahn fährt aller halbe Stunde zurück. Wir sollten langsam los. Noch ein paar Fläschchen einpacken.
Doch dann fällt meiner Begleiterin das Gesicht zusammen. „Du, ich habe, … der Schlüssel.“ In meinem Kopf rattert es wie in einem alten Uhrwerk. Das Fahrradschloss – ein Schnappschloss, dass hatte ich geöffnet eingepackt. „Oh!“ entfleucht es mir. Panik. Ein Blick auf den Busfahrplan – ja, in einer und ner Dreiviertel Stunde wieder. Zum Kellner. „Bolzenschneider? – Nee, aber ich ruf mal meinen Bruder an, der hat ’ne Flex.“ – Erste Erleichterung. Da muss doch was gehen. Der Kellner kommt zurück. „Ich erreiche ihn nicht.“ Er weiß nun auch nicht mehr weiter.
Rumsitzen, warten auf den Bus – das wird zu knapp. Zu Hause warten Kinder. Freunde, Verwandte anrufen, aber irgendwie sind alle ausgeflogen, sonst wo hin. Kein Wunder bei dem Wetter. Also Fußmarsch. Dann die Idee mit dem Daumen. Der erste Wagen braust direkt vorbei. Doch schon der zweite stoppt. Ein Lieferwagen. „Nach Meißen? – Muss ich nicht hin. Aber hüpft rein, ich bring euch.“
OK!
Drinnen erzähle ich meine Geschichte. Der Fahrer hat eine weiße Jacke an und auf dem Wagen stand auch irgendwas mit Wein. Er lacht: „Na klar hab ich ’nen Bolzenschneider. Habt ihr noch ein bisschen Geduld, ich muss erstmal Spargel holen.“
Gut.
Wir fahren nach Nieschütz zum Spargelfeld. Inzwischen hab ich rausgefunden, wer uns chauffiert, ein Mitarbeiter vom Weingut Jan Ulrich. Die Spargelkisten sind verstaut, zurück geht’s zur Werkstatt und mit Bolzenschneider dann zu Lehmann’s. Die anderen Gäste gucken ein wenig komisch, als der Mann mit der weißen Jacke recht theatralisch das Schloss zerschneidet. Aber keiner erhebt Einspruch und wir schnappen unsere Räder und düsen zurück nach Meißen.
In der ganzen Hektik haben wir natürlich überhaupt keinen Blick mehr auf den Fahrplan geworfen. Besser so, denn als wir auf dem Bahnsteig ankommen, rollt die S-Bahn gerade ein. Während die Landschaft an uns vorbeifliegt, wächst das Grinsen im Gesicht. Ich guck‘ meine Begleiterin an: „Und nächste Woche geht’s nach Bad Schandau.“
- Weitere Infos zur S-Bahn unter: www.sbahn-dresden.de