Anzeige

Archiv der Avantgarden - Der Wandel wird kommen

Mit dem Karussell nach St. Petersburg

Es regnet aus bleigrauem Himmel und eigentlich hätten mich heute keine dreißig Wolgaschlepper aus dem Bett bekommen. Doch der vielbeschäftigte Dmitri Jampolski, Vorstandsvorsitzender des Club St. Petersburg e.V. und Besitzer des russischen Spezialitätengeschäftes Karussell erwartet mich. Im Dezember ist er das zehnte Jahr am Bischofsweg ansässig – so war das ursprünglich gar nicht geplant…

Im Lebensmittelgeschäft Karussell gibt es auch deutsches kulinarisches Kulturgut. Sternburg zum Beispiel.
Im Lebensmittelgeschäft Karussell gibt es auch deutsches kulinarisches Kulturgut. Sternburg zum Beispiel.
Dmitri Jampolski empfängt in dem kleinen Büro hinter dem Ladenraum. Eine Dame wuselt herum und redet russisch auf Jampolski ein, der mit geneigtem Kopf hinter dem Schreibtisch sitzt. Dann verschwindet sie winkend mit tropfendem Schirm durch die galant aufgehaltene Tür. Wieder hinter dem Schreibtisch, reicht mir Herr Jampolski eine Visitenkarte, von der er vorher die mittlerweile ungültige Adresse des Club St. Petersburg sorgfältig mit Bleistift streicht. Die E-Mail-Adresse und sein Name bleiben stehen. Denn bevor der offizielle Vereinsraum ins Karussell zog, befand er sich auf der Hechtstraße. Jetzt hat der Zuspruch nachgelassen, das kleine Büro im Karussell reicht aus. Engagiert bleibt Jampolski weiterhin – er ist Herausgeber des Blattes „Meine Zeitung“ in russischer Sprache und übersetzt Dresdner Annoncen ins Russische, die in Form eines Kataloges erscheinen. Ausdauernde Kultur- und Verständigungsarbeit.

In St. Petersburg arbeitete Dmitri Jampolski als Flugzeugingenieur und Fotograf, bevor er mit 50 Jahren mit seiner Frau nach Dresden kam. Das war 1998. Verein und Zeitung reichten für den Lebensunterhalt nicht aus und Jampolski entschloss sich, ein Geschäft zu eröffnen. Dass er gerade in der Neustadt landete, verdankt er Friseurmeisterin und Nachbarin Alina. Sie wollte eigentlich nur eine Anonnce in Jampolskis Zeitung schalten – und konnte ihm schließlich für sein Ansinnen den Raum in dem sonst komplett leerstehenden Haus empfehlen. Der Münchner Vermieter verschiebt den Abriss des Hauses seit einer Dekade jährlich um ein Jahr – im selben Rhythmus, in dem Jampolksi seinen Mietvertrag verlängert.

Als Begleitung mit aufs Foto durfte Musik-Stehaufpuppe Nevaljashka
Als Begleitung mit aufs Foto durfte Musik-Stehaufpuppe Nevaljashka
Jampolski erinnert sich, wie er mit dem Verein die russischen Wochen in Elbepark und World Trade Center unterstützte. Die Städtepartnerschaft zwischen Dresden und St. Petersburg ist für ihn keine Floskel – er will den zwischenmenschlichen Kontakt in der Bevölkerung aufrecht erhalten, auch wenn das politische Verhältnis zwischen Deutschland und Russland angespannt ist. Die Neustadt sagt er, trage nicht umsonst den Namen Bunte Republik, auch außerhalb des Festes. „Ich denke, es ist der richtige Name des Stadtteils. Hier können wir unterschiedliche Sprachen sprechen und uns trotzdem verstehen.“ Er pflegt eine gutes Verhältnis zu den internationalen Nachbarn: dem Bailamor, Alina, dem Tô und Arjun. „Wir sind alle Neustädter.“ In sein Geschäft kommen die Stammkunden mit Hausschuhen. „Ich beobachte, wie lange die Menschen hier bleiben und sprechen“, sagt Jampolski. Im Karussell hat die Bedienung Zeit.

Anzeige

Agentour

Anzeige

Kreuzretter für die Rückengesundheit

Anzeige

Yoga Retreat

Anzeige

Schramm Möbelmanufaktur

Anzeige

tranquillo

Anzeige

Advenster.org

Anzeige

Lange Nacht der Angst im Hygiene-Museum

Anzeige

Archiv der Avantgarden - Welten Bauen. Visionäre. Architektur im 20. Jahrhundert

Anzeige

Blitzumzug

Anzeige

Villandry

„Das wichtigste für die Zukunft“, sagt Jampolski, „sind internationale Kindergärten. Dort beginnt die Toleranz.“ Stolz ist er auf die Authentizität seiner Produkte. „Echtes Moskauer Eis gibt es nur im echt russischen Geschäft.“ Birkenwodka und handgefertigte Pelmeni, Zopfkäse, Kaviar und russisches Bier – die Liebe zu Russland geht im Karussell durch den Magen. Und was, wenn das Haus doch abgerissen wird? Dmitri Jampolski antwortet: „Mein Sohn sagte zu mir: Papa, in zwei Jahren bist du 70. In zwölf Jahren bist du 80 – noch besser! In 22 Jahren bist du 90 – noch besser!! Und in 32 Jahren bist du 100 – noch besser!!!“ Er schaut nachdenklich. „Ich kann nicht lange im Voraus planen“, sagt Dmitri Jampolski. „Gottseidank bin ich gesund. Jede Woche mache ich die Zeitung, jeden Tag den Laden, zweimal in der Woche Lieferung.“

Karussell – Öffnungszeiten und Informationen

  • Russische und Deutsche Spezialitäten
  • Bischofsweg 16, 01099 Dresden
  • Telefon: 0351/1608572
  • täglich 10 bis 22 Uhr, außer sonntags

2 Kommentare

  1. Abriss? Schocken tut einen sowas aber auch nicht mehr. Weiß man schon, was für hochwertige Bausubstanz im Anschluss dort hin soll?

  2. Die Abriss-Pläne würde ich nicht so ernst nehmen. Das Haus steht unter Denkmalschutz. Und so leicht wie Anfang der 90er beim gegenüberliegenden „Aktiv“-Ballsaal gibt die Behörde heute nicht mehr nach.

    Im Hof sieht es dort übrigens auch sehr hübsch aus.

Kommentare sind geschlossen.