Gestern Abend fand im Kleinen Haus die öffentliche Generalprobe zum Stück „89/90“ nach dem Buch von Peter Richter statt. Am Sonnabend ist Premiere. Ich habe mir das Stück mal angesehen. Hier der Versuch einer Kritik.
Die Musik war super. Hervorragende Idee, die Band Dÿse in das Stück einzubauen. Glaube, das hätte Peter Richter auch gefallen, auch wenn er mir neulich schrieb, dass er sie noch nie gesehen hat. Die beiden, Andrej Dietrich und Jarii van Gohl, haben mit ihrem erfrischenden, krachigem Sound zumindest dem ersten Teil bis zur Pause einen ordentlichen Drive verpasst. Die Idee, Richters Ausschnitte aus dem Buch in der Gruppe vorzutragen war auch super. Das ganze hatte bis etwa zur 70. Minute wenig von klassischem Theater, eher etwas von poetry slam mit Rock-Musik-Begleitung.
In meinen Augen passt das hervorragend zu Richters schnoddrigem Tonfall im Buch und vor allem auch zu der schoddrigen Leichtigkeit eines 15-Jährigen in der Wendezeit. Soweit so gut. Da hat sich die Schweizer Regisseurin Christina Rast eine fetzige Inszenierung ausgedacht, die mir bis dahin vielleicht etwas lang, aber dennoch spannend vorkam.
Bis dann leider die unsägliche Kohl-Szene kam. Die älteren werden sich vielleicht noch erinnern, der Einheits-Kanzler war im Herbst ’89 mal an der Frauenkirche und sprach zu seinen Freunden und Landsleuten. Die so betitelten tummelten sich mit Stone-Washed-Jeans, Deutschlandflaggen und Vokuhila- bzw. Dauerwelle-Frisuren und jubelten dem Wohlstandsbringer zu. Naja, nicht alle. Peter Richter zum Beispiel gehörte nicht dazu, im Buch beschreibt er die Rede und den Ärger mit Kurzhaarigen auf kurzweiligen vier Seiten. Hätte man auch auf der Bühne hübsch darstellen können, stattdessen wurde monologisiert und das zog sich.
Nun war ich froh, dass die Pause kam, freute mich auf die zweite Hälfte. Da schreibt Richter über die Zeit, in der ich ihn kennengelernt hatte, als wir gemeinsam als Hausbesetzer mit dem Schwarzen Schaf in den Aufschwung Ost investieren wollten. Im Buch stehen die aufregenden Episoden dieser Zeit. Ich freute mich auf ein Feuerwerk, Krawall, viel Musik und… Naja, die Regisseurin hat das wohl irgendwie anders verstanden.
Nix mehr mit poetry slam – jetzt war das hier wieder richtig Theater mit jeder Menge inhaltsschwerem Monolog. Ich war dann am Ende ein bisschen enttäuscht. Vielleicht funktioniert das Stück aber für Besucher, die diese wilden Monate vor nun schon mehr als einem Vierteljahrhundert nicht oder aus größerer Distanz erlebt haben.
Im DLF heute nachmittag schön beschrieben:
http://www.deutschlandfunk.de/theaterauffuehrung-von-89-90-ein-blick-in-die-zeit-des.691.de.html?dram:article_id=364293