Im Gegensatz zur Wanduhr steht die Zeit in der Werkstatt des Geigenbaumeisters Christoph Eulenhaupt nicht still. Sie scheint nur langsamer zu laufen. Das mag daran liegen, dass der Meister sie großzügig dosiert, denn er braucht sie reichlich und in guter Qualität. Das dehnt und breitet sie aus. In den historischen Instrumenten, den alten Holzschränken, den traditionellen Werkzeugen an seinem Arbeitsplatz wird sie greifbar.
Christoph Eulenhaupt ist Instrumentenbauer, Orchestermusiker („Musik zu spielen gehört zu meinem Selbstverständnis“), handwerklicher Historiker und Musiklehrer. Seine Werkstatt hat er auf der Martin-Luther-Straße 8, wo man ihn für gewöhnlich hinter erleuchteten Fenstern bei der Arbeit sieht. Der geborene Stuttgarter interessierte sich schon mit zwölf Jahren für den Bau von Instrumenten.
Das, vermutet er, war familiär bedingt, denn in seinem Umkreis wurde viel Musik praktiziert. Bevor er seine Ausbildung zum Geigenbauer in Cambridge und Markneukirchen aufnahm, absolvierte er eine Tischlerlehre, die ihn „nicht ganz erfüllte.“ Also wurde er Orchestermusiker: Kontrabass. Mit den Orchesterfusionen Ende der 90er, Anfang der 2000er wurde der Verdienst dort ein hartes Pflaster. Eulenhaupt wandte sich mehr seiner Berufung als Geigenbauer zu.
Eine Geige braucht 200 Stunden
Das Holz, das Christoph Eulenhaupt für seine klingenden Werkstücke sägt und behutsam in Form biegt, braucht ‚innere Ruhe‘. Getrocknet sind die dünnen Holzplatten, aus denen er die Corpora der Violinen, Bässe und Celli fertigt, recht schnell. Aber Spannungsruhe, das heißt, das nachlassende Bedürfnis der Fasern, bei Temperatur- oder Raumfeuchte-Änderungen anzuspannen und aufzuspringen, tritt erst nach vielen Jahren ein. Instrumente und Menschen sind sich sehr ähnlich … Geeignetes Holz wird Tonholz genannt. „Dieses“, sagt Eulenhaupt und zeigt auf eine leicht wellige Platte mit den aufgezeichneten Konturen eines Basses, „trocknet seit zehn Jahren. Der Baum muss riesig gewesen sein.“ In Eulenhaupts Instrumenten steckt viel Zeit. Wachstum des Holzes, Lagerung, Bearbeitung – wobei letzteres den kleinsten Anteil in Anspruch nicht. Etwa 200 Stunden dauert es beispielsweise, bis eine Geige fertig gestellt ist.
Herr Eulenhaupt spricht langsam und mit Bedacht, als ertönte in ihm statt Worten eine Melodie, die er erst für Außenstehende übersetzen muss. Das weiche Licht im Raum spiegelt sich auf der Politur von Bratschen und Violinen, die in verschiedenen Arbeitsstadien an der Wand warten. Sie alle haben eine Farbe wie Honig: von goldenem Raps bis zu sirupdunkler Tanne. Eulenhaupt lackiert sie mit Naturölen und -harzen. Lerchenterpentin, Schelllack, Bernsteinpulver und Leinöl. Schicht um Schicht, bis das Holz sich satt gesogen hat. Wichtig dabei ist, die natürliche Maserung nicht zu überdecken.
„Noch tiefer graben“
Auf dem Arbeitstisch liegt der Corpus eines weiteren Instruments – einer Gitarre, vermute ich. Doch es handelt sich um eine Viola da Gamba, kurz Gambe genannt. Eulenhaupts Interesse für historische Musikinstrumente weckte ein Freund und Hochschulprofessor für Barockcello während seiner Ausbildung in Markneukirchen.
Mit Akribie und Forscherdrang widmet sich der Geigenbauer dem Bau und der Reparatur alter Instrumente und findet auch so manchen Notenschatz. „Teilweise werden in der Alten Musik 200 bis 300 Jahre alte Stücke wieder zum Leben erweckt, die erst einmal gespielt wurden“, sagt Eulenhaupt. Das fasziniere ihn, obwohl sich so alte Stücke bei ihm in der Werkstatt nicht finden. Durch die Arbeit wird er zum Zeitreisenden. „Man kann immer noch tiefer graben.“ Welche berühmten Saiten ihm schon unter die Finger gekommen sind? Eine Stradivari natürlich. Und, wie fühlte sich das Spielen an? „Natürlich ist viel Mystik dabei und hat viel mit Erwartung zu tun. Es ist wie mit der rosaroten Brille beim Verliebtsein.“ Aber – verliebt ist eben verliebt.
Geigenbaumeister Christoph Eulenhaupt
- Martin-Luther-Straße 8, 01099 Dresden, Telefon: 0351 8107444 www.eulenhaupt.de
@Philine
Danke für diesen wirklich wunderschön gebogenen und gedrechselten Text!
Das wäre ein guter Anfangssatz für eine Geschichte!:
„Herr Eulenhaupt spricht langsam und mit Bedacht, als ertönte in ihm statt Worten eine Melodie, die er erst für Außenstehende übersetzen muss.“
Großartig! Der Text insgesamt hat mir viel Freude bereitet! :o)
Christophs Werkstatt ist wirklich ein besonderer Ort. Orte wie diese und Menschen wie Christoph machen die Neustadt lebenswert. Nur schade, dass man so selten eine Viola da Gamba braucht.
Der Text passt so wunderbar zum Thema, es könnte schöner kaum sein. @Urs: Naja, da die Instrumente ja auch erst reifen müssen, macht es ja wiederum nichts, dass man so selten eines braucht…
Wenn ich abends noch mal eine Runde an die Elbe drehe, habe ich gelegentlich das Glück, Christoph Eulenhaupt in der erleuchteten Werkstatt durch die Fenster unbemerkt zusehen zu dürfen. Einfach schön.
Danke, Philine, für diesen wunderbaren Artikel!