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Hinter Gittern

Es war eine laue Spätsommernacht in den wilden 90ern. Ich hatte gerade meine Leidenschaft für Hip-Hop wiederentdeckt und einen Kapuzen-Pulli rausgekramt, heute würde man wohl Hoodie dazu sagen. Dazu ein paar schwarze knöchelhohe Turnschuhe und eine, hoho, fast weiße Jeans. Noch vor wenigen Wochen hätte ich mich vermutlich selbst ausgelacht. Doch nun war die Punk-Frisur ab und neue Zeiten standen bevor.

Dass auf dem Pulli noch ein alter Anarcho-Spruch stand und die Jeans hinten mit ‘nem „Nazi-Banden-Zerschlagen“-Aufnäher repariert war, geschenkt. Ich fühlte mich frisch verwandelt, stapfte los. In der Scheune sollten einige angesagte Rapper auftreten.

Noch 2011 war die alte Sauerkrautfabrik eine Ruine.
Noch 2011 war die alte Sauerkrautfabrik eine Ruine.
Doch zuvor musste ich noch einen kleinen Umweg nehmen. Auf der Martin-Luther-Straße war vor ein paar Tagen ein altes Fabrik-Gebäude besetzt worden. Die Staatsmacht erlaubte keine Fisimatenten mehr und räumte zügig. Heute nun sollte es eine spontane Solidaritätsbekundung geben.

Nun hatte ich zwar die optische Verwandlung vom Punk zum Hip-Hopper hinter mir, doch das immer noch jugendlich-rebellische Herzchen glühte weiterhin für die Hausbesetzerbewegung. Auch wenn der alte Sponti-Spruch: „die Häuser denen, die drin wohnen“ hier so gar nicht passte. Denn hier, in der ehemaligen Sauerkrautfabrik, hatte eigentlich nie jemand gewohnt, außer einem guten Dutzend fetter Ratten.

Dennoch hatten sich auf der Martin-Luther-Straße nun einige Demonstranten versammelt. Klappern war angesagt. Irgendwer drückte mir ein Stück Blech in die Hand, das schepperte schön an meiner Bierflasche. Plötzlich mischte sich lautes Lalü in den Klapper-Krach. Die schmale Straße war ruck-zuck abgeriegelt.

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Nette Herren in Grün, nahmen mir Blech und Bier weg, statteten mich dafür mit adrettem Handgelenkschmuck aus. Die Hände auf dem Rücken zu tragen, ist ganz schön unbequem. Ich wurde in einen Transporter verfrachtet. Da drin waren schon ein paar Leutchen mit ähnlich schickem Metall an den Händen.

Auf einmal fühlte ich mich wie der Großvater der Rebellion. Die wilden Buben hier waren alle vier bis fünf Jahre jünger als ich. Da gerade kein Polizist da war, hielt ich eine kleine Ansprache zum Umgang mit den Polizisten. Freundlich bleiben, empfahl ich, und: nix zugeben. Lasst euch nicht provozieren. Und ruft den Ermittlungsausschuss an. Ich betete die Telefonnummer herunter. Damals in den 90ern, als Handys noch Koffergröße hatten und so viel wie ein Kleinwagen kosteten, damals konnte man sich Telefonnummern noch merken.

Meine Ansprache wurde rüde unterbrochen, ein baumlanger Polizist platzte in unsere Runde.

    „Hinsetzen!“

Der Rebell in mir wurde wach:

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    „Ich will telefo…“

    „Klappe halten und hinsetzen!“

Der Ton war unmissverständlich. Der Knüppel in seiner Hand nicht zu unterschätzen. Stracks verwandelte ich mich vom Reden-Schwingenden Anarcho-Anführer in ein kleinlautes Häufchen Elend.

Rumms. Die Tür war zu und der Transporter rückte ab. Ziel: Schießgasse. Das Polizeirevier in der Altstadt.

Transporter-Tür auf: „Raustreten!“ – der baumlange Polizist muss in seinem früheren Leben Exerzier-Offizier gewesen sein. Wir stapfen mit hängenden Köpfen durch die Nacht, inzwischen ist es dunkel geworden. An der hinteren Seite des Polizeireviers befand sich damals ein architektonisches Kleinod, ein Anbau in feinster Beton-Platten-Optik. Und im Erdgeschoss befanden sich vergitterte Räume. Die sah ich nun zum ersten Mal.

Der Baumlange trennte uns, die jugendlichen Rebellen in die eine Zelle und ich in eine andere. Doch die war nicht leer. Vor mir baut sich ein Kerl auf, kahl geschorener Kopf, dunkelrote Doc Martens, krachend enge Domestos-Jeans*, Bomberjacke, am Hals blitzt ein Tattoo – verdächtig symmetrisch…

Netter Zellengenosse
Netter Zellengenosse

Fortsetzung hier.


  • War früher alles besser? Als kleine Erinnerungsstütze an die frühen 1990er Jahre veröffentliche ich in loser Folge ein paar Geschichten über die wilde Zeit von damals.
  • Alle Geschichten unter #Früher-war-alles-besser?
  • Diese und viele andere Geschichten gibt es auch in gedruckter Form in dem Buch „Anton und der Pistolenmann“.

*Domestos-Jeans: Auch Clorix-Jeans genannt, sind Hosen die mit einem chlorbleichehaltigen Reinigungsmittel teilweise entfärbt wurden. Im Unterschied zu Stonewashed-Jeans, die meist nur kleine weiße Flecken hatten, waren Domestos-Jeans flächiger gefleckt.

5 Kommentare

  1. Anton, Du warst ein Rebell. Teilweise bist Du es immer noch – vor allem bei der Rechtschreibung ;) Anyway, ein so selten gewordenes Wort wie stracks kann man schon mal falsch schreiben.

    Und noch mal Anyway, weil das Wesentliche an dem Bericht für mich nicht die Rechtschreibung ist, sondern: „Die Staatsmacht erlaubte keine Fisimatenten mehr und räumte zügig.“ – Ich frage mich (und vielleicht auch Dich), ob der Dresdner Sheriffsgeist auch damals schon besonders streng gegen linke Positionen vorgegangen ist, strenger als vielleicht in Münster, Berlin oder Leipzig?

  2. Hallo Torsten, vielen Dank für den Hinweis auf das fehlende „c“, werde das bei Gelegenheit nachreichen. Übrigens, das Wörtchen schnurstracks erfreut sich jedoch ungebrochener, wenn auch auf niedrigem Niveau, Beliebtheit.

    Aber bitte, dies ist kein Bericht. In der Rubrik Kolumne erlaube ich mir durchaus die eine oder andere dichterische Freiheit. ;-)

    Bzgl. der Nachfrage zum Thema „Freundlichkeit von Polizisten gegenüber Linken in anderen Städten“ kann ich nur sagen, dass die Berliner Kollegen den Dresdnern in negativer Hinsicht da weit voraus waren. Zur Situation in Leipzig oder gar Münster liegen mir keine persönlichen Erkenntnisse vor.

  3. ooohhhh….Danke—geilo—dieser Bericht-diese Saga-Anekdote-Geschichte–und da werden fehlendende Buchstaben gezählt-unbekannte Wörter reklamiert….mehr davon(schadedasichsowasnichterlebthabe,ichNormalo)

    ich freu mich schon auf die Fortsetzung,sauge die kurzweiligen Sagas von früher förmlich auf !!

    grussi…….

Kommentare sind geschlossen.