Was bisher geschah: In einer lauen Septembernacht hatte ich mich auf einer Hausbesetzung-Sympathie-Demonstration beim Krachmachen erwischen lassen und war eingefahren. Die netten Polizisten hatten mich in einer gemütlichen Gemeinschaftszelle untergebracht. Leider nicht mit den anderen Demonstranten, sondern mit ein paar haarlosen Muskelmännern.
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„Bist’n Du für Einer?“
Der Riese vor mir starrt mich an. Wieso waren die Neonazis eigentlich immer so viel größer und kräftiger als ich? Aber offenbar hat er ein Zuordnungsproblem. Meinen Anarcho-Spruch auf dem Kaputzen-Pulli kennt er wohl nicht und meinen „Nazis-Raus“-Aufnäher auf der Hose hat er noch nicht gesehen.
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„Weshalb bist’n hier drinne?“
Er knackst mit seinen Händen. Stiert mich an. Er versucht seine Stirn, die bis zum tätowierten Nacken reicht, in Falten zu legen. Aber vermutlich denkt er nicht so oft, alles bleibt glatt. Was soll ich nur sagen? Seine Kumpels bleiben im Hintergrund.
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„Das ist ‘ne Zecke, sieht man doch!“
Ein kleiner Schmieriger, mit Scheitel und schwarzer B-Jacke ist es, der das sagt.
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„Bist Du ‘ne Zecke?“
Die Stimme des Riesen wird bedrohlich leise. Jetzt dehnt er seine Arme. Die Jacke verrutscht. Ich sehe die SS-Runen an seinem Hals. Die Schlagader pulsiert bedrohlich. Weiter zurückweichen kann ich nicht. Das Gitter drückt schon im Rücken. Er kommt näher, ich spüre den Atem. Die Knie sind butterweich. Dann geht er einen Schritt zurück. In Erwartung der brutalen Faust schließe ich die Augen – und falle nach hinten um.
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„Was ist denn hier los? – Bleiben Sie zurück!“
Das war knapp. Ein Polizist hatte die Tür geöffnet und ich war aus der Zelle gefallen.
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„Mitkommen.“
Puh. Mir bummert das Herz bis zu den Ohren hoch. Er nimmt die Personalien auf.
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„Gürtel abmachen, Schnürsenkel auch.“
Ich gehorche, aber langsam finde ich den Mut wieder. Was man mir vorwerfe und was nun aus mir wird.
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„Wir helfen Ihnen, sich selbst zu schützen!“
Verstehe ich nicht, aber mit einer Handbewegung bringt er mich zum Schweigen. Alles Weitere würde ich schriftlich erfahren. Die Anzeige wegen Ruhestörung sei schon in Arbeit. Dann schiebt er mich in eine Einzelzelle. Gürtel, Schnürsenkel, Feuerzeug, Tabak und weiteren Kleinkram behält er ein.
Ich mache es mir auf der Pritsche gemütlich, Puls und Adrenalin sind inzwischen auf Normalmaß gefallen. Ruck-Zuck schlafe ich ein.
Rumms. Licht an. Tür auf. Ein neuer Polizist steht da:
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„Rauskommen!“
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„Ich will telefo…“
„Sie können jetzt gehen!“
Da frag ich lieber nicht weiter nach. Fädele die Schnürsenkel ein, schnappe mir meine Gürtel und den anderen Kleinkram und fünf Minuten später schlendere ich am Bärenzwinger vorbei gen Neustadt.
Am Albertplatz zeigt die Uhr auf kurz nach Zwei. Die Sommerzeit war gerade zu Ende gegangen. Die Nacht ist also noch jung. Und tatsächlich, in der Scheune wird immer noch Party gefeiert. Ich schnappe mir ein Bier und suche nach Bekannten, denen ich diese Geschichte erzählen kann. Glauben wird es mir doch keiner.
Nachtrag:
Eine Anzeige wegen Ruhestörung habe ich nie bekommen. Und in der ehemaligen Sauerkrautfabrik wird jetzt tatsächlich gewohnt… Zum Teil sogar von Leuten, die mit den Ruhestören von damals mindestens sympathisieren.
War früher alles besser?
- Als kleine Erinnerungsstütze an die frühen 1990er Jahre werde ich in loser Folge ein paar Geschichten über die wilde Zeit von damals veröffentlichen.
- Alle Geschichten unter #Früher-war-alles-besser? oder in den Büchern „Anton auf der Louise“ und „Anton und der Pistolenmann“
schööööönnn–vor allem „..Stirn, die bis zum tätowierten Nacken..“ ist schön zu lesen……..
Danke….
grussi…….
Der Skin wurde gemeuchelt. Von einem Kärchergangster.Jetzt liegt er auf dem Fussweg der Schönfelder. Ob das jetzt besser ist ?