Ritsch, Ratsch, Klatsch. Mit beiden Händen pappt der junge Mann ein edles in Schwarz und Weiß gehaltenes Plakat an ein Schaufenster. Der Laden dahinter hat schon vor einiger Zeit aufgegeben. Dann plötzlich eine Stimme: „Was machen sie denn da für eine Sauerei.“ Der adrett gekleidete Herr mittleren Alters ist empört und fährt sich mit der linken Hand über den Schnauzbart. „Dieser ganze Dreck hier, anzeigen sollte man sie.“ Der junge Bursche rammt den als Anstreichpinsel missbrauchten Besen in den Kleister-Eimer. „Ach, lassen Sie mich doch in Ruhe, ich mach doch auch nur meinen Job.“ Der adrette Herr will noch etwas sagen, doch die deutliche Drohgebärde des anderen lässt ihn schweigen.
Plakate sind eigentlich überall: An Häuserwänden, Bauzäunen, Schaufenstern, Laternen und sogar an Mülltonnen. Manchmal sind sie ganz trist grau in grau, doch meist kunterbunt und mit dicken Buchstaben übersäht. Na klar, Werbung muss sein. Schließlich soll der gemeine Neustadt-Bewohner wissen, welch tolle Dia-Attraktion wieder im Hygiene-Museum gezeigt wird oder welche Rock-Combo im Striesener Titty Twister aufspielt.
Nun mag sein, dass dies andere Leute interessiert, mich eigentlich nicht. Ich bin immer froh, wenn ich zwischendrin mal einen hübschen Reklame-Zettel für ein Neustädter Ereignis finde. Manchmal zupfe ich sogar tollkühn an den frisch geklebten Postern, um zu sehen, was darunter steht. Nicht dass ich noch irgendeine wilde Party verpasse. Sympathischer sind mir dann aber doch die kleinen Flyer, die eifrige Verteiler unter Auto-Scheibenwischer klemmen. Denn die kann ich mitnehmen.
Die Plakatkleber sind meist auf leisen Sohlen und im Schutze der Dunkelheit unterwegs. Denn sie wissen, dass sie illegal handeln. Zumindest sollten sie es wissen. Obwohl die Gefahr, von der Polizei erwischt zu werden, ist ziemlich gering. Ein Ehemaliger hat mir gestanden, dass die Angst vor der Konkurrenz oftmals größer ist. Denn, wer die Arbeit anderer zerstört, könne schon mal mit einer ordentlichen Tracht Prügel rechnen.
Die Drohgebärde des Plakatklebers ist also nicht zu verachten. Zumal sich unter der Sportjacke des jungen Mannes auch ein ordentliches Muskelpaket abzeichnet. Blitzschnell hat der Herr mit der adretten Kleidung die Gefahr erkannt und zieht von dannen. Als er an mir vorbeikommt höre ich noch leise: „Eine Schande ist das.“
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Anmerkung 2009: Das Titty Twister ist inzwischen schon längst in die Neustadt gezogen.
Anmerkung 2011: Das Titty Twister gibt es inzwischen schon wieder nicht mehr.
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