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Ursula Raschke: „Es war ja alles kaputt“

Die Neustadt ist Kult, Szene und vor allem eines: jung. Doch abseits von Galerien, Clubs, Shops und Party-Trubel leben Menschen mit Geschichten aus einer Zeit, da in Dresden-Neustadt an Szene noch nicht zu denken war. Mit freundlicher Unterstützung der Seniorenresidenz Kästner-Passage stellen wir in der neuen Serie „Memento“ Persönlichkeiten und ihre Viertelgeschichten vor.

"Du musst warten, bis du dran bist"
„Du musst warten, bis du dran bist“

Ursula Raschke wurde im Krankenhaus Friedrichstadt geboren und verbrachte ihr Leben in der Neustadt. Philipp Menzer, Berater der Residenz Kästner Passage, bezeichnet sie als medizinisches Wunder. Nach einem Schlaganfall war ihr Zustand hoffungslos, ihr Haushalt wurde aufgelöst. Jetzt bewohnt sie eine Einzimmerwohnung in der Residenz, die ihre Kinder ihr neu einrichteten. Beim Öffnen der Tür ertönt Vogelgesang: „Das ist mein Alarm!“ Ihre Erinnerung an die Neustadt ist geprägt von den Bombardements 1945.  

Wir hatten erst in Cotta gewohnt und dann bis zum Bombenangriff auf der Lärchenstraße. Dann waren wir ja ausgebombt und sind aufs Land nach Unkersdorf. Wir sind evakuiert worden. Wir waren acht Kinder. Mein großer Bruder war gerade 17 geworden. Der musste auch noch zur Wehrmacht. Und mein Vater, die wurden ja alle eingezogen. Dann haben wir auf dem Land gelebt, bis wir nach Dresden mussten, sonst hätten wir kein Wohnrecht mehr gekriegt. Wir waren Flüchtlinge. Wir sind zurück, aber es war ja alles kaputt.

Da sind wir evakuiert worden auf den Platz oben, Heeresstraße, da sind zwei Türme. Und in so einem Turmhaus haben wir dann eine Wohnung gekriegt und haben dort gewohnt. Bis meine Mutter gestorben ist. Die ist mit 57 Jahren gestorben. (weint) Die war so gut. Acht Kinder großzuziehen und immer da zu sein. Mein Vater nicht da, mein ältester Bruder nicht da… Und dann kam endlich mein Vater aus der Kriegsgefangenschaft, weil wir zu acht waren. Der war bei den Amerikanern gefangen worden in Leipzig. Der kam wieder mit einem Riesen-Seesack voller Wurstbüchsen. Wir dachten sonst was passiert. […]

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Meine Brüder und ich, wir sind Ziegelputzen gegangen in die Trümmer. Die wurden geputzt und aufgeschichtet. Weil das alles wieder gebraucht wurde. Dafür hat man dann eine höhere Lebensmittelkarte bekommen. Wir sind gerne Ziegelputzen gegangen. Wir brauchten jeden Tag ein Vierpfundbrot. […] Das versteht die Jugend heute vielleicht nicht. Wie wir gelebt haben. Und wie wir gehungert haben.

"Dort ist mein Platz. Mein Stuhl, mein Kopfkissen."
„Dort ist mein Platz. Mein Stuhl, mein Kopfkissen.“
In der Neustadt wohnten viele Arbeiter. Das war ja ein richtiges Arbeiterviertel. Gerade dort die Straßen Ahornstraße, Lerchenstraße, Tannenstraße. Das waren ja so kleine Häuser, das ist ja heut noch so. Und die Straße weiter runter, da waren viele Häuser kaputt. Es war ein Volltreffer gewesen auf unser Milchgeschäft, das an der Ecke war, und ein Gemüseladen usw. Das hat es alles getroffen. […]

Damals sind wir auf den Bischofsweg einkaufen gegangen, da war ein schönes Schuhgeschäft. Und auf der Königsbrücker Straße sind wir einkaufen gegangen, da war ein großer Lebensmittelladen. Der hieß Görlitzer. Einmal in der Woche ging es los mit einem großen Fahrradanhänger. Das war alles so familiär, wir waren Stammkunden. Da kriegteste immer ein Bonbon oder ein Bild geschenkt. Das war schon schön. […]

Ich bin dann in der Neustadt geblieben und habe Köchin gelernt. Das bin ich geblieben bis die Wende kam, in der Offiziersschule von Dresden. Ich war gerade 60 geworden, also schon Rentner, und dann haben die mich gebettelt, dass ich noch ein Jahr bleibe, wegen dem Umsturz. Da bin ich dann noch ein Jahr geblieben. Wir haben auf der Marienallee gewohnt, mit meinem Mann und den Kindern, drei Mädels. Und als die aus dem Haus waren, haben wir AWG gemacht und sind auf die Sarrasanistraße gezogen. Dort war ich bis zuletzt, bis ich hierher bin. […]

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Ich wünsche mir jeden Tag: morgen früh stehst du nicht mehr auf. Aber leider geht es nicht so. So ist es eben. Der eine will nicht und der andere möchte. Kann man nichts machen, du musst warten, bis du dran bist. So, ich werde jetzt noch ein bisschen in die Sonne gehen, auf meinen Balkon. […]

Hier wohnt eine Frau, die ist 95 und taub. Aber die ist auf zack. Und ich bin 88. Da denk ich immer, nimm deine Kraft zusammen.

8 Kommentare

  1. Liebe Frau Raschke, mich hat Ihre Lebensgeschichte sehr berührt, und ist sie doch eine von Vielen. Ich möchte Sie drücken und wünsche Ihnen alles Gute und noch viel Kraft und ich freue mich auf noch mehr „Memento“-Geschichten.

  2. Mir fehlen die Worte. Ich möchte mehr solcher Artikel. Und ich möchte mehr von diesen Menschen.
    Meine Großeltern leben nicht mehr. Als sie noch lebten, war ich noch relativ jung. Da hat mich vieles nicht interessiert, andere Dinge hatten mich interessiert. Heute würde ich sie so gern so viel fragen.
    Danke für den Artikel.

  3. Was für eine berührende Geschichte. Danke dafür und gern mehr davon.
    Ich werde den Satz meines Opas nie vergessen, als er zu mir einmal sagte: Nie wieder möchte er einen so roten Feuerhimmel sehen, wie im Februar 45.
    Er wohnte 50 km östlich.

    Einen schönen Sonntag.

  4. Vielen Dank für die vielen verständnisvollen Kommentare im Namen meiner Mutter.
    Am 5. MÄRZ wird sie 89. Sie ist tapfer, denn das Alter macht ihr sehr zu schaffen. Das harte Leben hat sie hart gemacht. Aber sie hat auch Humor und darum sagt sie: Ich warte bis ich dran bin.
    Monika Glaubitt, geb. Raschke.

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