Herbert Hanke und Gerda Riefling lernten sich im Ferienheim der Stahlwerke Riesa in Stadt Wehlen kennen. Das Ehepaar Ranke war regelmäßig Gast des Heims, dessen Leiter Gerda Rieflings Mann war. Als Hankes Frau und Rieflings Mann nach dem Krieg verstarben, nahm Hanke Frau Riefling in seiner Wohnung in Dresden auf. Dreißig Jahre sind die beiden nun Lebensgefährten. Gerda Riefling öffnet höflich die Tür, assistiert Herbert Hanke, der 95 ist und schwer hört, hilft ihm bei seiner Lebensgeschichte auf die Sprünge, beschwichtigt, tröstet, ordnet, hält Stand. Sagt: „Jeder Krieg ist furchtbar“, wenn Herberts schlimme Erinnerungen kommen. Von der Wand blicken die verstorbenen Ehepartner von Schwarzweiß-Fotos auf die zwei Verwitweten, die sich gegenseitig Halt und Erinnerungen bedeuten.
Geboren bin ich in Übigau an der Elbe zwischen Pieschen und Mickten, Kaditz. Und gelernt habe ich bei Zeiss-Ikon im Ernemann-Werk als Dreher. In die Schule bin ich gegangen in der 42. Volksschule in Übigau. Ich bin in Übigau geboren, zur Schule gegangen, aus der Schule raus – und dann bin ich gleich auf den Martin-Luther-Platz in die 7 gezogen und von da aus zur Marine. Fünfeinhalb Jahre war ich dort drin. Da war ich in Dänemark, in Norwegen, Griechenland, auf Kreta. Überall. Ich war erst auf einem Torpedoboot, dann war ich auf einem Minenräumboot, da haben wir in Griechenland Minen geräumt. Und in Norwegen und Dänemark auch.
Danach bin zu Pfunds Molkerei, wie ich aus Gefangenschaft kam. Habe dort umgeschult auf Molker. […] Mein Stiefvater hat dort gearbeitet und der hat gesagt: Großer, du kannst gleich hier rein, arbeiten. Ich habe 25 Jahre bei Pfunds gearbeitet. Durch die Wende wurde die Molkerei dann umgeschult auf Heizer. Die Molkerei kam zu den Dresdner Milchwerken. Bei Pfunds kam dann die Geflügelwirtschaft rein. […]
Ich bin ja schon zeitig aus der Gefangenschaft gekommen, weil wir auf der Insel Fehmarn waren in Gefangenschaft und da hieß es dann, in die Ostzone wird niemand entlassen. Da sind wir dann aber heimlich abgehauen und nach Dresden gekommen. Mein Stiefvater, der war ja Kommunist und der hat auf der Hospitalstraße bei der Kommandantur gearbeitet und hatte dort einen guten Kameraden. Der hat mir dann einen Ausweis besorgt. Denn die Russen fingen ja die jungen Leute alle gleich wieder ab und brachten sie nach Russland. Er hat extra gesagt: „Gib den Ausweis bei einer Kontrolle von den Russen nicht aus der Hand!“ Denn wenn man den in die Hand gab, zerrissen die den. […]
Ich habe auch den 13. Februar in Dresden überlebt. Das war mein letzter Urlaubstag hier. Und da haben wir abends ein bisschen was getrunken und dann kam der Bombenangriff. Wir sind in den Luftschutzkeller runter. […] Am Albertplatz war eine Unterkunft. Ich hab zu den Mädels gesagt, ihr bleibt erst einmal hier sitzen, ich gehe erst mal nach Hause und sehe nach, ob alles in Ordnung ist. Da bin ich vom Albertplatz vor gelaufen und da brannten schon rechts und links die Häuser. Am Lutherplatz brannte nur an der Ecke das Haus. Ich bin rein, habe niemanden gesehen, bin in den Keller runter und da saßen die alle. Und meine Mutter sagt: „Oh, mein Sohn! Du bist doch noch da, wir denken, du bist schon weg gefahren.“ […]
Ich war noch drei Tage in Dresden und musste am Altmarkt, da war ein Löschteich, die Leichen zusammen tragen. Dann hatte ich aber Glück. Es fuhr ein Zug nach Meißen und dort konnte ich meinen Urlaubsschein vorzeigen und wurde wieder nach Kiel runter gefahren zu meiner Einheit. […] Ich habe eine neue Einheit gekriegt und musste nach Swinemünde. Da hatten die von einem Minenräumboot die ganzen Geschütze und Minen runter geschmissen und wir mussten damit Marinehelferinnen, Heereshelferinnen, Luftwaffenhelferinnen – weil der Russe vor Swinemünde stand – aufs Schiff verladen und sind hoch nach Dänemark mit dem ganzen Schiff. Alles voll Marinehelferinnen. […]
Dann sind wir in englische Gefangenschaft gekommen und mussten für die Engländer Minen räumen. Den Pleitegeier ab und dann hatten wir das englische Abzeichen. Wir konnten uns frei bewegen. Wir hatten den englischen Ausweis. […] Von Köln sind wir bei Nacht und Nebel nachhause. Ins Dampfschiff unten rein, für eine Packung Zigaretten hat uns der Kapitän unten mitgenommen und nach Dresden gefahren. […]
Dann habe ich meine Frau kennengelernt. Wir haben geheiratet, haben einen Sohn und eine Tochter bekommen. Leider, leider sind die alle zeitig, kurz vor der Rente, verstorben. Alle beide hintereinander. Erst der Sohn, dann die Tochter. Und meine Frau Ruth. Meine Kinder sagten: ‚Vater, du ziehst mit der Gerdi zusammen. Ihr kennt euch doch schon die ganzen Jahre. Und da haben wir uns zusammen getan bis heute. Das sind auch schon dreißig Jahre wieder. […]
Ich habe eine schöne Jugend gehabt, dort in Übigau als Junge. Die große Schiffswerft. Vergangen. Ich habe viel erlebt, habe mich gut immer gehalten. Ich bin überall gut durchgekommen. Ich muss ehrlich sagen, da war ich ein fixes Kerlchen. Hab mich überall so durchgewürschtelt. […] Wir sind eine Familie alle geworden.
Memento
Die Neustadt ist Kult, Szene und vor allem eines: jung. Doch im Viertel leben auch Menschen mit Geschichten aus einer Zeit, da in Dresden-Neustadt an Szene noch nicht zu denken war. Mit freundlicher Unterstützung der Seniorenresidenz Kästner-Passage stellen wir in der Serie „Memento“ immer sonnabends Persönlichkeiten und ihre Viertelgeschichten vor.
Thanks again!
Danke für diese Reihe! Und Danke den Menschen, an deren Lebensgeschichte wir so teilhaben dürfen!
Kann mich nur anschließen- vielen Dank für diese Geschichten.
Liebe Philine,
Herbert Hanke heisst er (nicht Ranke) und er war einer unserer treuesten, zuverlässigsten und tüchtigsten Mitarbeiter in der Dresdner Molkerei Gebrüder Pfund.
Ich freue mich immer, wenn ich ihm auf der Bautzner Str. begegne, da wir viele gemeinsame Erinnerungen haben.
Und Danke für diesen Beitrag!
P.P.
Stimmt, danke für den Hinweis, korrigiert.
Danke Philine für diese Geschichten. In meiner Jugend hat es mich nicht so interessiert, wenn die „Alten“ aus ihrer erlebten Zeit erzählt haben: „Ja, ja, ich weiß schon, so war es im Krieg und danach“. Heute bedauere ich zutiefst, dass ich meinen Eltern und Großeltern nicht zugehört habe, wenn sie von ihren Erlebnissen erzählen wollten, ich würde alles dafür geben, sie noch einmal zu fragen und ihnen zuzuhören – aber jetzt ist es zu spät. Deshalb danke für die Geschichten von Memento.
Das geht mir absolut genauso….
Eine Frage an Philine/Anton: Habt Ihr danach noch Kontakt zu den Leuten? Wissen sie, wieviele Leute sich für ihre Geschichten interessieren?
Grüßt sie von mir. (Auch wenn sie mich natürlich nicht kennen.)
Sehr geschmunzelt habe ich bei „Zeiss Egon“. :-)
Die spannende Geschichte der Kameraherstellung in Dresden kann man u.a. hier nachlesen: https://de.wikipedia.org/wiki/Zeiss_Ikon
Den zweiten Schmunzler gabs bei „durchgewürschtelt“.
Im guten sächsisch heisst das durschgewurschdld! :-D
Da habe ich beim Korrektorat offenbar geschlafen, die Zeiss-Ikon-Geschichte ist mir aus mehreren Besuchen der Technischen Sammlungen eigentlich geläufig. Der „Egon“ ist mir durchgerutscht. Korrigiert.
„Durchgewürschtelt“ ist doch einfach nur hochdeutsch für „durchwurschdeln“.
Das bleibt so.
@ Karsten
Hallo, unsere befragten Bewohner bekommen nach der Veröffentlichung den Ausdruck inklusive Kommentare ausgedruckt. Bisher waren die Reaktionen sehr positiv. Die befragten Personen staunen über soviel Interesse, „ich erzähl doch nur wie es war“.
Auch wir freuen uns über soviel Interesse und natürlich auf weitere interessante Geschichten.
Liebe Grüße aus der Kästner Passage
* Sie bekommen natürlich das Interview ausgedruckt ;)
Bitte „Memento“ weitermachen! Mehr davon!
Besten Dank für Ihre Antwort. Ich freue mich, dass Ihre Bewohner davon erfahren und sich darüber freuen. Schließlich machen sie uns auch eine Freude. (Huch, 3x Freuen, sonst kennt man mich gar nicht so überschwenglich. :-) )
Ich hoffe ebenfalls auf weitere Geschichten.
Leno ist auch von solchen Geschichten angetan. Was Klahra schreibt kennt er auch. Gerade mit meiner Frau Evi darüber gesprochen, auch unseren Beitrag zu leisten. Wir wohnen seit 1972 in und zweitweise am Rande der Neustadt.
Allen Neustädtern viele Grüße aus Ernstroda/Thüringen, wo wir seit wir Rentner sind das Sommerhalbjahr verbringen.
P.S.: Evi hat zwei kleine Bücher (ohne ISBN, Eigenverlag) über unsere 2 Heimaten geschrieben, bei Bedarf bitte melden.
Ja, bitte weitermachen